Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen
bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung so hinzuwerfen, daß
darin halb eine schmeichelhafte Aufmerksamkeit, halb ein nek-
kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, sah mich durchdrin-
gend an, gleichsam mein Unterstehen an mir selber abzumes-
sen, und erwiederte dann, sie könne es wohl vertragen, daß
man sie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falsch ge-
schehe; sie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche
als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich entschuldigte
mich, daß ich die Ächtheit dessen, was ich leider so weit von
seinem Ursprunge nach Gunst des Zufalls auffangen müsse,
nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen-
dung war der Rath, mich lieber selbst bei der Quelle solcher
Äußerungen einzufinden. Gleich in den nächsten Tagen machte
ich von dieser Erlaubniß den ersehnten Gebrauch. Rahel
wohnte damals in der Jägerstraße, der Seehandlung schräg
gegenüber, in Obhut und Fürsorge der trefflichen Mutter, de-
ren altwürdiges und reichliches Hauswesen den schönsten ge-
selligen Verhältnissen von jeher offen stand. Zuweilen hatte
ich, um Ludwig Robert zu besuchen, diese Wohnung betreten;
mit wie aufgeregten Erwartungen und Gesinnungen, und zu
welch andern Geisteseinflüssen, betrat ich sie jetzt!" --

"In einzelnen Menschen, oder in einer Gemeinsamkeit
zusammengehöriger, und einander sich ergänzender und über-
tragender Persönlichkeiten, war mir schon einigemal das Heil
widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh-
sames Streben und Verdienst, ohne Pein der Allmähligkeit,
sondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleichsam

ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen
bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß
darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein nek-
kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdrin-
gend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſ-
ſen, und erwiederte dann, ſie könne es wohl vertragen, daß
man ſie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falſch ge-
ſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche
als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich entſchuldigte
mich, daß ich die Ächtheit deſſen, was ich leider ſo weit von
ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zufalls auffangen müſſe,
nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen-
dung war der Rath, mich lieber ſelbſt bei der Quelle ſolcher
Äußerungen einzufinden. Gleich in den nächſten Tagen machte
ich von dieſer Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel
wohnte damals in der Jägerſtraße, der Seehandlung ſchräg
gegenüber, in Obhut und Fürſorge der trefflichen Mutter, de-
ren altwürdiges und reichliches Hausweſen den ſchönſten ge-
ſelligen Verhältniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen hatte
ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Wohnung betreten;
mit wie aufgeregten Erwartungen und Geſinnungen, und zu
welch andern Geiſteseinflüſſen, betrat ich ſie jetzt!“ —

„In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit
zuſammengehöriger, und einander ſich ergänzender und über-
tragender Perſönlichkeiten, war mir ſchon einigemal das Heil
widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh-
ſames Streben und Verdienſt, ohne Pein der Allmähligkeit,
ſondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleichſam

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0024" n="10"/>
ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen<lb/>
bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung &#x017F;o hinzuwerfen, daß<lb/>
darin halb eine &#x017F;chmeichelhafte Aufmerk&#x017F;amkeit, halb ein nek-<lb/>
kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, &#x017F;ah mich durchdrin-<lb/>
gend an, gleich&#x017F;am mein Unter&#x017F;tehen an mir &#x017F;elber abzume&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en, und erwiederte dann, &#x017F;ie könne es wohl vertragen, daß<lb/>
man &#x017F;ie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es fal&#x017F;ch ge-<lb/>
&#x017F;chehe; &#x017F;ie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche<lb/>
als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich ent&#x017F;chuldigte<lb/>
mich, daß ich die Ächtheit de&#x017F;&#x017F;en, was ich leider &#x017F;o weit von<lb/>
&#x017F;einem Ur&#x017F;prunge nach Gun&#x017F;t des Zufalls auffangen mü&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen-<lb/>
dung war der Rath, mich lieber &#x017F;elb&#x017F;t bei der Quelle &#x017F;olcher<lb/>
Äußerungen einzufinden. Gleich in den näch&#x017F;ten Tagen machte<lb/>
ich von die&#x017F;er Erlaubniß den er&#x017F;ehnten Gebrauch. Rahel<lb/>
wohnte damals in der Jäger&#x017F;traße, der Seehandlung &#x017F;chräg<lb/>
gegenüber, in Obhut und Für&#x017F;orge der trefflichen Mutter, de-<lb/>
ren altwürdiges und reichliches Hauswe&#x017F;en den &#x017F;chön&#x017F;ten ge-<lb/>
&#x017F;elligen Verhältni&#x017F;&#x017F;en von jeher offen &#x017F;tand. Zuweilen hatte<lb/>
ich, um Ludwig Robert zu be&#x017F;uchen, die&#x017F;e Wohnung betreten;<lb/>
mit wie aufgeregten Erwartungen und Ge&#x017F;innungen, und zu<lb/>
welch andern Gei&#x017F;teseinflü&#x017F;&#x017F;en, betrat ich &#x017F;ie jetzt!&#x201C; &#x2014;</p><lb/>
            <p>&#x201E;In einzelnen Men&#x017F;chen, oder in einer Gemein&#x017F;amkeit<lb/>
zu&#x017F;ammengehöriger, und einander &#x017F;ich ergänzender und über-<lb/>
tragender Per&#x017F;önlichkeiten, war mir &#x017F;chon einigemal das Heil<lb/>
widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh-<lb/>
&#x017F;ames Streben und Verdien&#x017F;t, ohne Pein der Allmähligkeit,<lb/>
&#x017F;ondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleich&#x017F;am<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[10/0024] ihrer eigenthümlich ausdrucksvollen Worte, das auf Umwegen bis zu mir gelangt war, mit Bedeutung ſo hinzuwerfen, daß darin halb eine ſchmeichelhafte Aufmerkſamkeit, halb ein nek- kender Angriff lag. Sie bemerkte beides, ſah mich durchdrin- gend an, gleichſam mein Unterſtehen an mir ſelber abzumeſ- ſen, und erwiederte dann, ſie könne es wohl vertragen, daß man ſie citire, aber nicht füglich zugeben, daß es falſch ge- ſchehe; ſie hatte in der That einiges in der Äußerung, welche als die ihrige gegeben war, zu berichtigen. Ich entſchuldigte mich, daß ich die Ächtheit deſſen, was ich leider ſo weit von ſeinem Urſprunge nach Gunſt des Zufalls auffangen müſſe, nicht verbürgen könne, und die Folge meiner artigen Wen- dung war der Rath, mich lieber ſelbſt bei der Quelle ſolcher Äußerungen einzufinden. Gleich in den nächſten Tagen machte ich von dieſer Erlaubniß den erſehnten Gebrauch. Rahel wohnte damals in der Jägerſtraße, der Seehandlung ſchräg gegenüber, in Obhut und Fürſorge der trefflichen Mutter, de- ren altwürdiges und reichliches Hausweſen den ſchönſten ge- ſelligen Verhältniſſen von jeher offen ſtand. Zuweilen hatte ich, um Ludwig Robert zu beſuchen, dieſe Wohnung betreten; mit wie aufgeregten Erwartungen und Geſinnungen, und zu welch andern Geiſteseinflüſſen, betrat ich ſie jetzt!“ — „In einzelnen Menſchen, oder in einer Gemeinſamkeit zuſammengehöriger, und einander ſich ergänzender und über- tragender Perſönlichkeiten, war mir ſchon einigemal das Heil widerfahren, mich durch das bloße Lebensbegegniß, ohne müh- ſames Streben und Verdienſt, ohne Pein der Allmähligkeit, ſondern im Schwunge des vollen Glückes, und gleichſam

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/24
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/24>, abgerufen am 02.05.2024.