nur mit Unwillen, daß ihm das Leben geschenkt und er zur Festung begnadigt sei. Er hatte der Form nach unstreitig gefehlt; aber wer in seiner Stellung, -- so urtheilten damals die tapfersten und höchsten Kriegs¬ männer, -- der Aufforderung Tettenborn's im Stande gewesen wäre, nicht Folge zu leisten, der wäre viel¬ leicht ein klügerer Soldat gewesen, als der General Döbbeln, aber kein größerer Ehrenmann.
Während im Rücken vielfache Beschäftigung auf eine ereignißvolle Zukunft deutete, kamen täglich traurige Boten aus Hamburg als lebendige Zeugen einer jam¬ mervollen Gegenwart an, mit welcher wir uns in so naher Berührung fühlten. Die Verhaftungen, Unter¬ suchungen und Bedrückungen nahmen kein Ende, und die Franzosen zeigten unverhohlen, daß diesmal sogar die Gelderpressungen nicht bloß Gelb, sondern eigent¬ lich den Untergang der armen Stadt zum hauptsäch¬ lichsten Zwecke hatten. Die besten Männer des ganzen Gemeinwesens wurden geächtet; jeder Hamburger war durch einen oder den andern Artikel der grausamen Rachverfügungen Napoleon's der Willkür scheuslicher Schergen verfallen; die reichsten Leute konnten durch kein Geld, die ehrwürdigsten weder durch Amt noch Alter sich vor der Schanzarbeit schützen, zu der man sie gewaltsam hinzog, um sie dem schändlichsten Hohn und mißhandelndem Spott bloßzustellen. Wer konnte, wanderte aus; täglich erschienen Bürger, zum Theil
nur mit Unwillen, daß ihm das Leben geſchenkt und er zur Feſtung begnadigt ſei. Er hatte der Form nach unſtreitig gefehlt; aber wer in ſeiner Stellung, — ſo urtheilten damals die tapferſten und hoͤchſten Kriegs¬ maͤnner, — der Aufforderung Tettenborn's im Stande geweſen waͤre, nicht Folge zu leiſten, der waͤre viel¬ leicht ein kluͤgerer Soldat geweſen, als der General Doͤbbeln, aber kein groͤßerer Ehrenmann.
Waͤhrend im Ruͤcken vielfache Beſchaͤftigung auf eine ereignißvolle Zukunft deutete, kamen taͤglich traurige Boten aus Hamburg als lebendige Zeugen einer jam¬ mervollen Gegenwart an, mit welcher wir uns in ſo naher Beruͤhrung fuͤhlten. Die Verhaftungen, Unter¬ ſuchungen und Bedruͤckungen nahmen kein Ende, und die Franzoſen zeigten unverhohlen, daß diesmal ſogar die Gelderpreſſungen nicht bloß Gelb, ſondern eigent¬ lich den Untergang der armen Stadt zum hauptſaͤch¬ lichſten Zwecke hatten. Die beſten Maͤnner des ganzen Gemeinweſens wurden geaͤchtet; jeder Hamburger war durch einen oder den andern Artikel der grauſamen Rachverfuͤgungen Napoleon's der Willkuͤr ſcheuslicher Schergen verfallen; die reichſten Leute konnten durch kein Geld, die ehrwuͤrdigſten weder durch Amt noch Alter ſich vor der Schanzarbeit ſchuͤtzen, zu der man ſie gewaltſam hinzog, um ſie dem ſchaͤndlichſten Hohn und mißhandelndem Spott bloßzuſtellen. Wer konnte, wanderte aus; taͤglich erſchienen Buͤrger, zum Theil
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nur mit Unwillen, daß ihm das Leben geſchenkt und
er zur Feſtung begnadigt ſei. Er hatte der Form nach
unſtreitig gefehlt; aber wer in ſeiner Stellung, — ſo
urtheilten damals die tapferſten und hoͤchſten Kriegs¬
maͤnner, — der Aufforderung Tettenborn's im Stande
geweſen waͤre, nicht Folge zu leiſten, der waͤre viel¬
leicht ein kluͤgerer Soldat geweſen, als der General
Doͤbbeln, aber kein groͤßerer Ehrenmann.
Waͤhrend im Ruͤcken vielfache Beſchaͤftigung auf eine
ereignißvolle Zukunft deutete, kamen taͤglich traurige
Boten aus Hamburg als lebendige Zeugen einer jam¬
mervollen Gegenwart an, mit welcher wir uns in ſo
naher Beruͤhrung fuͤhlten. Die Verhaftungen, Unter¬
ſuchungen und Bedruͤckungen nahmen kein Ende, und
die Franzoſen zeigten unverhohlen, daß diesmal ſogar
die Gelderpreſſungen nicht bloß Gelb, ſondern eigent¬
lich den Untergang der armen Stadt zum hauptſaͤch¬
lichſten Zwecke hatten. Die beſten Maͤnner des ganzen
Gemeinweſens wurden geaͤchtet; jeder Hamburger war
durch einen oder den andern Artikel der grauſamen
Rachverfuͤgungen Napoleon's der Willkuͤr ſcheuslicher
Schergen verfallen; die reichſten Leute konnten durch
kein Geld, die ehrwuͤrdigſten weder durch Amt noch
Alter ſich vor der Schanzarbeit ſchuͤtzen, zu der man
ſie gewaltſam hinzog, um ſie dem ſchaͤndlichſten Hohn
und mißhandelndem Spott bloßzuſtellen. Wer konnte,
wanderte aus; taͤglich erſchienen Buͤrger, zum Theil
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 398. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/410>, abgerufen am 24.11.2024.
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