mich, leider! ich lieb sie aber. Sie ist brav bis zur Thätig- keit, -- aber auch alles Übrige bis zur Thätigkeit. Hundert Komplimente an Mama! ich danke ihr auf's durchdrungenste für ihren freundlichen Brief! Sag' nur! ich wäre ihr erstes Kind, und würde auch wohl ihr letztes sein; -- aber in ein paar Jahren würden die Leute die Mutter nur an meiner Ehrerbietung und Kindliebesäußerungen unterscheiden können. Den Lotteriezettel hass' ich aber nach wie vor. Ich habe noch immer die größte Forderung an Fortuna, und zeitlebens lass' ich sie nicht los. Adieu! Ludwig schreib' ich noch. Mo- ritz grüß' ich wenn er will.
Adieu. R. L.
1801.
Der Mensch als Mensch ist selbst ein Werk der Kunst, und sein ganzes Wesen besteht darin, daß Bewußtsein und Nicht-Bewußtsein gehörig in ihm wechseln. Darum liebe ich Goethe so! und habe mir erlaubt zu sagen, der Dichter als Künstler müsse alle seine Stimmung am Ende brauchen, wie der Bildhauer seinen Marmor -- und gewissermaßen ent- heiligt auch der Dichter sich immer: so lange er selbst lei- dend fühlt, wird er nicht Dichter, und er wird schlecht Dichter, wenn er leidend fühlt; dies wechselt bei dem großen Goethe ja in solcher Präzision, daß er ewige Thränen der Bewunderung erregt: und ist Bewunderung nicht die eigentlichste Rührung? und das andere nur Mitleid? Warum lieben Sie denn die harmonische Ausbildung unserer Anlagen über alles! und wollen sie im Gefühl nicht erlauben? -- warum soll der Dichter am Ende nur selbst eine lyrische Stimmung sein
mich, leider! ich lieb ſie aber. Sie iſt brav bis zur Thätig- keit, — aber auch alles Übrige bis zur Thätigkeit. Hundert Komplimente an Mama! ich danke ihr auf’s durchdrungenſte für ihren freundlichen Brief! Sag’ nur! ich wäre ihr erſtes Kind, und würde auch wohl ihr letztes ſein; — aber in ein paar Jahren würden die Leute die Mutter nur an meiner Ehrerbietung und Kindliebesäußerungen unterſcheiden können. Den Lotteriezettel haſſ’ ich aber nach wie vor. Ich habe noch immer die größte Forderung an Fortuna, und zeitlebens laſſ’ ich ſie nicht los. Adieu! Ludwig ſchreib’ ich noch. Mo- ritz grüß’ ich wenn er will.
Adieu. R. L.
1801.
Der Menſch als Menſch iſt ſelbſt ein Werk der Kunſt, und ſein ganzes Weſen beſteht darin, daß Bewußtſein und Nicht-Bewußtſein gehörig in ihm wechſeln. Darum liebe ich Goethe ſo! und habe mir erlaubt zu ſagen, der Dichter als Künſtler müſſe alle ſeine Stimmung am Ende brauchen, wie der Bildhauer ſeinen Marmor — und gewiſſermaßen ent- heiligt auch der Dichter ſich immer: ſo lange er ſelbſt lei- dend fühlt, wird er nicht Dichter, und er wird ſchlecht Dichter, wenn er leidend fühlt; dies wechſelt bei dem großen Goethe ja in ſolcher Präziſion, daß er ewige Thränen der Bewunderung erregt: und iſt Bewunderung nicht die eigentlichſte Rührung? und das andere nur Mitleid? Warum lieben Sie denn die harmoniſche Ausbildung unſerer Anlagen über alles! und wollen ſie im Gefühl nicht erlauben? — warum ſoll der Dichter am Ende nur ſelbſt eine lyriſche Stimmung ſein
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mich, leider! ich lieb ſie aber. Sie iſt brav bis zur Thätig-
keit, — aber auch alles Übrige bis zur Thätigkeit. Hundert
Komplimente an Mama! ich danke ihr auf’s durchdrungenſte
für ihren freundlichen Brief! Sag’ nur! ich wäre ihr erſtes
Kind, und würde auch wohl ihr letztes ſein; — aber in ein
paar Jahren würden die Leute die Mutter nur an meiner
Ehrerbietung und Kindliebesäußerungen unterſcheiden können.
Den Lotteriezettel haſſ’ ich aber nach wie vor. Ich habe
noch immer die größte Forderung an Fortuna, und zeitlebens
laſſ’ ich ſie nicht los. Adieu! Ludwig ſchreib’ ich noch. Mo-
ritz grüß’ ich wenn er will.
Adieu. R. L.
1801.
Der Menſch als Menſch iſt ſelbſt ein Werk der Kunſt,
und ſein ganzes Weſen beſteht darin, daß Bewußtſein und
Nicht-Bewußtſein gehörig in ihm wechſeln. Darum liebe ich
Goethe ſo! und habe mir erlaubt zu ſagen, der Dichter als
Künſtler müſſe alle ſeine Stimmung am Ende brauchen, wie
der Bildhauer ſeinen Marmor — und gewiſſermaßen ent-
heiligt auch der Dichter ſich immer: ſo lange er ſelbſt lei-
dend fühlt, wird er nicht Dichter, und er wird ſchlecht
Dichter, wenn er leidend fühlt; dies wechſelt bei dem großen
Goethe ja in ſolcher Präziſion, daß er ewige Thränen der
Bewunderung erregt: und iſt Bewunderung nicht die eigentlichſte
Rührung? und das andere nur Mitleid? Warum lieben Sie
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der Dichter am Ende nur ſelbſt eine lyriſche Stimmung ſein
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Varnhagen von Ense, Rahel: Rahel. Bd. 1. Berlin, 1834, S. 226. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_rahel01_1834/240>, abgerufen am 25.11.2024.
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