Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

und dies offen genug bekannte. Der Besuch wurde verabredet,
Rahel erschien, aber nur auf eine Stunde, da sie nicht ganz
wohl war, und also wenig dazu gestimmt, den etwas befan-
genen Zuschnitt der kleinen Gesellschaft abzuändern. Harscher
gewann ihr keine Aufmerksamkeit ab, und als S. kam, und
gkeich erfreut und ermuntert sich neben sie setzte, und mit ihr
in lebhaftes Gespräch einging, wurde jede andre Anknüpfung
unmöglich. Wir waren nicht wenig erstaunt, sowohl im
Scherzen als im Ernste S. nur in zweiter Rolle zu sehen,
indem er willig jede Unterordnung anzunehmen schien, und
wirklich ein paarmal wie geschlagen verstummte, oder doch
gar sehr zu kurz kam. Als nach raschem Verlauf eines selt-
samen Gesprächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und sie mit
dem Versprechen künftigen längeren Besuches sich wegbegab,
bot S. mit Beeiferung sich zum Begleiter an, brachte sie zu
ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres
Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte
seine Stimmung für den guten Eindruck, denn sie blieb aufge-
weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das
ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter-
geordnet, und seit langer Zeit nicht so belebt gesehen. Die
Dame des Hauses suchte vergebens bei Harscher den Dank für
ihre bereitwillige Veranstaltung, er war mißvergnügt, daß al-
les gleichsam nur für S. gewesen, und dann verschwunden war,
ihn ärgerte sogar dessen fortdauernde Munterkeit, und gern
hätte er die ganze Erscheinung verneint oder verkleinert, deren
Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen
Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte seine Miß-

und dies offen genug bekannte. Der Beſuch wurde verabredet,
Rahel erſchien, aber nur auf eine Stunde, da ſie nicht ganz
wohl war, und alſo wenig dazu geſtimmt, den etwas befan-
genen Zuſchnitt der kleinen Geſellſchaft abzuändern. Harſcher
gewann ihr keine Aufmerkſamkeit ab, und als S. kam, und
gkeich erfreut und ermuntert ſich neben ſie ſetzte, und mit ihr
in lebhaftes Geſpräch einging, wurde jede andre Anknüpfung
unmöglich. Wir waren nicht wenig erſtaunt, ſowohl im
Scherzen als im Ernſte S. nur in zweiter Rolle zu ſehen,
indem er willig jede Unterordnung anzunehmen ſchien, und
wirklich ein paarmal wie geſchlagen verſtummte, oder doch
gar ſehr zu kurz kam. Als nach raſchem Verlauf eines ſelt-
ſamen Geſprächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und ſie mit
dem Verſprechen künftigen längeren Beſuches ſich wegbegab,
bot S. mit Beeiferung ſich zum Begleiter an, brachte ſie zu
ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres
Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte
ſeine Stimmung für den guten Eindruck, denn ſie blieb aufge-
weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das
ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter-
geordnet, und ſeit langer Zeit nicht ſo belebt geſehen. Die
Dame des Hauſes ſuchte vergebens bei Harſcher den Dank für
ihre bereitwillige Veranſtaltung, er war mißvergnügt, daß al-
les gleichſam nur für S. geweſen, und dann verſchwunden war,
ihn ärgerte ſogar deſſen fortdauernde Munterkeit, und gern
hätte er die ganze Erſcheinung verneint oder verkleinert, deren
Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen
Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte ſeine Miß-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0022" n="8"/>
und dies offen genug bekannte. Der Be&#x017F;uch wurde verabredet,<lb/>
Rahel er&#x017F;chien, aber nur auf eine Stunde, da &#x017F;ie nicht ganz<lb/>
wohl war, und al&#x017F;o wenig dazu ge&#x017F;timmt, den etwas befan-<lb/>
genen Zu&#x017F;chnitt der kleinen Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft abzuändern. Har&#x017F;cher<lb/>
gewann ihr keine Aufmerk&#x017F;amkeit ab, und als S. kam, und<lb/>
gkeich erfreut und ermuntert &#x017F;ich neben &#x017F;ie &#x017F;etzte, und mit ihr<lb/>
in lebhaftes Ge&#x017F;präch einging, wurde jede andre Anknüpfung<lb/>
unmöglich. Wir waren nicht wenig er&#x017F;taunt, &#x017F;owohl im<lb/>
Scherzen als im Ern&#x017F;te S. nur in zweiter Rolle zu &#x017F;ehen,<lb/>
indem er willig jede Unterordnung anzunehmen &#x017F;chien, und<lb/>
wirklich ein paarmal wie ge&#x017F;chlagen ver&#x017F;tummte, oder doch<lb/>
gar &#x017F;ehr zu kurz kam. Als nach ra&#x017F;chem Verlauf eines &#x017F;elt-<lb/>
&#x017F;amen Ge&#x017F;prächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und &#x017F;ie mit<lb/>
dem Ver&#x017F;prechen künftigen längeren Be&#x017F;uches &#x017F;ich wegbegab,<lb/>
bot S. mit Beeiferung &#x017F;ich zum Begleiter an, brachte &#x017F;ie zu<lb/>
ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres<lb/>
Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte<lb/>
&#x017F;eine Stimmung für den guten Eindruck, denn &#x017F;ie blieb aufge-<lb/>
weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das<lb/>
ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter-<lb/>
geordnet, und &#x017F;eit langer Zeit nicht &#x017F;o belebt ge&#x017F;ehen. Die<lb/>
Dame des Hau&#x017F;es &#x017F;uchte vergebens bei Har&#x017F;cher den Dank für<lb/>
ihre bereitwillige Veran&#x017F;taltung, er war mißvergnügt, daß al-<lb/>
les gleich&#x017F;am nur für S. gewe&#x017F;en, und dann ver&#x017F;chwunden war,<lb/>
ihn ärgerte &#x017F;ogar de&#x017F;&#x017F;en fortdauernde Munterkeit, und gern<lb/>
hätte er die ganze Er&#x017F;cheinung verneint oder verkleinert, deren<lb/>
Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen<lb/>
Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte &#x017F;eine Miß-<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0022] und dies offen genug bekannte. Der Beſuch wurde verabredet, Rahel erſchien, aber nur auf eine Stunde, da ſie nicht ganz wohl war, und alſo wenig dazu geſtimmt, den etwas befan- genen Zuſchnitt der kleinen Geſellſchaft abzuändern. Harſcher gewann ihr keine Aufmerkſamkeit ab, und als S. kam, und gkeich erfreut und ermuntert ſich neben ſie ſetzte, und mit ihr in lebhaftes Geſpräch einging, wurde jede andre Anknüpfung unmöglich. Wir waren nicht wenig erſtaunt, ſowohl im Scherzen als im Ernſte S. nur in zweiter Rolle zu ſehen, indem er willig jede Unterordnung anzunehmen ſchien, und wirklich ein paarmal wie geſchlagen verſtummte, oder doch gar ſehr zu kurz kam. Als nach raſchem Verlauf eines ſelt- ſamen Geſprächs ihr Wagen ihr gemeldet wurde, und ſie mit dem Verſprechen künftigen längeren Beſuches ſich wegbegab, bot S. mit Beeiferung ſich zum Begleiter an, brachte ſie zu ihrem Wagen, und konnte, als er zurückgekehrt war, ihres Rühmens kein Ende finden; mehr aber, als die Worte, zeugte ſeine Stimmung für den guten Eindruck, denn ſie blieb aufge- weckt und gekräftigt für den ganzen Abend. Für uns war das ein doppeltes Phänomen, wir hatten ihn noch niemals unter- geordnet, und ſeit langer Zeit nicht ſo belebt geſehen. Die Dame des Hauſes ſuchte vergebens bei Harſcher den Dank für ihre bereitwillige Veranſtaltung, er war mißvergnügt, daß al- les gleichſam nur für S. geweſen, und dann verſchwunden war, ihn ärgerte ſogar deſſen fortdauernde Munterkeit, und gern hätte er die ganze Erſcheinung verneint oder verkleinert, deren Übergewicht er doch zu fühlen genöthigt, und deren vollen Werth zu ahnden er gewiß fähig war. Ich theilte ſeine Miß-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/22
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/22>, abgerufen am 21.12.2024.