Bette, und hat mir ihre Geschichte erzählt: eine Stelle war darin für mich, wie sie es sagte, so erschütternd, daß ich or- dentlich einen Krampf bekam, und sie zu reden aufhören wollte. Viel gelobte ich mir dabei. Und auch ich bin ganz ver- kannt und verloren dadurch. Verloren. Dieses ganze Le- ben ist mir entrissen, wenn ich auch den Himmel in mir trage! Denken Sie wie, und was ich gelobt!!!! --
Nur Gutes will ich glauben: immer helfen.
Vergessen Sie den gestrigen Tag nicht; es war ein un- glücklicher für mich; für eine würdige Freundin.
Wenn Sie gesund sind, besuchen Sie mich! Ob ich heute in die Oper gehe, weiß ich noch nicht: vor- und nachher bin ich zu Hause.
Was machen Sie? reden Sie!
Kömmt Krankheit und Leiden bei Ihnen zusammen? Kann Ihnen Sprechen augenblickliche Erleichterung geben? Sprechen wir! --
Anmerk. Um diese Zeit erschien in Brinckmanns Gedichten eine von ihm schon früher an Rahel gerichtete Elegie, welche man wegen ihres zarten und bezeichnungsvollen Ausdrucks gern hier wiedersinden wird.
An die Vertraute.
Ob ich begreife dein Herz, das emporringt gegen das Schicksal, Wann ihm ein mächtiger Geist duldende Ruhe versagt? Ob ich zu deuten vermöge den Trotz und die schmachtende Sehnsucht, Jenes nach höchstem Genuß strebende Herrschergefühl, Dem kein dürftiges Glück, von spielenden Parzen umschmeichelt, Nur selbsttbätiger Kampf siegender Kräfte genügt? Ob ich enträthsle die stolze Natur und den lieblichen Starrsinn, Den kein zürnender Gott, schneller die Grazie, beugt? Ob ich, eh' ihn die That ausspricht, auch den schönern Gedanken Ahnde, der inhaltreich kaum sich dem Blicke vertraut,
Bette, und hat mir ihre Geſchichte erzählt: eine Stelle war darin für mich, wie ſie es ſagte, ſo erſchütternd, daß ich or- dentlich einen Krampf bekam, und ſie zu reden aufhören wollte. Viel gelobte ich mir dabei. Und auch ich bin ganz ver- kannt und verloren dadurch. Verloren. Dieſes ganze Le- ben iſt mir entriſſen, wenn ich auch den Himmel in mir trage! Denken Sie wie, und was ich gelobt!!!! —
Nur Gutes will ich glauben: immer helfen.
Vergeſſen Sie den geſtrigen Tag nicht; es war ein un- glücklicher für mich; für eine würdige Freundin.
Wenn Sie geſund ſind, beſuchen Sie mich! Ob ich heute in die Oper gehe, weiß ich noch nicht: vor- und nachher bin ich zu Hauſe.
Was machen Sie? reden Sie!
Kömmt Krankheit und Leiden bei Ihnen zuſammen? Kann Ihnen Sprechen augenblickliche Erleichterung geben? Sprechen wir! —
Anmerk. Um dieſe Zeit erſchien in Brinckmanns Gedichten eine von ihm ſchon früher an Rahel gerichtete Elegie, welche man wegen ihres zarten und bezeichnungsvollen Ausdrucks gern hier wiederſinden wird.
An die Vertraute.
Ob ich begreife dein Herz, das emporringt gegen das Schickſal, Wann ihm ein mächtiger Geiſt duldende Ruhe verſagt? Ob ich zu deuten vermöge den Trotz und die ſchmachtende Sehnſucht, Jenes nach höchſtem Genuß ſtrebende Herrſchergefühl, Dem kein dürftiges Glück, von ſpielenden Parzen umſchmeichelt, Nur ſelbſttbätiger Kampf ſiegender Kräfte genügt? Ob ich enträthſle die ſtolze Natur und den lieblichen Starrſinn, Den kein zürnender Gott, ſchneller die Grazie, beugt? Ob ich, eh’ ihn die That ausſpricht, auch den ſchönern Gedanken Ahnde, der inhaltreich kaum ſich dem Blicke vertraut,
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Bette, und hat mir ihre Geſchichte erzählt: eine Stelle war
darin für mich, wie ſie es ſagte, ſo erſchütternd, daß ich or-
dentlich einen Krampf bekam, und ſie zu reden aufhören wollte.
Viel gelobte ich mir dabei. Und auch ich bin ganz ver-
kannt und verloren dadurch. Verloren. Dieſes ganze Le-
ben iſt mir entriſſen, wenn ich auch den Himmel in mir trage!
Denken Sie wie, und was ich gelobt!!!! —
Nur Gutes will ich glauben: immer helfen.
Vergeſſen Sie den geſtrigen Tag nicht; es war ein un-
glücklicher für mich; für eine würdige Freundin.
Wenn Sie geſund ſind, beſuchen Sie mich! Ob ich heute
in die Oper gehe, weiß ich noch nicht: vor- und nachher bin
ich zu Hauſe.
Was machen Sie? reden Sie!
Kömmt Krankheit und Leiden bei Ihnen zuſammen?
Kann Ihnen Sprechen augenblickliche Erleichterung geben?
Sprechen wir! —
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von ihm ſchon früher an Rahel gerichtete Elegie, welche man wegen ihres
zarten und bezeichnungsvollen Ausdrucks gern hier wiederſinden wird.
An die Vertraute.
Ob ich begreife dein Herz, das emporringt gegen das Schickſal,
Wann ihm ein mächtiger Geiſt duldende Ruhe verſagt?
Ob ich zu deuten vermöge den Trotz und die ſchmachtende Sehnſucht,
Jenes nach höchſtem Genuß ſtrebende Herrſchergefühl,
Dem kein dürftiges Glück, von ſpielenden Parzen umſchmeichelt,
Nur ſelbſttbätiger Kampf ſiegender Kräfte genügt?
Ob ich enträthſle die ſtolze Natur und den lieblichen Starrſinn,
Den kein zürnender Gott, ſchneller die Grazie, beugt?
Ob ich, eh’ ihn die That ausſpricht, auch den ſchönern Gedanken
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/275>, abgerufen am 03.07.2024.
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