Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834.

Bild:
<< vorherige Seite

auch so auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter:
und mir kämen schon von je her alle Menschen wie Früh-
lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander
wirrt; keine weiß wie sie fällt; die wenigsten tragen Früchte,
die Jahrszeit geht ihren Gang; die Menschen sehen es ganz
für ihre Rechnung an, und haben meist genug zu leben. Sag
das alles Mamaen. Gott stärke dich. Ich erwarte Briefe
von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet
sich meine Reise. Hier blühen alle Bäume, und dabei ist kein
wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt ist vie-
les
häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu!

R. L.

Du wirst sehen, meine liebe Citoyenne, wann dieser Brief
geschrieben ist: er lag zum Abgehen, als ich gestern, den 15.,
deinen aus Amsterdam bekam. Er ging also nur fünf Tage,
und sehr schnell. Du hast mir so wenig geschrieben: und
Mama schreibt: "du wärst gewiß glücklich, wenn dir Gott
Gesundheit schenkt." Ist das nur facon de parler, oder bist
du unpaß? Du schreibst, du habest noch kein Theater gesehen,
und Ludwig schreibt wieder, er hat eines gesehen. Das reim'
ich mir alles zusammen. Du bist doch nicht unpaß, von der
Reise, Heirath, Agitation und alles zusammen? Fang so
etwas nicht an! Ich muß dir nur sagen, ich habe keine ge-
sunde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh beständig
aus: aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge-
sundheit. Immer
Gliederschmerzen, Mattigkeit und Schläf-
rigkeit. Wie oft! geh' ich nicht nach Plaisirs, bloß weil ich
nicht kann, und mich (ich mich) zu fatiguirt fühle; com-

auch ſo auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter:
und mir kämen ſchon von je her alle Menſchen wie Früh-
lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander
wirrt; keine weiß wie ſie fällt; die wenigſten tragen Früchte,
die Jahrszeit geht ihren Gang; die Menſchen ſehen es ganz
für ihre Rechnung an, und haben meiſt genug zu leben. Sag
das alles Mamaen. Gott ſtärke dich. Ich erwarte Briefe
von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet
ſich meine Reiſe. Hier blühen alle Bäume, und dabei iſt kein
wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt iſt vie-
les
häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu!

R. L.

Du wirſt ſehen, meine liebe Citoyenne, wann dieſer Brief
geſchrieben iſt: er lag zum Abgehen, als ich geſtern, den 15.,
deinen aus Amſterdam bekam. Er ging alſo nur fünf Tage,
und ſehr ſchnell. Du haſt mir ſo wenig geſchrieben: und
Mama ſchreibt: „du wärſt gewiß glücklich, wenn dir Gott
Geſundheit ſchenkt.“ Iſt das nur façon de parler, oder biſt
du unpaß? Du ſchreibſt, du habeſt noch kein Theater geſehen,
und Ludwig ſchreibt wieder, er hat eines geſehen. Das reim’
ich mir alles zuſammen. Du biſt doch nicht unpaß, von der
Reiſe, Heirath, Agitation und alles zuſammen? Fang ſo
etwas nicht an! Ich muß dir nur ſagen, ich habe keine ge-
ſunde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh beſtändig
aus: aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge-
ſundheit. Immer
Gliederſchmerzen, Mattigkeit und Schläf-
rigkeit. Wie oft! geh’ ich nicht nach Plaiſirs, bloß weil ich
nicht kann, und mich (ich mich) zu fatiguirt fühle; com-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0249" n="235"/>
auch &#x017F;o auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter:<lb/>
und mir kämen &#x017F;chon von <hi rendition="#g">je</hi> her alle Men&#x017F;chen wie Früh-<lb/>
lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander<lb/>
wirrt; keine weiß wie &#x017F;ie fällt; die wenig&#x017F;ten tragen Früchte,<lb/>
die Jahrszeit geht ihren Gang; die Men&#x017F;chen &#x017F;ehen es ganz<lb/>
für ihre Rechnung an, und haben mei&#x017F;t genug zu leben. Sag<lb/>
das alles Mamaen. Gott &#x017F;tärke dich. Ich erwarte Briefe<lb/>
von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet<lb/>
&#x017F;ich meine Rei&#x017F;e. Hier blühen alle Bäume, und dabei i&#x017F;t kein<lb/>
wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt i&#x017F;t <hi rendition="#g">vie-<lb/>
les</hi> häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu!</p><lb/>
            <closer>
              <salute> <hi rendition="#et">R. L.</hi> </salute>
            </closer>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <p>Du wir&#x017F;t &#x017F;ehen, meine liebe <hi rendition="#aq">Citoyenne,</hi> wann die&#x017F;er Brief<lb/>
ge&#x017F;chrieben i&#x017F;t: er lag zum Abgehen, als ich ge&#x017F;tern, den 15.,<lb/>
deinen aus Am&#x017F;terdam bekam. Er ging al&#x017F;o nur fünf Tage,<lb/>
und &#x017F;ehr &#x017F;chnell. Du ha&#x017F;t mir &#x017F;o wenig ge&#x017F;chrieben: und<lb/>
Mama &#x017F;chreibt: &#x201E;du wär&#x017F;t gewiß glücklich, wenn dir Gott<lb/>
Ge&#x017F;undheit &#x017F;chenkt.&#x201C; I&#x017F;t das nur <hi rendition="#aq">façon de parler,</hi> oder bi&#x017F;t<lb/>
du unpaß? Du &#x017F;chreib&#x017F;t, du habe&#x017F;t noch kein Theater ge&#x017F;ehen,<lb/>
und Ludwig &#x017F;chreibt wieder, er hat eines ge&#x017F;ehen. Das reim&#x2019;<lb/>
ich mir alles zu&#x017F;ammen. Du bi&#x017F;t doch nicht unpaß, von der<lb/>
Rei&#x017F;e, Heirath, Agitation und alles zu&#x017F;ammen? Fang &#x017F;o<lb/>
etwas nicht an! Ich muß dir nur &#x017F;agen, ich habe keine ge-<lb/>
&#x017F;unde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh <hi rendition="#g">be&#x017F;tändig</hi><lb/>
aus: <hi rendition="#g">aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge-<lb/>
&#x017F;undheit. Immer</hi> Glieder&#x017F;chmerzen, Mattigkeit und Schläf-<lb/>
rigkeit. Wie oft! geh&#x2019; ich nicht nach Plai&#x017F;irs, <hi rendition="#g">bloß</hi> weil ich<lb/>
nicht <hi rendition="#g">kann</hi>, und mich (<hi rendition="#g">ich mich</hi>) zu fatiguirt fühle; <hi rendition="#aq">com-<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[235/0249] auch ſo auf den Wogen der ganzen Welt auf und unter: und mir kämen ſchon von je her alle Menſchen wie Früh- lingsblüthen vor, die der frühe Wind abweht, untereinander wirrt; keine weiß wie ſie fällt; die wenigſten tragen Früchte, die Jahrszeit geht ihren Gang; die Menſchen ſehen es ganz für ihre Rechnung an, und haben meiſt genug zu leben. Sag das alles Mamaen. Gott ſtärke dich. Ich erwarte Briefe von Markus; danach, und nach Wetter und Wegen, richtet ſich meine Reiſe. Hier blühen alle Bäume, und dabei iſt kein wohlthätiges Frühlingswetter wie bei uns. Überhaupt iſt vie- les häßlicher von der Natur, und übrigens. Mündlich. Adieu! R. L. Du wirſt ſehen, meine liebe Citoyenne, wann dieſer Brief geſchrieben iſt: er lag zum Abgehen, als ich geſtern, den 15., deinen aus Amſterdam bekam. Er ging alſo nur fünf Tage, und ſehr ſchnell. Du haſt mir ſo wenig geſchrieben: und Mama ſchreibt: „du wärſt gewiß glücklich, wenn dir Gott Geſundheit ſchenkt.“ Iſt das nur façon de parler, oder biſt du unpaß? Du ſchreibſt, du habeſt noch kein Theater geſehen, und Ludwig ſchreibt wieder, er hat eines geſehen. Das reim’ ich mir alles zuſammen. Du biſt doch nicht unpaß, von der Reiſe, Heirath, Agitation und alles zuſammen? Fang ſo etwas nicht an! Ich muß dir nur ſagen, ich habe keine ge- ſunde Stunde. Ich bin gar nicht krank, geh beſtändig aus: aber auch nicht ein Ahndungsgefühl von Ge- ſundheit. Immer Gliederſchmerzen, Mattigkeit und Schläf- rigkeit. Wie oft! geh’ ich nicht nach Plaiſirs, bloß weil ich nicht kann, und mich (ich mich) zu fatiguirt fühle; com-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/249
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 235. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/249>, abgerufen am 25.11.2024.