Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

aufgegeben und seinem eignen Absterben überlassen würde,
dann, meinte er, werde sich ohne gewaltsame Umkehr,
durch bloße Entwicklung, aus dem Vorhandenen und
Bestehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren
die Nation seufzend entbehre, unmerklich und unver¬
hinderlich von selbst hervorbilden. Dabei war er billig
genug, seiner sonstigen Art entgegen, welche sogleich
alles oder nichts gegen einander stellte, auch jeden ge¬
ringsten Keim des neuen Lebens, jeden theilweisen noch
so kleinen Anfang der gebotenen Entwicklung dankbar
aufzunehmen und schon mit solchem fürerst begnügt sein
zu wollen. Sein geistig bedeutendes, mit aller Kraft
der innigsten und redlichsten Ueberzeugung mächtig aus¬
gesprochenes Wort wirkte besonders auch durch den außer¬
ordentlichen Muth, mit welchem ein deutscher Professor
im Angesicht der französischen Kriegsgewalt, deren
Gegenwart durch die Trommeln vorbeiziehender Truppen
mehrmals dem Vortrag unmittelbar hemmend und auf¬
dringlich mahnend wurde, die von dem Feinde umge¬
worfene und niedergehaltene Fahne deutschen Volksthums
aufpflanzte, und ein Prinzip verkündigte, welches in
seiner Entfaltung den fremden Gewalthabern den Sieg
wieder entreißen und ihre Macht vernichten sollte. Der
Gedanke an das Schicksal des Buchhändles Palm war
noch ganz lebendig, und machte manches Herz für den
unerschrockenen Mann zittern, dessen Freiheit und Leben
an jedem seiner Worte wie an einem Faden hing, und

aufgegeben und ſeinem eignen Abſterben uͤberlaſſen wuͤrde,
dann, meinte er, werde ſich ohne gewaltſame Umkehr,
durch bloße Entwicklung, aus dem Vorhandenen und
Beſtehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren
die Nation ſeufzend entbehre, unmerklich und unver¬
hinderlich von ſelbſt hervorbilden. Dabei war er billig
genug, ſeiner ſonſtigen Art entgegen, welche ſogleich
alles oder nichts gegen einander ſtellte, auch jeden ge¬
ringſten Keim des neuen Lebens, jeden theilweiſen noch
ſo kleinen Anfang der gebotenen Entwicklung dankbar
aufzunehmen und ſchon mit ſolchem fuͤrerſt begnuͤgt ſein
zu wollen. Sein geiſtig bedeutendes, mit aller Kraft
der innigſten und redlichſten Ueberzeugung maͤchtig aus¬
geſprochenes Wort wirkte beſonders auch durch den außer¬
ordentlichen Muth, mit welchem ein deutſcher Profeſſor
im Angeſicht der franzoͤſiſchen Kriegsgewalt, deren
Gegenwart durch die Trommeln vorbeiziehender Truppen
mehrmals dem Vortrag unmittelbar hemmend und auf¬
dringlich mahnend wurde, die von dem Feinde umge¬
worfene und niedergehaltene Fahne deutſchen Volksthums
aufpflanzte, und ein Prinzip verkuͤndigte, welches in
ſeiner Entfaltung den fremden Gewalthabern den Sieg
wieder entreißen und ihre Macht vernichten ſollte. Der
Gedanke an das Schickſal des Buchhaͤndles Palm war
noch ganz lebendig, und machte manches Herz fuͤr den
unerſchrockenen Mann zittern, deſſen Freiheit und Leben
an jedem ſeiner Worte wie an einem Faden hing, und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0069" n="57"/>
aufgegeben und &#x017F;einem eignen Ab&#x017F;terben u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en wu&#x0364;rde,<lb/>
dann, meinte er, werde &#x017F;ich ohne gewalt&#x017F;ame Umkehr,<lb/>
durch bloße Entwicklung, aus dem Vorhandenen und<lb/>
Be&#x017F;tehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren<lb/>
die Nation &#x017F;eufzend entbehre, unmerklich und unver¬<lb/>
hinderlich von &#x017F;elb&#x017F;t hervorbilden. Dabei war er billig<lb/>
genug, &#x017F;einer &#x017F;on&#x017F;tigen Art entgegen, welche &#x017F;ogleich<lb/>
alles oder nichts gegen einander &#x017F;tellte, auch jeden ge¬<lb/>
ring&#x017F;ten Keim des neuen Lebens, jeden theilwei&#x017F;en noch<lb/>
&#x017F;o kleinen Anfang der gebotenen Entwicklung dankbar<lb/>
aufzunehmen und &#x017F;chon mit &#x017F;olchem fu&#x0364;rer&#x017F;t begnu&#x0364;gt &#x017F;ein<lb/>
zu wollen. Sein gei&#x017F;tig bedeutendes, mit aller Kraft<lb/>
der innig&#x017F;ten und redlich&#x017F;ten Ueberzeugung ma&#x0364;chtig aus¬<lb/>
ge&#x017F;prochenes Wort wirkte be&#x017F;onders auch durch den außer¬<lb/>
ordentlichen Muth, mit welchem ein deut&#x017F;cher Profe&#x017F;&#x017F;or<lb/>
im Ange&#x017F;icht der franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;chen Kriegsgewalt, deren<lb/>
Gegenwart durch die Trommeln vorbeiziehender Truppen<lb/>
mehrmals dem Vortrag unmittelbar hemmend und auf¬<lb/>
dringlich mahnend wurde, die von dem Feinde umge¬<lb/>
worfene und niedergehaltene Fahne deut&#x017F;chen Volksthums<lb/>
aufpflanzte, und ein Prinzip verku&#x0364;ndigte, welches in<lb/>
&#x017F;einer Entfaltung den fremden Gewalthabern den Sieg<lb/>
wieder entreißen und ihre Macht vernichten &#x017F;ollte. Der<lb/>
Gedanke an das Schick&#x017F;al des Buchha&#x0364;ndles Palm war<lb/>
noch ganz lebendig, und machte manches Herz fu&#x0364;r den<lb/>
uner&#x017F;chrockenen Mann zittern, de&#x017F;&#x017F;en Freiheit und Leben<lb/>
an jedem &#x017F;einer Worte wie an einem Faden hing, und<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[57/0069] aufgegeben und ſeinem eignen Abſterben uͤberlaſſen wuͤrde, dann, meinte er, werde ſich ohne gewaltſame Umkehr, durch bloße Entwicklung, aus dem Vorhandenen und Beſtehenden die ganze Kraft und Herrlichkeit, deren die Nation ſeufzend entbehre, unmerklich und unver¬ hinderlich von ſelbſt hervorbilden. Dabei war er billig genug, ſeiner ſonſtigen Art entgegen, welche ſogleich alles oder nichts gegen einander ſtellte, auch jeden ge¬ ringſten Keim des neuen Lebens, jeden theilweiſen noch ſo kleinen Anfang der gebotenen Entwicklung dankbar aufzunehmen und ſchon mit ſolchem fuͤrerſt begnuͤgt ſein zu wollen. Sein geiſtig bedeutendes, mit aller Kraft der innigſten und redlichſten Ueberzeugung maͤchtig aus¬ geſprochenes Wort wirkte beſonders auch durch den außer¬ ordentlichen Muth, mit welchem ein deutſcher Profeſſor im Angeſicht der franzoͤſiſchen Kriegsgewalt, deren Gegenwart durch die Trommeln vorbeiziehender Truppen mehrmals dem Vortrag unmittelbar hemmend und auf¬ dringlich mahnend wurde, die von dem Feinde umge¬ worfene und niedergehaltene Fahne deutſchen Volksthums aufpflanzte, und ein Prinzip verkuͤndigte, welches in ſeiner Entfaltung den fremden Gewalthabern den Sieg wieder entreißen und ihre Macht vernichten ſollte. Der Gedanke an das Schickſal des Buchhaͤndles Palm war noch ganz lebendig, und machte manches Herz fuͤr den unerſchrockenen Mann zittern, deſſen Freiheit und Leben an jedem ſeiner Worte wie an einem Faden hing, und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/69
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 57. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/69>, abgerufen am 26.11.2024.