daß man nur seine eignen Kinder, aber keine fremden, erziehen könne. Dieses Erziehen der eignen Kinder nun, ich muß es sagen, leistet er auf die vortrefflichste Weise, ich habe es in diesen zwei Tagen so gut erkannt, als ob es hundert gewesen wären. Die Kinder sind glücklich, gedeihen in zarter Liebe und gesunder Stärke, entwickeln sich nach eigner Art, und für diese Eigenheit hat Jean Paul das leiseste Gefühl, die sorgsamste Acht und Leitung.
Nürnberg, Donnerstag den 27. Oktober. Ich habe noch einiges von meintm letzten Abend in Baireuth bei Jean Paul nachzuholen. -- Die Frau war nach Hause gekommen, und nahm an dem letzten Gespräche einigen Antheil, entfernte sich aber bald wieder in häuslichen Geschäften. Die zwei jüngsten Kinder waren einge¬ schlafen. Ich wollte den lieben Kindern gern ein An¬ denken von mir zurücklassen, setzte mich daher zum Tisch, und begann einige Bildchen für sie auszuschnei¬ den. Als Jean Paul diese kleine Kinderwelt aus Pa¬ pier ziemlich schnell vor seinen Augen entstehen sah, wurde er selber von Kindergefühlen ergriffen, mit ver¬ gnügter Lebhaftigkeit rief er seine Frau herbei, weckte seine Kinder auf, das dritte hatte sich schon an mich ge¬ schmiegt, und nun sollte ich umständlich von Allem Rechen¬ schaft geben. Meine kleinen Arbeiten wurden von den Kindern mit Jubel aufgenommen, sie behaupteten, ich sei das Christkindchen, das ihnen Geschenke bringe, und
daß man nur ſeine eignen Kinder, aber keine fremden, erziehen koͤnne. Dieſes Erziehen der eignen Kinder nun, ich muß es ſagen, leiſtet er auf die vortrefflichſte Weiſe, ich habe es in dieſen zwei Tagen ſo gut erkannt, als ob es hundert geweſen waͤren. Die Kinder ſind gluͤcklich, gedeihen in zarter Liebe und geſunder Staͤrke, entwickeln ſich nach eigner Art, und fuͤr dieſe Eigenheit hat Jean Paul das leiſeſte Gefuͤhl, die ſorgſamſte Acht und Leitung.
Nuͤrnberg, Donnerstag den 27. Oktober. Ich habe noch einiges von meintm letzten Abend in Baireuth bei Jean Paul nachzuholen. — Die Frau war nach Hauſe gekommen, und nahm an dem letzten Geſpraͤche einigen Antheil, entfernte ſich aber bald wieder in haͤuslichen Geſchaͤften. Die zwei juͤngſten Kinder waren einge¬ ſchlafen. Ich wollte den lieben Kindern gern ein An¬ denken von mir zuruͤcklaſſen, ſetzte mich daher zum Tiſch, und begann einige Bildchen fuͤr ſie auszuſchnei¬ den. Als Jean Paul dieſe kleine Kinderwelt aus Pa¬ pier ziemlich ſchnell vor ſeinen Augen entſtehen ſah, wurde er ſelber von Kindergefuͤhlen ergriffen, mit ver¬ gnuͤgter Lebhaftigkeit rief er ſeine Frau herbei, weckte ſeine Kinder auf, das dritte hatte ſich ſchon an mich ge¬ ſchmiegt, und nun ſollte ich umſtaͤndlich von Allem Rechen¬ ſchaft geben. Meine kleinen Arbeiten wurden von den Kindern mit Jubel aufgenommen, ſie behaupteten, ich ſei das Chriſtkindchen, das ihnen Geſchenke bringe, und
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daß man nur ſeine eignen Kinder, aber keine fremden,
erziehen koͤnne. Dieſes Erziehen der eignen Kinder
nun, ich muß es ſagen, leiſtet er auf die vortrefflichſte
Weiſe, ich habe es in dieſen zwei Tagen ſo gut erkannt,
als ob es hundert geweſen waͤren. Die Kinder ſind
gluͤcklich, gedeihen in zarter Liebe und geſunder Staͤrke,
entwickeln ſich nach eigner Art, und fuͤr dieſe Eigenheit
hat Jean Paul das leiſeſte Gefuͤhl, die ſorgſamſte Acht
und Leitung.
Nuͤrnberg, Donnerstag den 27. Oktober. Ich habe
noch einiges von meintm letzten Abend in Baireuth bei
Jean Paul nachzuholen. — Die Frau war nach Hauſe
gekommen, und nahm an dem letzten Geſpraͤche einigen
Antheil, entfernte ſich aber bald wieder in haͤuslichen
Geſchaͤften. Die zwei juͤngſten Kinder waren einge¬
ſchlafen. Ich wollte den lieben Kindern gern ein An¬
denken von mir zuruͤcklaſſen, ſetzte mich daher zum
Tiſch, und begann einige Bildchen fuͤr ſie auszuſchnei¬
den. Als Jean Paul dieſe kleine Kinderwelt aus Pa¬
pier ziemlich ſchnell vor ſeinen Augen entſtehen ſah,
wurde er ſelber von Kindergefuͤhlen ergriffen, mit ver¬
gnuͤgter Lebhaftigkeit rief er ſeine Frau herbei, weckte
ſeine Kinder auf, das dritte hatte ſich ſchon an mich ge¬
ſchmiegt, und nun ſollte ich umſtaͤndlich von Allem Rechen¬
ſchaft geben. Meine kleinen Arbeiten wurden von den
Kindern mit Jubel aufgenommen, ſie behaupteten, ich
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/89>, abgerufen am 28.11.2024.
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