Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

Und sonst wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien
nicht zu verstehen. Nun giebt's noch viele Interims-Glücke,
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der
Welt. "Sehe jeder wie er's treibe, sehe jeder wo er bleibe,
und wer steht, daß er nicht falle." Ist man aber gefallen,
setze ich hinzu, und sei's eine Mamsell, so stehe man mit An-
stand
und Freimuth auf, und suche sich zu heilen, wenn
man nicht todt ist. Ich spreche darum über alles mit Ihnen
en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menschen,
daraus leicht die einzelnen Fälle verstehen, da die Andern
durch viele einzelne erst etwas Ganzes fassen. -- In Aurelien
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr
in dem aus Lessing Abgeschriebenen. Das streichen Sie aus,
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meister nicht. Ja
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie
sagen: "Ob das Verlust wäre!"). Wenn er auch alles er-
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal
gehört, das weiß ich, das glaub' ich. Es sagt's ja die
Prinzessin im Tasso auch; nur aus einem andern Ton. Wie
groß ist das! Gehört hat er's aber. Die Frauen laß ich
mir nicht abstreiten. Entweder, man denkt so etwas als
Frau, oder man hört's von einer Frau. Zu erfinden ist das
nicht. Alles andere nur Menschenmögliche gesteh' ich ihm zu.
Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erste
Theil von Meister besser; im Grunde sollte man von keinem
Werke sprechen, welches nach und nach erscheint, und keins
so herausgeben.


Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien
nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke,
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der
Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe,
und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen,
ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An-
ſtand
und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn
man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen
en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen,
daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern
durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr
in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus,
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie
ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er-
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal
gehört, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die
Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie
groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich
mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als
Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das
nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich ihm zu.
Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte
Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem
Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins
ſo herausgeben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0154" n="140"/>
Und &#x017F;on&#x017F;t wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien<lb/>
nicht zu ver&#x017F;tehen. Nun giebt&#x2019;s noch viele Interims-Glücke,<lb/>
die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der<lb/>
Welt. &#x201E;Sehe jeder wie er&#x2019;s treibe, &#x017F;ehe jeder wo er bleibe,<lb/>
und wer &#x017F;teht, daß er nicht falle.&#x201C; I&#x017F;t man aber gefallen,<lb/>
&#x017F;etze ich hinzu, und &#x017F;ei&#x2019;s eine Mam&#x017F;ell, &#x017F;o &#x017F;tehe man mit <hi rendition="#g">An-<lb/>
&#x017F;tand</hi> und <hi rendition="#g">Freimuth</hi> auf, und &#x017F;uche &#x017F;ich zu heilen, wenn<lb/>
man nicht todt i&#x017F;t. Ich &#x017F;preche darum über alles mit Ihnen<lb/><hi rendition="#aq">en gros,</hi> weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Men&#x017F;chen,<lb/>
daraus leicht die einzelnen Fälle ver&#x017F;tehen, da die Andern<lb/>
durch viele einzelne er&#x017F;t etwas Ganzes fa&#x017F;&#x017F;en. &#x2014; In Aurelien<lb/>
habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr<lb/>
in dem aus Le&#x017F;&#x017F;ing Abge&#x017F;chriebenen. <hi rendition="#g">Das</hi> &#x017F;treichen Sie aus,<lb/>
denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal-<lb/>
ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Mei&#x017F;ter nicht. Ja<lb/>
ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie <hi rendition="#g">Sie</hi><lb/>
&#x017F;agen: &#x201E;Ob das Verlu&#x017F;t wäre!&#x201C;). Wenn er auch alles er-<lb/>
funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal<lb/><hi rendition="#g">gehört</hi>, das weiß ich, das glaub&#x2019; ich. Es &#x017F;agt&#x2019;s ja die<lb/>
Prinze&#x017F;&#x017F;in im Ta&#x017F;&#x017F;o auch; nur aus einem andern Ton. Wie<lb/>
groß i&#x017F;t <hi rendition="#g">das</hi>! Gehört hat er&#x2019;s aber. Die Frauen laß ich<lb/>
mir nicht ab&#x017F;treiten. Entweder, man denkt &#x017F;o etwas <hi rendition="#g">als</hi><lb/>
Frau, oder man hört&#x2019;s von einer Frau. Zu erfinden i&#x017F;t <hi rendition="#g">das</hi><lb/>
nicht. Alles andere nur Men&#x017F;chenmögliche ge&#x017F;teh&#x2019; ich <hi rendition="#g">ihm</hi> zu.<lb/><hi rendition="#g">Das</hi> weiß ich aber als <hi rendition="#g">ich</hi>. Im Grunde gefällt mir der er&#x017F;te<lb/>
Theil von Mei&#x017F;ter be&#x017F;&#x017F;er; im Grunde &#x017F;ollte man von keinem<lb/>
Werke &#x017F;prechen, welches nach und nach er&#x017F;cheint, und keins<lb/>
&#x017F;o herausgeben.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[140/0154] Und ſonſt wäre ja auch meine Unähnlichkeit mit Aurelien nicht zu verſtehen. Nun giebt’s noch viele Interims-Glücke, die muß man gebrauchen wie man kann. Wie alles in der Welt. „Sehe jeder wie er’s treibe, ſehe jeder wo er bleibe, und wer ſteht, daß er nicht falle.“ Iſt man aber gefallen, ſetze ich hinzu, und ſei’s eine Mamſell, ſo ſtehe man mit An- ſtand und Freimuth auf, und ſuche ſich zu heilen, wenn man nicht todt iſt. Ich ſpreche darum über alles mit Ihnen en gros, weil Sie, umgekehrt wie gewöhnlich die Menſchen, daraus leicht die einzelnen Fälle verſtehen, da die Andern durch viele einzelne erſt etwas Ganzes faſſen. — In Aurelien habe ich oft meine eigenen Worte gefunden, und noch mehr in dem aus Leſſing Abgeſchriebenen. Das ſtreichen Sie aus, denn da könnte mich immer einer für abereitel (aberwitzig) hal- ten. Ich kenne Jettchens Gedanken vom Meiſter nicht. Ja ich wäre ordentlich in dem Buche vorgekommen (wie Sie ſagen: „Ob das Verluſt wäre!“). Wenn er auch alles er- funden hat, Aurelien auch, die Reden von ihr hat er einmal gehört, das weiß ich, das glaub’ ich. Es ſagt’s ja die Prinzeſſin im Taſſo auch; nur aus einem andern Ton. Wie groß iſt das! Gehört hat er’s aber. Die Frauen laß ich mir nicht abſtreiten. Entweder, man denkt ſo etwas als Frau, oder man hört’s von einer Frau. Zu erfinden iſt das nicht. Alles andere nur Menſchenmögliche geſteh’ ich ihm zu. Das weiß ich aber als ich. Im Grunde gefällt mir der erſte Theil von Meiſter beſſer; im Grunde ſollte man von keinem Werke ſprechen, welches nach und nach erſcheint, und keins ſo herausgeben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/154
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 140. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/154>, abgerufen am 21.12.2024.