eine ganze erlauchte und würdige Familie, die man für mein Vergehen mitverantwortlich zu machen nicht un¬ terlassen hätte. Ich war in äußerster Pein, und um nicht noch mehr angstvolle Besorgnisse aufzuregen, ver¬ schwieg ich den Fall auf dem Schlosse gänzlich, ver¬ traute ihn aber, ohne den Inhalt der Blätter völlig anzugeben, dem Doktor Houth; dieser wohlwollende Mann nahm aufrichtig Theil an meinem Verlust, wußte aber auch keinen Rath, als den sonderbaren, mit dem er zögernd hervorrückte, er wollte den Seher auf dem Schlosse befragen, vielleicht könne der vermittelst seiner Gabe den Ort entdecken, wo die Blätter jetzt seien. Ich mußte an die bekannte Geschichte Swedenborg's denken, und durfte den guten Willen nicht hemmen. Das Ergebniß war auffallend genug; der Seher hatte bei der Frage das Gesicht verdreht, anfangs gar nicht antworten wollen, endlich aber nach schlafähnlichem Hinträumen, die kurze Auskunft ertheilt, die Blätter seien weit weg, und sonst war nichts aus ihm heraus¬ zubringen. Diese Andeutung erschloß eine Möglichkeit, die mir früher nicht eingefallen war, und jetzt einige Wahrscheinlichkeit gewann; ich konnte die Blätter aus Versehen einem Briefe nach Hamburg oder Berlin bei¬ gefügt haben; doch dieserhalb deutlich anzufragen, war kaum rathsam in einer Zeit, wo kein der Post anver¬ trauter Brief sicher dünkte, und je mehr ich es bedachte, je weniger konnt' ich mir jenes Versehen zutrauen.
eine ganze erlauchte und wuͤrdige Familie, die man fuͤr mein Vergehen mitverantwortlich zu machen nicht un¬ terlaſſen haͤtte. Ich war in aͤußerſter Pein, und um nicht noch mehr angſtvolle Beſorgniſſe aufzuregen, ver¬ ſchwieg ich den Fall auf dem Schloſſe gaͤnzlich, ver¬ traute ihn aber, ohne den Inhalt der Blaͤtter voͤllig anzugeben, dem Doktor Houth; dieſer wohlwollende Mann nahm aufrichtig Theil an meinem Verluſt, wußte aber auch keinen Rath, als den ſonderbaren, mit dem er zoͤgernd hervorruͤckte, er wollte den Seher auf dem Schloſſe befragen, vielleicht koͤnne der vermittelſt ſeiner Gabe den Ort entdecken, wo die Blaͤtter jetzt ſeien. Ich mußte an die bekannte Geſchichte Swedenborg's denken, und durfte den guten Willen nicht hemmen. Das Ergebniß war auffallend genug; der Seher hatte bei der Frage das Geſicht verdreht, anfangs gar nicht antworten wollen, endlich aber nach ſchlafaͤhnlichem Hintraͤumen, die kurze Auskunft ertheilt, die Blaͤtter ſeien weit weg, und ſonſt war nichts aus ihm heraus¬ zubringen. Dieſe Andeutung erſchloß eine Moͤglichkeit, die mir fruͤher nicht eingefallen war, und jetzt einige Wahrſcheinlichkeit gewann; ich konnte die Blaͤtter aus Verſehen einem Briefe nach Hamburg oder Berlin bei¬ gefuͤgt haben; doch dieſerhalb deutlich anzufragen, war kaum rathſam in einer Zeit, wo kein der Poſt anver¬ trauter Brief ſicher duͤnkte, und je mehr ich es bedachte, je weniger konnt' ich mir jenes Verſehen zutrauen.
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eine ganze erlauchte und wuͤrdige Familie, die man fuͤr
mein Vergehen mitverantwortlich zu machen nicht un¬
terlaſſen haͤtte. Ich war in aͤußerſter Pein, und um
nicht noch mehr angſtvolle Beſorgniſſe aufzuregen, ver¬
ſchwieg ich den Fall auf dem Schloſſe gaͤnzlich, ver¬
traute ihn aber, ohne den Inhalt der Blaͤtter voͤllig
anzugeben, dem Doktor Houth; dieſer wohlwollende
Mann nahm aufrichtig Theil an meinem Verluſt, wußte
aber auch keinen Rath, als den ſonderbaren, mit dem
er zoͤgernd hervorruͤckte, er wollte den Seher auf dem
Schloſſe befragen, vielleicht koͤnne der vermittelſt ſeiner
Gabe den Ort entdecken, wo die Blaͤtter jetzt ſeien.
Ich mußte an die bekannte Geſchichte Swedenborg's
denken, und durfte den guten Willen nicht hemmen.
Das Ergebniß war auffallend genug; der Seher hatte
bei der Frage das Geſicht verdreht, anfangs gar nicht
antworten wollen, endlich aber nach ſchlafaͤhnlichem
Hintraͤumen, die kurze Auskunft ertheilt, die Blaͤtter
ſeien weit weg, und ſonſt war nichts aus ihm heraus¬
zubringen. Dieſe Andeutung erſchloß eine Moͤglichkeit,
die mir fruͤher nicht eingefallen war, und jetzt einige
Wahrſcheinlichkeit gewann; ich konnte die Blaͤtter aus
Verſehen einem Briefe nach Hamburg oder Berlin bei¬
gefuͤgt haben; doch dieſerhalb deutlich anzufragen, war
kaum rathſam in einer Zeit, wo kein der Poſt anver¬
trauter Brief ſicher duͤnkte, und je mehr ich es bedachte,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/163>, abgerufen am 22.11.2024.
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