Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

hatte er Gelehrte bei sich zu Tisch, und zeigte ihnen
sein Wissen, wie er das ihrige begierig annahm. Ließ
von dieser Seite eine kleine Schwäche sich kaum ver¬
bergen, so zeigte er dagegen von andern Seiten wirklich
einen erfahrnen, gescheidten und wohldenkenden Mann.
Ein längerer Aufenthalt in Mejico hatte ihn mit man¬
nigfachen Anschauungen erfüllt, er sprach lebhaft und
offen, die Vorurtheile eines Spaniers hatte er meist
abgelegt, und die für seine frühen Schulstudien beibe¬
haltene Neigung war ihm nur günstig anzurechnen. Ich
war mehrmals bei ihm zu Tisch, gewöhnlich mit Müller,
auch mit dem österreichischen Legationssecretair Grafen
von Bombelles, und dem Prediger Catel, meinen Mit¬
übersetzern, späterhin auch mit Wolf. Hier wurde dann
nach Herzenslust homerisirt uod pindarisirt, dichterische
Vorzüge in's Licht gestellt, Eignes und Fremdes mit¬
getheilt, alles mit größter Freiheit. Mein Französisch
kam mir hier gut zu Statten, weil alles in dieser Sprache
vorging, aber auch meine ungefähre Kenntniß des Spa¬
nischen und meine frühere Bekanntschaft mit dem Grafen
Casa-Valencia gereichten hier zur Annehmlichkeit. Wurde
zuweilen Politik verhandelt, so geschah auch dies ohne
viel Zurückhaltung, doch durften dann keine Franzosen
gegenwärtig sein, in deren Sinne die Spanier eigentlich
sprechen sollten, aber keineswegs alle dachten; zwar
Pardo selbst und Urquijo noch so ziemlich, aber der
Andalusier Montalbo, der späterhin aus seiner diploma¬

hatte er Gelehrte bei ſich zu Tiſch, und zeigte ihnen
ſein Wiſſen, wie er das ihrige begierig annahm. Ließ
von dieſer Seite eine kleine Schwaͤche ſich kaum ver¬
bergen, ſo zeigte er dagegen von andern Seiten wirklich
einen erfahrnen, geſcheidten und wohldenkenden Mann.
Ein laͤngerer Aufenthalt in Mejico hatte ihn mit man¬
nigfachen Anſchauungen erfuͤllt, er ſprach lebhaft und
offen, die Vorurtheile eines Spaniers hatte er meiſt
abgelegt, und die fuͤr ſeine fruͤhen Schulſtudien beibe¬
haltene Neigung war ihm nur guͤnſtig anzurechnen. Ich
war mehrmals bei ihm zu Tiſch, gewoͤhnlich mit Muͤller,
auch mit dem oͤſterreichiſchen Legationsſecretair Grafen
von Bombelles, und dem Prediger Catel, meinen Mit¬
uͤberſetzern, ſpaͤterhin auch mit Wolf. Hier wurde dann
nach Herzensluſt homeriſirt uod pindariſirt, dichteriſche
Vorzuͤge in's Licht geſtellt, Eignes und Fremdes mit¬
getheilt, alles mit groͤßter Freiheit. Mein Franzoͤſiſch
kam mir hier gut zu Statten, weil alles in dieſer Sprache
vorging, aber auch meine ungefaͤhre Kenntniß des Spa¬
niſchen und meine fruͤhere Bekanntſchaft mit dem Grafen
Caſa-Valencia gereichten hier zur Annehmlichkeit. Wurde
zuweilen Politik verhandelt, ſo geſchah auch dies ohne
viel Zuruͤckhaltung, doch durften dann keine Franzoſen
gegenwaͤrtig ſein, in deren Sinne die Spanier eigentlich
ſprechen ſollten, aber keineswegs alle dachten; zwar
Pardo ſelbſt und Urquijo noch ſo ziemlich, aber der
Andaluſier Montalbo, der ſpaͤterhin aus ſeiner diploma¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0020" n="8"/>
hatte er Gelehrte bei &#x017F;ich zu Ti&#x017F;ch, und zeigte ihnen<lb/>
&#x017F;ein Wi&#x017F;&#x017F;en, wie er das ihrige begierig annahm. Ließ<lb/>
von die&#x017F;er Seite eine kleine Schwa&#x0364;che &#x017F;ich kaum ver¬<lb/>
bergen, &#x017F;o zeigte er dagegen von andern Seiten wirklich<lb/>
einen erfahrnen, ge&#x017F;cheidten und wohldenkenden Mann.<lb/>
Ein la&#x0364;ngerer Aufenthalt in Mejico hatte ihn mit man¬<lb/>
nigfachen An&#x017F;chauungen erfu&#x0364;llt, er &#x017F;prach lebhaft und<lb/>
offen, die Vorurtheile eines Spaniers hatte er mei&#x017F;t<lb/>
abgelegt, und die fu&#x0364;r &#x017F;eine fru&#x0364;hen Schul&#x017F;tudien beibe¬<lb/>
haltene Neigung war ihm nur gu&#x0364;n&#x017F;tig anzurechnen. Ich<lb/>
war mehrmals bei ihm zu Ti&#x017F;ch, gewo&#x0364;hnlich mit Mu&#x0364;ller,<lb/>
auch mit dem o&#x0364;&#x017F;terreichi&#x017F;chen Legations&#x017F;ecretair Grafen<lb/>
von Bombelles, und dem Prediger Catel, meinen Mit¬<lb/>
u&#x0364;ber&#x017F;etzern, &#x017F;pa&#x0364;terhin auch mit Wolf. Hier wurde dann<lb/>
nach Herzenslu&#x017F;t homeri&#x017F;irt uod pindari&#x017F;irt, dichteri&#x017F;che<lb/>
Vorzu&#x0364;ge in's Licht ge&#x017F;tellt, Eignes und Fremdes mit¬<lb/>
getheilt, alles mit gro&#x0364;ßter Freiheit. Mein Franzo&#x0364;&#x017F;i&#x017F;ch<lb/>
kam mir hier gut zu Statten, weil alles in die&#x017F;er Sprache<lb/>
vorging, aber auch meine ungefa&#x0364;hre Kenntniß des Spa¬<lb/>
ni&#x017F;chen und meine fru&#x0364;here Bekannt&#x017F;chaft mit dem Grafen<lb/>
Ca&#x017F;a-Valencia gereichten hier zur Annehmlichkeit. Wurde<lb/>
zuweilen Politik verhandelt, &#x017F;o ge&#x017F;chah auch dies ohne<lb/>
viel Zuru&#x0364;ckhaltung, doch durften dann keine Franzo&#x017F;en<lb/>
gegenwa&#x0364;rtig &#x017F;ein, in deren Sinne die Spanier eigentlich<lb/>
&#x017F;prechen &#x017F;ollten, aber keineswegs alle dachten; zwar<lb/>
Pardo &#x017F;elb&#x017F;t und Urquijo noch &#x017F;o ziemlich, aber der<lb/>
Andalu&#x017F;ier Montalbo, der &#x017F;pa&#x0364;terhin aus &#x017F;einer diploma¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0020] hatte er Gelehrte bei ſich zu Tiſch, und zeigte ihnen ſein Wiſſen, wie er das ihrige begierig annahm. Ließ von dieſer Seite eine kleine Schwaͤche ſich kaum ver¬ bergen, ſo zeigte er dagegen von andern Seiten wirklich einen erfahrnen, geſcheidten und wohldenkenden Mann. Ein laͤngerer Aufenthalt in Mejico hatte ihn mit man¬ nigfachen Anſchauungen erfuͤllt, er ſprach lebhaft und offen, die Vorurtheile eines Spaniers hatte er meiſt abgelegt, und die fuͤr ſeine fruͤhen Schulſtudien beibe¬ haltene Neigung war ihm nur guͤnſtig anzurechnen. Ich war mehrmals bei ihm zu Tiſch, gewoͤhnlich mit Muͤller, auch mit dem oͤſterreichiſchen Legationsſecretair Grafen von Bombelles, und dem Prediger Catel, meinen Mit¬ uͤberſetzern, ſpaͤterhin auch mit Wolf. Hier wurde dann nach Herzensluſt homeriſirt uod pindariſirt, dichteriſche Vorzuͤge in's Licht geſtellt, Eignes und Fremdes mit¬ getheilt, alles mit groͤßter Freiheit. Mein Franzoͤſiſch kam mir hier gut zu Statten, weil alles in dieſer Sprache vorging, aber auch meine ungefaͤhre Kenntniß des Spa¬ niſchen und meine fruͤhere Bekanntſchaft mit dem Grafen Caſa-Valencia gereichten hier zur Annehmlichkeit. Wurde zuweilen Politik verhandelt, ſo geſchah auch dies ohne viel Zuruͤckhaltung, doch durften dann keine Franzoſen gegenwaͤrtig ſein, in deren Sinne die Spanier eigentlich ſprechen ſollten, aber keineswegs alle dachten; zwar Pardo ſelbſt und Urquijo noch ſo ziemlich, aber der Andaluſier Montalbo, der ſpaͤterhin aus ſeiner diploma¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/20
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/20>, abgerufen am 24.11.2024.