suchen soll, und in Jacobi's Roman selbst keins. Schreiben Sie mir ja genau Ihre Meinung hierüber: und sprechen Sie einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges her- aus kommen kann, glaub' ich wohl. Nun will ich einmal mit Humboldt selbst den zweiten Theil des Woldemar durch- gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer sagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find' ich nicht: mir hat er deutlich und vernehmlich beständig gesprochen. "Etwas Zartes, wie das stille Bündniß zweier Herzen, scheut jede, auch die leiseste Berührung," sagt Humboldt wahr; aber ein Herz, wo ein guter Kopf drauf sitzt, läßt sich doch von fremder Berührung nicht irre machen. "Nur aus sich selbst will es hervorgehen, nur in unentweihter Einsamkeit will es sich entwickeln, und die Hand, die sich ihm naht, kann es zer- nichten, ehe sie es berührt." Ich glaube, eine profane Hand kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können sich denn nicht ein Paar gescheidte Menschen verheirathen, wenn sie auch wissen, daß sie nicht zum Heirathen sind, und fortleben vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann sie sie ihm nicht ohne Lärm und sans facon geben? Wer wird dem Romane die einzelnen schönen Züge abläugnen, aber zum Bewundern sind sie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu oft zugekommen. "Und eine gewisse Befreundung mit Din- gen dieser Erde ist süßer, als die Weisen denken," führt Hr. von Humboldt an. Ja, das hat Rousseau in der Heloise, Goethe im Werther und Tasso, tausendmal bewiesen, und
ſuchen ſoll, und in Jacobi’s Roman ſelbſt keins. Schreiben Sie mir ja genau Ihre Meinung hierüber: und ſprechen Sie einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges her- aus kommen kann, glaub’ ich wohl. Nun will ich einmal mit Humboldt ſelbſt den zweiten Theil des Woldemar durch- gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer ſagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find’ ich nicht: mir hat er deutlich und vernehmlich beſtändig geſprochen. „Etwas Zartes, wie das ſtille Bündniß zweier Herzen, ſcheut jede, auch die leiſeſte Berührung,“ ſagt Humboldt wahr; aber ein Herz, wo ein guter Kopf drauf ſitzt, läßt ſich doch von fremder Berührung nicht irre machen. „Nur aus ſich ſelbſt will es hervorgehen, nur in unentweihter Einſamkeit will es ſich entwickeln, und die Hand, die ſich ihm naht, kann es zer- nichten, ehe ſie es berührt.“ Ich glaube, eine profane Hand kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können ſich denn nicht ein Paar geſcheidte Menſchen verheirathen, wenn ſie auch wiſſen, daß ſie nicht zum Heirathen ſind, und fortleben vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann ſie ſie ihm nicht ohne Lärm und sans façon geben? Wer wird dem Romane die einzelnen ſchönen Züge abläugnen, aber zum Bewundern ſind ſie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu oft zugekommen. „Und eine gewiſſe Befreundung mit Din- gen dieſer Erde iſt ſüßer, als die Weiſen denken,“ führt Hr. von Humboldt an. Ja, das hat Rouſſeau in der Heloiſe, Goethe im Werther und Taſſo, tauſendmal bewieſen, und
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0122"n="108"/>ſuchen <hirendition="#g">ſoll</hi>, und in Jacobi’s Roman ſelbſt keins. Schreiben<lb/>
Sie mir <hirendition="#g">ja</hi> genau Ihre Meinung hierüber: und ſprechen Sie<lb/>
einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges <hirendition="#g">her-<lb/>
aus</hi> kommen kann, glaub’ ich wohl. Nun will ich einmal<lb/>
mit Humboldt ſelbſt den zweiten Theil des Woldemar durch-<lb/>
gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer<lb/>ſagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find’ ich nicht:<lb/>
mir hat er deutlich und vernehmlich beſtändig geſprochen.<lb/>„Etwas Zartes, wie das ſtille Bündniß zweier Herzen, ſcheut<lb/>
jede, auch die leiſeſte Berührung,“ſagt Humboldt wahr; aber<lb/>
ein Herz, wo ein guter Kopf drauf ſitzt, läßt ſich doch von<lb/>
fremder Berührung nicht irre machen. „Nur aus ſich ſelbſt<lb/>
will es hervorgehen, nur in unentweihter Einſamkeit will es<lb/>ſich entwickeln, und die Hand, die ſich ihm naht, kann es zer-<lb/>
nichten, ehe ſie es berührt.“ Ich glaube, eine profane Hand<lb/>
kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren<lb/>
zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können ſich denn<lb/>
nicht ein Paar geſcheidte Menſchen verheirathen, wenn ſie<lb/>
auch wiſſen, daß ſie nicht zum Heirathen ſind, und fortleben<lb/>
vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet<lb/>
eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann<lb/>ſie ſie ihm nicht ohne Lärm und <hirendition="#aq">sans façon</hi> geben? Wer wird<lb/>
dem Romane die einzelnen ſchönen Züge abläugnen, aber zum<lb/>
Bewundern ſind ſie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu<lb/>
oft zugekommen. „Und eine gewiſſe Befreundung mit Din-<lb/>
gen dieſer Erde iſt ſüßer, als die Weiſen denken,“ führt Hr.<lb/>
von Humboldt an. Ja, das hat Rouſſeau in der Heloiſe,<lb/>
Goethe im Werther und Taſſo, tauſendmal bewieſen, und<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[108/0122]
ſuchen ſoll, und in Jacobi’s Roman ſelbſt keins. Schreiben
Sie mir ja genau Ihre Meinung hierüber: und ſprechen Sie
einmal mit klugen Leuten darüber; denn daß was Kluges her-
aus kommen kann, glaub’ ich wohl. Nun will ich einmal
mit Humboldt ſelbſt den zweiten Theil des Woldemar durch-
gehen, (ich habe die Litteraturzeitung noch). Daß er immer
ſagt, Jacobi habe nur Fingerzeige gegeben, das find’ ich nicht:
mir hat er deutlich und vernehmlich beſtändig geſprochen.
„Etwas Zartes, wie das ſtille Bündniß zweier Herzen, ſcheut
jede, auch die leiſeſte Berührung,“ ſagt Humboldt wahr; aber
ein Herz, wo ein guter Kopf drauf ſitzt, läßt ſich doch von
fremder Berührung nicht irre machen. „Nur aus ſich ſelbſt
will es hervorgehen, nur in unentweihter Einſamkeit will es
ſich entwickeln, und die Hand, die ſich ihm naht, kann es zer-
nichten, ehe ſie es berührt.“ Ich glaube, eine profane Hand
kann es nie berühren, und nie den Einfall haben es berühren
zu wollen, denn die ahndet es gar nicht. Können ſich denn
nicht ein Paar geſcheidte Menſchen verheirathen, wenn ſie
auch wiſſen, daß ſie nicht zum Heirathen ſind, und fortleben
vor wie nach, ohne daß es die Andern merken; und findet
eine Henriette, daß Woldemar eine Alwina haben muß, kann
ſie ſie ihm nicht ohne Lärm und sans façon geben? Wer wird
dem Romane die einzelnen ſchönen Züge abläugnen, aber zum
Bewundern ſind ſie mir zu bekannt, und in meiner Welt zu
oft zugekommen. „Und eine gewiſſe Befreundung mit Din-
gen dieſer Erde iſt ſüßer, als die Weiſen denken,“ führt Hr.
von Humboldt an. Ja, das hat Rouſſeau in der Heloiſe,
Goethe im Werther und Taſſo, tauſendmal bewieſen, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/122>, abgerufen am 21.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.