hab' ich als auf mich persönlich gerichtete nie erfahren, wohl aber oft peinlich bestanden, wenn er sich wider Andre tobend ausließ.
Stein's Raschheit und Ungestüm hing ganz mit seiner körperlichen Organisation zusammen. Er fragte mich einmal nach der Zahl meiner Pulsschläge, und hielt mir dann lachend die Hand hin, ich solle die seinigen einmal zählen. Es waren über hundert in der Minute. Dies, versicherte er, sei von jeher sein ge¬ wöhnlicher Puls, bei dem er sich vollkommen wohl¬ befinde. Er schien selber diese Eigenheit als einen Freibrief der Natur anzusehen, der ihm schon erlaube, etwas lebhaftere Aufwallungen zu haben, als andere Menschen. Bei Gelegenheit Stein's, auf den ich in der Folge noch oft zurückkommen muß, hab' ich auch eines Staatsmannes zu erwähnen, den ich in Prag einigemal mit ihm zusammen sah. Dieser war der ehemals mainzische Domherr Graf Friedrich von Sta¬ dion, Bruder des österreichischen Staatsministers, zu¬ letzt österreichischer Gesandter in München. In vielem Betracht war er das Gegentheil von Stein, ruhig, milde, tiefen und zarten Sinnes, dabei welt- und geschäftskundig im größten Stil; an Rechtschaffenheit aber und edler Gesinnung stand er wohl mit Stein zu vergleichen, so wie an Entschlossenheit und Kraft, wo es galt besonnen und nachhaltig auf einen bestimmten Zweck hinzuwirken. Die Wendung der öffentlichen An¬
hab' ich als auf mich perſoͤnlich gerichtete nie erfahren, wohl aber oft peinlich beſtanden, wenn er ſich wider Andre tobend ausließ.
Stein's Raſchheit und Ungeſtuͤm hing ganz mit ſeiner koͤrperlichen Organiſation zuſammen. Er fragte mich einmal nach der Zahl meiner Pulsſchlaͤge, und hielt mir dann lachend die Hand hin, ich ſolle die ſeinigen einmal zaͤhlen. Es waren uͤber hundert in der Minute. Dies, verſicherte er, ſei von jeher ſein ge¬ woͤhnlicher Puls, bei dem er ſich vollkommen wohl¬ befinde. Er ſchien ſelber dieſe Eigenheit als einen Freibrief der Natur anzuſehen, der ihm ſchon erlaube, etwas lebhaftere Aufwallungen zu haben, als andere Menſchen. Bei Gelegenheit Stein's, auf den ich in der Folge noch oft zuruͤckkommen muß, hab' ich auch eines Staatsmannes zu erwaͤhnen, den ich in Prag einigemal mit ihm zuſammen ſah. Dieſer war der ehemals mainziſche Domherr Graf Friedrich von Sta¬ dion, Bruder des oͤſterreichiſchen Staatsminiſters, zu¬ letzt oͤſterreichiſcher Geſandter in Muͤnchen. In vielem Betracht war er das Gegentheil von Stein, ruhig, milde, tiefen und zarten Sinnes, dabei welt- und geſchaͤftskundig im groͤßten Stil; an Rechtſchaffenheit aber und edler Geſinnung ſtand er wohl mit Stein zu vergleichen, ſo wie an Entſchloſſenheit und Kraft, wo es galt beſonnen und nachhaltig auf einen beſtimmten Zweck hinzuwirken. Die Wendung der oͤffentlichen An¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0197"n="185"/>
hab' ich als auf mich perſoͤnlich gerichtete nie erfahren,<lb/>
wohl aber oft peinlich beſtanden, wenn er ſich wider<lb/>
Andre tobend ausließ.</p><lb/><p>Stein's Raſchheit und Ungeſtuͤm hing ganz mit<lb/>ſeiner koͤrperlichen Organiſation zuſammen. Er fragte<lb/>
mich einmal nach der Zahl meiner Pulsſchlaͤge, und<lb/>
hielt mir dann lachend die Hand hin, ich ſolle die<lb/>ſeinigen einmal zaͤhlen. Es waren uͤber hundert in der<lb/>
Minute. Dies, verſicherte er, ſei von jeher ſein ge¬<lb/>
woͤhnlicher Puls, bei dem er ſich vollkommen wohl¬<lb/>
befinde. Er ſchien ſelber dieſe Eigenheit als einen<lb/>
Freibrief der Natur anzuſehen, der ihm ſchon erlaube,<lb/>
etwas lebhaftere Aufwallungen zu haben, als andere<lb/>
Menſchen. Bei Gelegenheit Stein's, auf den ich in<lb/>
der Folge noch oft zuruͤckkommen muß, hab' ich auch<lb/>
eines Staatsmannes zu erwaͤhnen, den ich in Prag<lb/>
einigemal mit ihm zuſammen ſah. Dieſer war der<lb/>
ehemals mainziſche Domherr Graf Friedrich von Sta¬<lb/>
dion, Bruder des oͤſterreichiſchen Staatsminiſters, zu¬<lb/>
letzt oͤſterreichiſcher Geſandter in Muͤnchen. In vielem<lb/>
Betracht war er das Gegentheil von Stein, ruhig,<lb/>
milde, tiefen und zarten Sinnes, dabei welt- und<lb/>
geſchaͤftskundig im groͤßten Stil; an Rechtſchaffenheit<lb/>
aber und edler Geſinnung ſtand er wohl mit Stein zu<lb/>
vergleichen, ſo wie an Entſchloſſenheit und Kraft, wo<lb/>
es galt beſonnen und nachhaltig auf einen beſtimmten<lb/>
Zweck hinzuwirken. Die Wendung der oͤffentlichen An¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[185/0197]
hab' ich als auf mich perſoͤnlich gerichtete nie erfahren,
wohl aber oft peinlich beſtanden, wenn er ſich wider
Andre tobend ausließ.
Stein's Raſchheit und Ungeſtuͤm hing ganz mit
ſeiner koͤrperlichen Organiſation zuſammen. Er fragte
mich einmal nach der Zahl meiner Pulsſchlaͤge, und
hielt mir dann lachend die Hand hin, ich ſolle die
ſeinigen einmal zaͤhlen. Es waren uͤber hundert in der
Minute. Dies, verſicherte er, ſei von jeher ſein ge¬
woͤhnlicher Puls, bei dem er ſich vollkommen wohl¬
befinde. Er ſchien ſelber dieſe Eigenheit als einen
Freibrief der Natur anzuſehen, der ihm ſchon erlaube,
etwas lebhaftere Aufwallungen zu haben, als andere
Menſchen. Bei Gelegenheit Stein's, auf den ich in
der Folge noch oft zuruͤckkommen muß, hab' ich auch
eines Staatsmannes zu erwaͤhnen, den ich in Prag
einigemal mit ihm zuſammen ſah. Dieſer war der
ehemals mainziſche Domherr Graf Friedrich von Sta¬
dion, Bruder des oͤſterreichiſchen Staatsminiſters, zu¬
letzt oͤſterreichiſcher Geſandter in Muͤnchen. In vielem
Betracht war er das Gegentheil von Stein, ruhig,
milde, tiefen und zarten Sinnes, dabei welt- und
geſchaͤftskundig im groͤßten Stil; an Rechtſchaffenheit
aber und edler Geſinnung ſtand er wohl mit Stein zu
vergleichen, ſo wie an Entſchloſſenheit und Kraft, wo
es galt beſonnen und nachhaltig auf einen beſtimmten
Zweck hinzuwirken. Die Wendung der oͤffentlichen An¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/197>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.