Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

wünschen ab, hüllten uns gegen das einbrechende Win¬
terwetter in unsre guten Mäntel, und harrten die lang¬
same Postreise, die uns nach Berlin zurückführte, ge¬
duldig aus. Ueberall wo wir durchkamen, sahen wir
französische Truppen und Verwaltungen zum Ueber¬
wintern in das bedrückte Land ausgetheilt; ein trauriger
Anblick, der dadurch nicht besser wurde, daß auch die
Franzosen dieses Loos ihrerseits gar nicht beneidenswerth
fanden, wie uns die Resignirtesten noch im vergeblichen
Grimm eifrig betheuerten.

Berlin.

Eine neue Lebensreihe begann, und für mich ganz
ungewöhnlich unter eigenthümlichem Unbehagen, da
bisher fast immer bei jedem Abschnitte frohe Stimmung
und günstiges Ereigniß mich getragen hatten. Auch
half es nichts, daß ich jenes Gefühl mir verläugnen,
seine Wirkung durch Fleiß und Geistesmacht aufheben
wollte, von allen Seiten häufte sich mir eine besondre
Widrigkeit, die denn auch nur allzu schnell in mancher¬
lei Mißhelligkeiten sich entladete. Vieles davon lag
allerdings in meiner Gemüthsart, deren Anlage und
Triebe sich in voller Freiheit bewegen durften, anderes
aber in meinen Verhältnissen, welche aus Ueberreifem
und Unreifem zusammengesetzt, außer allem Gleichge¬
wichte schwankten, und indem sie dieses suchten, bald
nach oben bald nach unten übermäßig anschlugen. Das

wuͤnſchen ab, huͤllten uns gegen das einbrechende Win¬
terwetter in unſre guten Maͤntel, und harrten die lang¬
ſame Poſtreiſe, die uns nach Berlin zuruͤckfuͤhrte, ge¬
duldig aus. Ueberall wo wir durchkamen, ſahen wir
franzoͤſiſche Truppen und Verwaltungen zum Ueber¬
wintern in das bedruͤckte Land ausgetheilt; ein trauriger
Anblick, der dadurch nicht beſſer wurde, daß auch die
Franzoſen dieſes Loos ihrerſeits gar nicht beneidenswerth
fanden, wie uns die Reſignirteſten noch im vergeblichen
Grimm eifrig betheuerten.

Berlin.

Eine neue Lebensreihe begann, und fuͤr mich ganz
ungewoͤhnlich unter eigenthuͤmlichem Unbehagen, da
bisher faſt immer bei jedem Abſchnitte frohe Stimmung
und guͤnſtiges Ereigniß mich getragen hatten. Auch
half es nichts, daß ich jenes Gefuͤhl mir verlaͤugnen,
ſeine Wirkung durch Fleiß und Geiſtesmacht aufheben
wollte, von allen Seiten haͤufte ſich mir eine beſondre
Widrigkeit, die denn auch nur allzu ſchnell in mancher¬
lei Mißhelligkeiten ſich entladete. Vieles davon lag
allerdings in meiner Gemuͤthsart, deren Anlage und
Triebe ſich in voller Freiheit bewegen durften, anderes
aber in meinen Verhaͤltniſſen, welche aus Ueberreifem
und Unreifem zuſammengeſetzt, außer allem Gleichge¬
wichte ſchwankten, und indem ſie dieſes ſuchten, bald
nach oben bald nach unten uͤbermaͤßig anſchlugen. Das

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0064" n="52"/>
wu&#x0364;n&#x017F;chen ab, hu&#x0364;llten uns gegen das einbrechende Win¬<lb/>
terwetter in un&#x017F;re guten Ma&#x0364;ntel, und harrten die lang¬<lb/>
&#x017F;ame Po&#x017F;trei&#x017F;e, die uns nach Berlin zuru&#x0364;ckfu&#x0364;hrte, ge¬<lb/>
duldig aus. Ueberall wo wir durchkamen, &#x017F;ahen wir<lb/>
franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;che Truppen und Verwaltungen zum Ueber¬<lb/>
wintern in das bedru&#x0364;ckte Land ausgetheilt; ein trauriger<lb/>
Anblick, der dadurch nicht be&#x017F;&#x017F;er wurde, daß auch die<lb/>
Franzo&#x017F;en die&#x017F;es Loos ihrer&#x017F;eits gar nicht beneidenswerth<lb/>
fanden, wie uns die Re&#x017F;ignirte&#x017F;ten noch im vergeblichen<lb/>
Grimm eifrig betheuerten.</p><lb/>
        </div>
        <div n="2">
          <head><hi rendition="#g">Berlin</hi>.<lb/></head>
          <p>Eine neue Lebensreihe begann, und fu&#x0364;r mich ganz<lb/>
ungewo&#x0364;hnlich unter eigenthu&#x0364;mlichem Unbehagen, da<lb/>
bisher fa&#x017F;t immer bei jedem Ab&#x017F;chnitte frohe Stimmung<lb/>
und gu&#x0364;n&#x017F;tiges Ereigniß mich getragen hatten. Auch<lb/>
half es nichts, daß ich jenes Gefu&#x0364;hl mir verla&#x0364;ugnen,<lb/>
&#x017F;eine Wirkung durch Fleiß und Gei&#x017F;tesmacht aufheben<lb/>
wollte, von allen Seiten ha&#x0364;ufte &#x017F;ich mir eine be&#x017F;ondre<lb/>
Widrigkeit, die denn auch nur allzu &#x017F;chnell in mancher¬<lb/>
lei Mißhelligkeiten &#x017F;ich entladete. Vieles davon lag<lb/>
allerdings in meiner Gemu&#x0364;thsart, deren Anlage und<lb/>
Triebe &#x017F;ich in voller Freiheit bewegen durften, anderes<lb/>
aber in meinen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;en, welche aus Ueberreifem<lb/>
und Unreifem zu&#x017F;ammenge&#x017F;etzt, außer allem Gleichge¬<lb/>
wichte &#x017F;chwankten, und indem &#x017F;ie die&#x017F;es &#x017F;uchten, bald<lb/>
nach oben bald nach unten u&#x0364;berma&#x0364;ßig an&#x017F;chlugen. Das<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[52/0064] wuͤnſchen ab, huͤllten uns gegen das einbrechende Win¬ terwetter in unſre guten Maͤntel, und harrten die lang¬ ſame Poſtreiſe, die uns nach Berlin zuruͤckfuͤhrte, ge¬ duldig aus. Ueberall wo wir durchkamen, ſahen wir franzoͤſiſche Truppen und Verwaltungen zum Ueber¬ wintern in das bedruͤckte Land ausgetheilt; ein trauriger Anblick, der dadurch nicht beſſer wurde, daß auch die Franzoſen dieſes Loos ihrerſeits gar nicht beneidenswerth fanden, wie uns die Reſignirteſten noch im vergeblichen Grimm eifrig betheuerten. Berlin. Eine neue Lebensreihe begann, und fuͤr mich ganz ungewoͤhnlich unter eigenthuͤmlichem Unbehagen, da bisher faſt immer bei jedem Abſchnitte frohe Stimmung und guͤnſtiges Ereigniß mich getragen hatten. Auch half es nichts, daß ich jenes Gefuͤhl mir verlaͤugnen, ſeine Wirkung durch Fleiß und Geiſtesmacht aufheben wollte, von allen Seiten haͤufte ſich mir eine beſondre Widrigkeit, die denn auch nur allzu ſchnell in mancher¬ lei Mißhelligkeiten ſich entladete. Vieles davon lag allerdings in meiner Gemuͤthsart, deren Anlage und Triebe ſich in voller Freiheit bewegen durften, anderes aber in meinen Verhaͤltniſſen, welche aus Ueberreifem und Unreifem zuſammengeſetzt, außer allem Gleichge¬ wichte ſchwankten, und indem ſie dieſes ſuchten, bald nach oben bald nach unten uͤbermaͤßig anſchlugen. Das

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/64
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/64>, abgerufen am 25.11.2024.