folge der Kaiserin Marie Louise gehörig, setzte sich zum Fortepiano und phantasirte; mit ihm wetteiferte der Freiherr von Kruft, aus der österreichischen Staats¬ kanzlei, der gleichfalls ein Meister war; bisweilen spiel¬ ten sie beide zugleich, und suchten durch zwiefaches Im¬ provisiren ein Ganzes hervorzubringen, eine geniale Uebung, wobei sie einander die Gedanken an den Au¬ gen absahen, aus ersten Andeutungen ganze Richtun¬ gen errathen mußten, und durch Begegnen, Meiden, Einlenken, Wiederfinden, Loslassen und Zusammenstim¬ men, eine gespannte Theilnahme und oft die außeror¬ dentlichste Wirkung hervorbrachten.
Die Theilnahme an solchen Vergnügungen hemmte jedoch den Fortgang der Entwürfe nicht, zu denen die Zeitumstände immer dringender aufriefen. Ich war entschlossen, den österreichischen Dienst zu verlassen, von Pfuel und Willisen wußte ich dasselbe, und wenn meine Lage und Verhältnisse mir den Weg nach Rußland für jetzt versperrten, so war auch Norddeutschland ein wei¬ tes Feld, auf welchem, in möglichen Fällen, mancherlei zu unternehmen sein konnte. Hierin bestärkte mich Gruner, der nach Stein's Abreise etwas thätiger her¬ vortrat, aber nun auch schon mehr Aufmerksamkeit weckte, und sich beobachtet und gefährdet wußte. Er war in Berlin der Mittelpunkt weitverzweigter Verbin¬ dungen, und als Leiter der hohen Polizei im Besitz großer Mittel und Kundschaften gewesen. Die gefähr¬
folge der Kaiſerin Marie Louiſe gehoͤrig, ſetzte ſich zum Fortepiano und phantaſirte; mit ihm wetteiferte der Freiherr von Kruft, aus der oͤſterreichiſchen Staats¬ kanzlei, der gleichfalls ein Meiſter war; bisweilen ſpiel¬ ten ſie beide zugleich, und ſuchten durch zwiefaches Im¬ proviſiren ein Ganzes hervorzubringen, eine geniale Uebung, wobei ſie einander die Gedanken an den Au¬ gen abſahen, aus erſten Andeutungen ganze Richtun¬ gen errathen mußten, und durch Begegnen, Meiden, Einlenken, Wiederfinden, Loslaſſen und Zuſammenſtim¬ men, eine geſpannte Theilnahme und oft die außeror¬ dentlichſte Wirkung hervorbrachten.
Die Theilnahme an ſolchen Vergnuͤgungen hemmte jedoch den Fortgang der Entwuͤrfe nicht, zu denen die Zeitumſtaͤnde immer dringender aufriefen. Ich war entſchloſſen, den oͤſterreichiſchen Dienſt zu verlaſſen, von Pfuel und Williſen wußte ich daſſelbe, und wenn meine Lage und Verhaͤltniſſe mir den Weg nach Rußland fuͤr jetzt verſperrten, ſo war auch Norddeutſchland ein wei¬ tes Feld, auf welchem, in moͤglichen Faͤllen, mancherlei zu unternehmen ſein konnte. Hierin beſtaͤrkte mich Gruner, der nach Stein's Abreiſe etwas thaͤtiger her¬ vortrat, aber nun auch ſchon mehr Aufmerkſamkeit weckte, und ſich beobachtet und gefaͤhrdet wußte. Er war in Berlin der Mittelpunkt weitverzweigter Verbin¬ dungen, und als Leiter der hohen Polizei im Beſitz großer Mittel und Kundſchaften geweſen. Die gefaͤhr¬
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[203/0215]
folge der Kaiſerin Marie Louiſe gehoͤrig, ſetzte ſich zum
Fortepiano und phantaſirte; mit ihm wetteiferte der
Freiherr von Kruft, aus der oͤſterreichiſchen Staats¬
kanzlei, der gleichfalls ein Meiſter war; bisweilen ſpiel¬
ten ſie beide zugleich, und ſuchten durch zwiefaches Im¬
proviſiren ein Ganzes hervorzubringen, eine geniale
Uebung, wobei ſie einander die Gedanken an den Au¬
gen abſahen, aus erſten Andeutungen ganze Richtun¬
gen errathen mußten, und durch Begegnen, Meiden,
Einlenken, Wiederfinden, Loslaſſen und Zuſammenſtim¬
men, eine geſpannte Theilnahme und oft die außeror¬
dentlichſte Wirkung hervorbrachten.
Die Theilnahme an ſolchen Vergnuͤgungen hemmte
jedoch den Fortgang der Entwuͤrfe nicht, zu denen die
Zeitumſtaͤnde immer dringender aufriefen. Ich war
entſchloſſen, den oͤſterreichiſchen Dienſt zu verlaſſen, von
Pfuel und Williſen wußte ich daſſelbe, und wenn meine
Lage und Verhaͤltniſſe mir den Weg nach Rußland fuͤr
jetzt verſperrten, ſo war auch Norddeutſchland ein wei¬
tes Feld, auf welchem, in moͤglichen Faͤllen, mancherlei
zu unternehmen ſein konnte. Hierin beſtaͤrkte mich
Gruner, der nach Stein's Abreiſe etwas thaͤtiger her¬
vortrat, aber nun auch ſchon mehr Aufmerkſamkeit
weckte, und ſich beobachtet und gefaͤhrdet wußte. Er
war in Berlin der Mittelpunkt weitverzweigter Verbin¬
dungen, und als Leiter der hohen Polizei im Beſitz
großer Mittel und Kundſchaften geweſen. Die gefaͤhr¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 203. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/215>, abgerufen am 25.11.2024.
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