Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

walteten. Das Ansehn und Herkommen sprach für
letzteres, die Erwägung dessen, was zu leisten sei, für
jenes, die Furcht, im ersten Augenblick solcher lebhaf¬
ten Bewegung das Gewicht frühern Ansehns und Ge¬
wohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach
und nach die gewünschten Aenderungen dennoch herbei¬
führen zu können, entschieden zuletzt für die unbedingte
Einführung der alten Verfassung mit allen noch vor¬
handenen ehemaligen Mitgliedern derselben. Der größte
Theil der Senatoren war alt und schwach, der Ge¬
schäfte entwöhnt, und ohne Neigung, sich aufs neue
damit zu befassen. Die wenigen Bessern hatten nicht
Kraft genug, die gesammte Last der Arbeiten zu tra¬
gen, und waren ohnedies auf ihre neue politische Rolle
kaum vorbereitet; so kam es denn, daß alles, was die
ausübende Gewalt betraf, wie aus einer andern Zeit
herbeigeholt, ohne Sinn für die Bedürfnisse der Gegen¬
wart, ohne Geist für ihre Leitung blieb. Ebendasselbe
galt von dem Kollegium der Oberalten, und den an¬
dern Ausschüssen der Stadt, so wie von den Anführern
der Bürgerwachen; nirgends fand sich unter den wirk¬
lich in der alten Verfassung Angestellten ein Mann,
der, kraft seiner Stelle und seines Amtes, mit über¬
wiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt hätte. In
der Bürgerschaft war Frische, Lebendigkeit und Eifer,
in den Behörden Nichtigkeit, Besorgniß und Unfähig¬
keit. Alle Versuche, dies zu verbessern, mußten ver¬

walteten. Das Anſehn und Herkommen ſprach fuͤr
letzteres, die Erwaͤgung deſſen, was zu leiſten ſei, fuͤr
jenes, die Furcht, im erſten Augenblick ſolcher lebhaf¬
ten Bewegung das Gewicht fruͤhern Anſehns und Ge¬
wohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach
und nach die gewuͤnſchten Aenderungen dennoch herbei¬
fuͤhren zu koͤnnen, entſchieden zuletzt fuͤr die unbedingte
Einfuͤhrung der alten Verfaſſung mit allen noch vor¬
handenen ehemaligen Mitgliedern derſelben. Der groͤßte
Theil der Senatoren war alt und ſchwach, der Ge¬
ſchaͤfte entwoͤhnt, und ohne Neigung, ſich aufs neue
damit zu befaſſen. Die wenigen Beſſern hatten nicht
Kraft genug, die geſammte Laſt der Arbeiten zu tra¬
gen, und waren ohnedies auf ihre neue politiſche Rolle
kaum vorbereitet; ſo kam es denn, daß alles, was die
ausuͤbende Gewalt betraf, wie aus einer andern Zeit
herbeigeholt, ohne Sinn fuͤr die Beduͤrfniſſe der Gegen¬
wart, ohne Geiſt fuͤr ihre Leitung blieb. Ebendaſſelbe
galt von dem Kollegium der Oberalten, und den an¬
dern Ausſchuͤſſen der Stadt, ſo wie von den Anfuͤhrern
der Buͤrgerwachen; nirgends fand ſich unter den wirk¬
lich in der alten Verfaſſung Angeſtellten ein Mann,
der, kraft ſeiner Stelle und ſeines Amtes, mit uͤber¬
wiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt haͤtte. In
der Buͤrgerſchaft war Friſche, Lebendigkeit und Eifer,
in den Behoͤrden Nichtigkeit, Beſorgniß und Unfaͤhig¬
keit. Alle Verſuche, dies zu verbeſſern, mußten ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0286" n="274"/>
walteten. Das An&#x017F;ehn und Herkommen &#x017F;prach fu&#x0364;r<lb/>
letzteres, die Erwa&#x0364;gung de&#x017F;&#x017F;en, was zu lei&#x017F;ten &#x017F;ei, fu&#x0364;r<lb/>
jenes, die Furcht, im er&#x017F;ten Augenblick &#x017F;olcher lebhaf¬<lb/>
ten Bewegung das Gewicht fru&#x0364;hern An&#x017F;ehns und Ge¬<lb/>
wohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach<lb/>
und nach die gewu&#x0364;n&#x017F;chten Aenderungen dennoch herbei¬<lb/>
fu&#x0364;hren zu ko&#x0364;nnen, ent&#x017F;chieden zuletzt fu&#x0364;r die unbedingte<lb/>
Einfu&#x0364;hrung der alten Verfa&#x017F;&#x017F;ung mit allen noch vor¬<lb/>
handenen ehemaligen Mitgliedern der&#x017F;elben. Der gro&#x0364;ßte<lb/>
Theil der Senatoren war alt und &#x017F;chwach, der Ge¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;fte entwo&#x0364;hnt, und ohne Neigung, &#x017F;ich aufs neue<lb/>
damit zu befa&#x017F;&#x017F;en. Die wenigen Be&#x017F;&#x017F;ern hatten nicht<lb/>
Kraft genug, die ge&#x017F;ammte La&#x017F;t der Arbeiten zu tra¬<lb/>
gen, und waren ohnedies auf ihre neue politi&#x017F;che Rolle<lb/>
kaum vorbereitet; &#x017F;o kam es denn, daß alles, was die<lb/>
ausu&#x0364;bende Gewalt betraf, wie aus einer andern Zeit<lb/>
herbeigeholt, ohne Sinn fu&#x0364;r die Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e der Gegen¬<lb/>
wart, ohne Gei&#x017F;t fu&#x0364;r ihre Leitung blieb. Ebenda&#x017F;&#x017F;elbe<lb/>
galt von dem Kollegium der Oberalten, und den an¬<lb/>
dern Aus&#x017F;chu&#x0364;&#x017F;&#x017F;en der Stadt, &#x017F;o wie von den Anfu&#x0364;hrern<lb/>
der Bu&#x0364;rgerwachen; nirgends fand &#x017F;ich unter den wirk¬<lb/>
lich in der alten Verfa&#x017F;&#x017F;ung Ange&#x017F;tellten ein Mann,<lb/>
der, kraft &#x017F;einer Stelle und &#x017F;eines Amtes, mit u&#x0364;ber¬<lb/>
wiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt ha&#x0364;tte. In<lb/>
der Bu&#x0364;rger&#x017F;chaft war Fri&#x017F;che, Lebendigkeit und Eifer,<lb/>
in den Beho&#x0364;rden Nichtigkeit, Be&#x017F;orgniß und Unfa&#x0364;hig¬<lb/>
keit. Alle Ver&#x017F;uche, dies zu verbe&#x017F;&#x017F;ern, mußten ver¬<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[274/0286] walteten. Das Anſehn und Herkommen ſprach fuͤr letzteres, die Erwaͤgung deſſen, was zu leiſten ſei, fuͤr jenes, die Furcht, im erſten Augenblick ſolcher lebhaf¬ ten Bewegung das Gewicht fruͤhern Anſehns und Ge¬ wohnheiten nicht entbehren, und die Hoffnung, nach und nach die gewuͤnſchten Aenderungen dennoch herbei¬ fuͤhren zu koͤnnen, entſchieden zuletzt fuͤr die unbedingte Einfuͤhrung der alten Verfaſſung mit allen noch vor¬ handenen ehemaligen Mitgliedern derſelben. Der groͤßte Theil der Senatoren war alt und ſchwach, der Ge¬ ſchaͤfte entwoͤhnt, und ohne Neigung, ſich aufs neue damit zu befaſſen. Die wenigen Beſſern hatten nicht Kraft genug, die geſammte Laſt der Arbeiten zu tra¬ gen, und waren ohnedies auf ihre neue politiſche Rolle kaum vorbereitet; ſo kam es denn, daß alles, was die ausuͤbende Gewalt betraf, wie aus einer andern Zeit herbeigeholt, ohne Sinn fuͤr die Beduͤrfniſſe der Gegen¬ wart, ohne Geiſt fuͤr ihre Leitung blieb. Ebendaſſelbe galt von dem Kollegium der Oberalten, und den an¬ dern Ausſchuͤſſen der Stadt, ſo wie von den Anfuͤhrern der Buͤrgerwachen; nirgends fand ſich unter den wirk¬ lich in der alten Verfaſſung Angeſtellten ein Mann, der, kraft ſeiner Stelle und ſeines Amtes, mit uͤber¬ wiegendem Nachdruck gehandelt und gewirkt haͤtte. In der Buͤrgerſchaft war Friſche, Lebendigkeit und Eifer, in den Behoͤrden Nichtigkeit, Beſorgniß und Unfaͤhig¬ keit. Alle Verſuche, dies zu verbeſſern, mußten ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/286
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/286>, abgerufen am 24.11.2024.