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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

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herrscht wie Leidenschaft: aber angewandt auf Staat und
Leben verkehrt und Jahrtausende hemmend, und so allgemein
und tief eingedrungen, daß sie auch da wirkt, wo man sie
gar nicht zu finden glaubt und nicht ahnden sollte. Dabei
dauert sie zu lange; wie jeder Zustand der Menschheit, für
einen einzelnen Menschen. Sie ist auf die natürlichste Weise
in ihren Wirkungen ihrer Natur widersprechend: denn das
Leben quillt wieder hervor, und sie strebt Tod-erzielend nach
dem Himmel.

Mich dünkt, daß die kleinste bis zur größten bürgerlichen
Einrichtung dies ausdrückt, man mag damit bezwecken wollen
was man will. Sie hat die Natur -- die Erde -- umgestal-
tet, auf der wir hausen, und kann sich gar nicht selbst auf-
reiben, weil sie sich nun wirklich, endlich auf etwas Wirkliches
bezieht: und eine Erdrevolution kann uns nur aus diesem
dauernden Übergangszustand retten. Nur in Ermattung kann
sie von selbst gerathen. Worin sie denn bereits ist: und kei-
nem Zustand steht diese weniger an, als dem enthusiastisch
leidenschaftlichen, exaltirten.

So werden mir wenigstens gar sehr viele Erbärmlichkeiten
klar, die man die neumodischen nennen könnte, wenn es nicht
fremdartig wäre ganze Zeitalter unter diesen Begriff zu brin-
gen, auf diese Weise zu bezeichnen.



An Gustav von Brinckmann.


-- Ich habe Paulinen alles auf's allerverständlichste er-
klärt; weil sie mich grade, mit wiederholten Fragen nerven

herrſcht wie Leidenſchaft: aber angewandt auf Staat und
Leben verkehrt und Jahrtauſende hemmend, und ſo allgemein
und tief eingedrungen, daß ſie auch da wirkt, wo man ſie
gar nicht zu finden glaubt und nicht ahnden ſollte. Dabei
dauert ſie zu lange; wie jeder Zuſtand der Menſchheit, für
einen einzelnen Menſchen. Sie iſt auf die natürlichſte Weiſe
in ihren Wirkungen ihrer Natur widerſprechend: denn das
Leben quillt wieder hervor, und ſie ſtrebt Tod-erzielend nach
dem Himmel.

Mich dünkt, daß die kleinſte bis zur größten bürgerlichen
Einrichtung dies ausdrückt, man mag damit bezwecken wollen
was man will. Sie hat die Natur — die Erde — umgeſtal-
tet, auf der wir hauſen, und kann ſich gar nicht ſelbſt auf-
reiben, weil ſie ſich nun wirklich, endlich auf etwas Wirkliches
bezieht: und eine Erdrevolution kann uns nur aus dieſem
dauernden Übergangszuſtand retten. Nur in Ermattung kann
ſie von ſelbſt gerathen. Worin ſie denn bereits iſt: und kei-
nem Zuſtand ſteht dieſe weniger an, als dem enthuſiaſtiſch
leidenſchaftlichen, exaltirten.

So werden mir wenigſtens gar ſehr viele Erbärmlichkeiten
klar, die man die neumodiſchen nennen könnte, wenn es nicht
fremdartig wäre ganze Zeitalter unter dieſen Begriff zu brin-
gen, auf dieſe Weiſe zu bezeichnen.



An Guſtav von Brinckmann.


— Ich habe Paulinen alles auf’s allerverſtändlichſte er-
klärt; weil ſie mich grade, mit wiederholten Fragen nerven

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[263/0277] herrſcht wie Leidenſchaft: aber angewandt auf Staat und Leben verkehrt und Jahrtauſende hemmend, und ſo allgemein und tief eingedrungen, daß ſie auch da wirkt, wo man ſie gar nicht zu finden glaubt und nicht ahnden ſollte. Dabei dauert ſie zu lange; wie jeder Zuſtand der Menſchheit, für einen einzelnen Menſchen. Sie iſt auf die natürlichſte Weiſe in ihren Wirkungen ihrer Natur widerſprechend: denn das Leben quillt wieder hervor, und ſie ſtrebt Tod-erzielend nach dem Himmel. Mich dünkt, daß die kleinſte bis zur größten bürgerlichen Einrichtung dies ausdrückt, man mag damit bezwecken wollen was man will. Sie hat die Natur — die Erde — umgeſtal- tet, auf der wir hauſen, und kann ſich gar nicht ſelbſt auf- reiben, weil ſie ſich nun wirklich, endlich auf etwas Wirkliches bezieht: und eine Erdrevolution kann uns nur aus dieſem dauernden Übergangszuſtand retten. Nur in Ermattung kann ſie von ſelbſt gerathen. Worin ſie denn bereits iſt: und kei- nem Zuſtand ſteht dieſe weniger an, als dem enthuſiaſtiſch leidenſchaftlichen, exaltirten. So werden mir wenigſtens gar ſehr viele Erbärmlichkeiten klar, die man die neumodiſchen nennen könnte, wenn es nicht fremdartig wäre ganze Zeitalter unter dieſen Begriff zu brin- gen, auf dieſe Weiſe zu bezeichnen. An Guſtav von Brinckmann. Den 10. Februar 1805. — Ich habe Paulinen alles auf’s allerverſtändlichſte er- klärt; weil ſie mich grade, mit wiederholten Fragen nerven

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/277>, abgerufen am 27.11.2024.