und frei wieder sehen. Von Neuigkeiten schreib' ich nie etwas; und es soll mich auch niemand danach fragen. Weil sie alle die Zeitungen enthalten; ich keine weiß, keine wissen will, und keine über meine Zunge und Feder kommen soll. Wir haben noch immer das sanfteste Sommerwetter, und in den Tuilerien kann man gleich gehen, wenn es nur nicht regnet. Denk dir! ich habe keinen Menschen um in die Thea- ter zu gehen: und es sind hier alle Tage einige zwanzig. Manchen Tag weiß ich nicht, was in allen zwanzig gegeben wird, als z. B. heute. Zu Hause hab' ich Menschen, und keine Stücke, und hier umgekehrt. Ich laß mir aber alles in Geduld, wirklich in Geduld gefallen. Ich werde hier einen Brief an Burgsdorf beilegen, den wirst du gleich auf die Post schicken. Wenn ich morgen vom Schreiben nicht zu fatiguirt sein werde -- denn zu morgen Abend muß alles zu Lombard -- so schreib' ich dir auch noch, Ludwig! Dein Brief war wunderhübsch, und hat mich sehr amüsirt und gefreut: später oder früher werd' ich dir suchen eben solchen zu schreiben. Nette grüß ich ganz erschrecklich! sag' ihr, sie ginge mir gar nicht aus den Gedanken, und alles was ich für mich bedächte, bedächte ich immer für sie mit. Sag' ihr: "Und die Nacht, sie muß sich erhellen." Sagt Goethe. So lange ich lebe, hätte sie eine Freundin, deren Freundschaft gewiß nicht mehr allzulange müßig bleiben wird. Kurz, ich denke ernstlich drauf, ihr das Leben zu erleichtern; sie möchte mir hierauf nicht ant- worten: es versteht sich ganz von selbst: und nur ihrer ver- zweifelten Lage willen wiederhol' ich es auch nur hier. Adieu, liebe Kinder.
R. L.
und frei wieder ſehen. Von Neuigkeiten ſchreib’ ich nie etwas; und es ſoll mich auch niemand danach fragen. Weil ſie alle die Zeitungen enthalten; ich keine weiß, keine wiſſen will, und keine über meine Zunge und Feder kommen ſoll. Wir haben noch immer das ſanfteſte Sommerwetter, und in den Tuilerien kann man gleich gehen, wenn es nur nicht regnet. Denk dir! ich habe keinen Menſchen um in die Thea- ter zu gehen: und es ſind hier alle Tage einige zwanzig. Manchen Tag weiß ich nicht, was in allen zwanzig gegeben wird, als z. B. heute. Zu Hauſe hab’ ich Menſchen, und keine Stücke, und hier umgekehrt. Ich laß mir aber alles in Geduld, wirklich in Geduld gefallen. Ich werde hier einen Brief an Burgsdorf beilegen, den wirſt du gleich auf die Poſt ſchicken. Wenn ich morgen vom Schreiben nicht zu fatiguirt ſein werde — denn zu morgen Abend muß alles zu Lombard — ſo ſchreib’ ich dir auch noch, Ludwig! Dein Brief war wunderhübſch, und hat mich ſehr amüſirt und gefreut: ſpäter oder früher werd’ ich dir ſuchen eben ſolchen zu ſchreiben. Nette grüß ich ganz erſchrecklich! ſag’ ihr, ſie ginge mir gar nicht aus den Gedanken, und alles was ich für mich bedächte, bedächte ich immer für ſie mit. Sag’ ihr: „Und die Nacht, ſie muß ſich erhellen.“ Sagt Goethe. So lange ich lebe, hätte ſie eine Freundin, deren Freundſchaft gewiß nicht mehr allzulange müßig bleiben wird. Kurz, ich denke ernſtlich drauf, ihr das Leben zu erleichtern; ſie möchte mir hierauf nicht ant- worten: es verſteht ſich ganz von ſelbſt: und nur ihrer ver- zweifelten Lage willen wiederhol’ ich es auch nur hier. Adieu, liebe Kinder.
R. L.
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und frei wieder ſehen. Von Neuigkeiten ſchreib’ ich nie
etwas; und es ſoll mich auch niemand danach fragen. Weil
ſie alle die Zeitungen enthalten; ich keine weiß, keine wiſſen
will, und keine über meine Zunge und Feder kommen ſoll.
Wir haben noch immer das ſanfteſte Sommerwetter, und in
den Tuilerien kann man gleich gehen, wenn es nur nicht
regnet. Denk dir! ich habe keinen Menſchen um in die Thea-
ter zu gehen: und es ſind hier alle Tage einige zwanzig.
Manchen Tag weiß ich nicht, was in allen zwanzig gegeben
wird, als z. B. heute. Zu Hauſe hab’ ich Menſchen, und
keine Stücke, und hier umgekehrt. Ich laß mir aber alles in
Geduld, wirklich in Geduld gefallen. Ich werde hier einen
Brief an Burgsdorf beilegen, den wirſt du gleich auf die Poſt
ſchicken. Wenn ich morgen vom Schreiben nicht zu fatiguirt
ſein werde — denn zu morgen Abend muß alles zu Lombard
— ſo ſchreib’ ich dir auch noch, Ludwig! Dein Brief war
wunderhübſch, und hat mich ſehr amüſirt und gefreut: ſpäter
oder früher werd’ ich dir ſuchen eben ſolchen zu ſchreiben.
Nette grüß ich ganz erſchrecklich! ſag’ ihr, ſie ginge mir gar
nicht aus den Gedanken, und alles was ich für mich bedächte,
bedächte ich immer für ſie mit. Sag’ ihr: „Und die Nacht,
ſie muß ſich erhellen.“ Sagt Goethe. So lange ich lebe,
hätte ſie eine Freundin, deren Freundſchaft gewiß nicht mehr
allzulange müßig bleiben wird. Kurz, ich denke ernſtlich drauf,
ihr das Leben zu erleichtern; ſie möchte mir hierauf nicht ant-
worten: es verſteht ſich ganz von ſelbſt: und nur ihrer ver-
zweifelten Lage willen wiederhol’ ich es auch nur hier. Adieu,
liebe Kinder.
R. L.
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/243>, abgerufen am 25.11.2024.
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