mißhandelte. Allein ich stand in jedem Betracht hier zu sehr im Nachtheil, um diese Erörterungen zu lieben, welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel setzten. Verschweigen wollt' ich meine Meinung nicht, aber sie ganz herauszusagen war oft kaum thunlich. Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedrängt zu Stein gesagt zu haben, er sei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher und Vornehmer, und habe als solcher im gegebnen Fall ein bestochenes Urtheil. Ich erschrack, als ich diese Kühnheit ausgesprochen. Stein aber schwieg einen Au¬ genblick, wurde ganz gelassen, und sagte mit mildem Ernst und großer Würde: ich machte ihm da einen Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht so ganz verdiene, wolle er mir beispielsweise nur sagen, daß, wenn er auch zu dem ältesten Adel gehöre, und in adlichen Gewöhnungen und Ansichten herangewachsen sei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in seinem Leben gehabt, freilich aber später wieder habe aufgeben müssen, beide bürgerlich gewesen; "Nicht wahr?" fügte er hinzu, "das haben Sie wohl nicht gedacht?" Meine Beschämung konnte mich so sehr nicht beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in solchen Momenten wahrhaft liebenswürdigen Mannes mich noch mehr erhoben hätte.
Eines Tages aber fand ich ihn wieder über dem Moniteur und ganz ungewöhnlich aufgeregt. Er sprach
mißhandelte. Allein ich ſtand in jedem Betracht hier zu ſehr im Nachtheil, um dieſe Eroͤrterungen zu lieben, welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel ſetzten. Verſchweigen wollt' ich meine Meinung nicht, aber ſie ganz herauszuſagen war oft kaum thunlich. Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedraͤngt zu Stein geſagt zu haben, er ſei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher und Vornehmer, und habe als ſolcher im gegebnen Fall ein beſtochenes Urtheil. Ich erſchrack, als ich dieſe Kuͤhnheit ausgeſprochen. Stein aber ſchwieg einen Au¬ genblick, wurde ganz gelaſſen, und ſagte mit mildem Ernſt und großer Wuͤrde: ich machte ihm da einen Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht ſo ganz verdiene, wolle er mir beiſpielsweiſe nur ſagen, daß, wenn er auch zu dem aͤlteſten Adel gehoͤre, und in adlichen Gewoͤhnungen und Anſichten herangewachſen ſei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in ſeinem Leben gehabt, freilich aber ſpaͤter wieder habe aufgeben muͤſſen, beide buͤrgerlich geweſen; „Nicht wahr?“ fuͤgte er hinzu, „das haben Sie wohl nicht gedacht?“ Meine Beſchaͤmung konnte mich ſo ſehr nicht beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in ſolchen Momenten wahrhaft liebenswuͤrdigen Mannes mich noch mehr erhoben haͤtte.
Eines Tages aber fand ich ihn wieder uͤber dem Moniteur und ganz ungewoͤhnlich aufgeregt. Er ſprach
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mißhandelte. Allein ich ſtand in jedem Betracht hier
zu ſehr im Nachtheil, um dieſe Eroͤrterungen zu lieben,
welche doch jedesmal den ganzen Umgang auf's Spiel
ſetzten. Verſchweigen wollt' ich meine Meinung nicht,
aber ſie ganz herauszuſagen war oft kaum thunlich.
Ich erinnre mich, Einmal gereizt und gedraͤngt zu Stein
geſagt zu haben, er ſei ein Reichsfreiherr, ein Adlicher
und Vornehmer, und habe als ſolcher im gegebnen
Fall ein beſtochenes Urtheil. Ich erſchrack, als ich dieſe
Kuͤhnheit ausgeſprochen. Stein aber ſchwieg einen Au¬
genblick, wurde ganz gelaſſen, und ſagte mit mildem
Ernſt und großer Wuͤrde: ich machte ihm da einen
Vorwurf, der einigen Schein habe, jedoch um mir zu
zeigen, daß er ihn im Allgemeinen doch nicht ſo ganz
verdiene, wolle er mir beiſpielsweiſe nur ſagen, daß,
wenn er auch zu dem aͤlteſten Adel gehoͤre, und in
adlichen Gewoͤhnungen und Anſichten herangewachſen
ſei, doch die eigentlichen vertrauten Freunde, die er in
ſeinem Leben gehabt, freilich aber ſpaͤter wieder habe
aufgeben muͤſſen, beide buͤrgerlich geweſen; „Nicht
wahr?“ fuͤgte er hinzu, „das haben Sie wohl nicht
gedacht?“ Meine Beſchaͤmung konnte mich ſo ſehr nicht
beugen, daß nicht der Anblick des trefflichen und in
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mich noch mehr erhoben haͤtte.
Eines Tages aber fand ich ihn wieder uͤber dem
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/194>, abgerufen am 23.11.2024.
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