berg im Süden; das gleichsam in die Fremde ver¬ sprengte Glaubenswesen scheint die ihm eigenthümlichen Kräfte hier zu besonderm Nachdruck zu steigern, und sie in die äußersten Auswüchse wuchern zu lassen. Da¬ her in beiden Ländern, wie die strengste Lehre und der feurigste Eifer, auch der entschiedenste Aberglaube und Wahn sich eingenistet hat. Die Münsterländer sind berühmt wegen der Stärke ihres Kirchen- und Volks¬ glaubens; die wundervolle Nonne von Dülmen ist das katholische Gegenstück zu der protestantischen Seherin von Prevorst; Vorhersagungen, Wundergeschichte, Traum¬ verkündigungen, Geisterbegriffe, sind in ganz Westpha¬ len heimisch und verbreitet, wie in Würtemberg. Und wieder möcht' ich einen Theil dieser Hinneigung auf die Art und Weise des Landes, einen andern Theil aber auf den Volksstamm rechnen. Hier ist überdies die vereinzelte Lebensart in einsamer, oft öder Natur, und die dünne Bevölkerung solchen düstern Einbildun¬ gen noch besonders günstig. Zahlreich sind hier die Leute, welche von Gesichten heimgesucht werden, Fern¬ seher, denen Verborgenes offenbar wird, sei es in der Vergangenheit oder Zukunft; ein vereinzeltes Bild stellt sich dar, das aber auf ganze Reihen von Thatsachen schließen läßt, so werden Todesfälle, Hochzeiten, Feuers¬ brünste, Glückserhöhungen vorhergesehen, besonders aber, und dies hauptsächlich in der neuern Zeit, politische Ereignisse, man sieht fremde Truppen marschiren, deren
10*
berg im Suͤden; das gleichſam in die Fremde ver¬ ſprengte Glaubensweſen ſcheint die ihm eigenthuͤmlichen Kraͤfte hier zu beſonderm Nachdruck zu ſteigern, und ſie in die aͤußerſten Auswuͤchſe wuchern zu laſſen. Da¬ her in beiden Laͤndern, wie die ſtrengſte Lehre und der feurigſte Eifer, auch der entſchiedenſte Aberglaube und Wahn ſich eingeniſtet hat. Die Muͤnſterlaͤnder ſind beruͤhmt wegen der Staͤrke ihres Kirchen- und Volks¬ glaubens; die wundervolle Nonne von Duͤlmen iſt das katholiſche Gegenſtuͤck zu der proteſtantiſchen Seherin von Prevorſt; Vorherſagungen, Wundergeſchichte, Traum¬ verkuͤndigungen, Geiſterbegriffe, ſind in ganz Weſtpha¬ len heimiſch und verbreitet, wie in Wuͤrtemberg. Und wieder moͤcht' ich einen Theil dieſer Hinneigung auf die Art und Weiſe des Landes, einen andern Theil aber auf den Volksſtamm rechnen. Hier iſt uͤberdies die vereinzelte Lebensart in einſamer, oft oͤder Natur, und die duͤnne Bevoͤlkerung ſolchen duͤſtern Einbildun¬ gen noch beſonders guͤnſtig. Zahlreich ſind hier die Leute, welche von Geſichten heimgeſucht werden, Fern¬ ſeher, denen Verborgenes offenbar wird, ſei es in der Vergangenheit oder Zukunft; ein vereinzeltes Bild ſtellt ſich dar, das aber auf ganze Reihen von Thatſachen ſchließen laͤßt, ſo werden Todesfaͤlle, Hochzeiten, Feuers¬ bruͤnſte, Gluͤckserhoͤhungen vorhergeſehen, beſonders aber, und dies hauptſaͤchlich in der neuern Zeit, politiſche Ereigniſſe, man ſieht fremde Truppen marſchiren, deren
10*
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0159"n="147"/>
berg im Suͤden; das gleichſam in die Fremde ver¬<lb/>ſprengte Glaubensweſen ſcheint die ihm eigenthuͤmlichen<lb/>
Kraͤfte hier zu beſonderm Nachdruck zu ſteigern, und<lb/>ſie in die aͤußerſten Auswuͤchſe wuchern zu laſſen. Da¬<lb/>
her in beiden Laͤndern, wie die ſtrengſte Lehre und der<lb/>
feurigſte Eifer, auch der entſchiedenſte Aberglaube und<lb/>
Wahn ſich eingeniſtet hat. Die Muͤnſterlaͤnder ſind<lb/>
beruͤhmt wegen der Staͤrke ihres Kirchen- und Volks¬<lb/>
glaubens; die wundervolle Nonne von Duͤlmen iſt das<lb/>
katholiſche Gegenſtuͤck zu der proteſtantiſchen Seherin von<lb/>
Prevorſt; Vorherſagungen, Wundergeſchichte, Traum¬<lb/>
verkuͤndigungen, Geiſterbegriffe, ſind in ganz Weſtpha¬<lb/>
len heimiſch und verbreitet, wie in Wuͤrtemberg. Und<lb/>
wieder moͤcht' ich einen Theil dieſer Hinneigung auf<lb/>
die Art und Weiſe des Landes, einen andern Theil<lb/>
aber auf den Volksſtamm rechnen. Hier iſt uͤberdies<lb/>
die vereinzelte Lebensart in einſamer, oft oͤder Natur,<lb/>
und die duͤnne Bevoͤlkerung ſolchen duͤſtern Einbildun¬<lb/>
gen noch beſonders guͤnſtig. Zahlreich ſind hier die<lb/>
Leute, welche von Geſichten heimgeſucht werden, Fern¬<lb/>ſeher, denen Verborgenes offenbar wird, ſei es in der<lb/>
Vergangenheit oder Zukunft; ein vereinzeltes Bild ſtellt<lb/>ſich dar, das aber auf ganze Reihen von Thatſachen<lb/>ſchließen laͤßt, ſo werden Todesfaͤlle, Hochzeiten, Feuers¬<lb/>
bruͤnſte, Gluͤckserhoͤhungen vorhergeſehen, beſonders aber,<lb/>
und dies hauptſaͤchlich in der neuern Zeit, politiſche<lb/>
Ereigniſſe, man ſieht fremde Truppen marſchiren, deren<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">10</hi>*<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[147/0159]
berg im Suͤden; das gleichſam in die Fremde ver¬
ſprengte Glaubensweſen ſcheint die ihm eigenthuͤmlichen
Kraͤfte hier zu beſonderm Nachdruck zu ſteigern, und
ſie in die aͤußerſten Auswuͤchſe wuchern zu laſſen. Da¬
her in beiden Laͤndern, wie die ſtrengſte Lehre und der
feurigſte Eifer, auch der entſchiedenſte Aberglaube und
Wahn ſich eingeniſtet hat. Die Muͤnſterlaͤnder ſind
beruͤhmt wegen der Staͤrke ihres Kirchen- und Volks¬
glaubens; die wundervolle Nonne von Duͤlmen iſt das
katholiſche Gegenſtuͤck zu der proteſtantiſchen Seherin von
Prevorſt; Vorherſagungen, Wundergeſchichte, Traum¬
verkuͤndigungen, Geiſterbegriffe, ſind in ganz Weſtpha¬
len heimiſch und verbreitet, wie in Wuͤrtemberg. Und
wieder moͤcht' ich einen Theil dieſer Hinneigung auf
die Art und Weiſe des Landes, einen andern Theil
aber auf den Volksſtamm rechnen. Hier iſt uͤberdies
die vereinzelte Lebensart in einſamer, oft oͤder Natur,
und die duͤnne Bevoͤlkerung ſolchen duͤſtern Einbildun¬
gen noch beſonders guͤnſtig. Zahlreich ſind hier die
Leute, welche von Geſichten heimgeſucht werden, Fern¬
ſeher, denen Verborgenes offenbar wird, ſei es in der
Vergangenheit oder Zukunft; ein vereinzeltes Bild ſtellt
ſich dar, das aber auf ganze Reihen von Thatſachen
ſchließen laͤßt, ſo werden Todesfaͤlle, Hochzeiten, Feuers¬
bruͤnſte, Gluͤckserhoͤhungen vorhergeſehen, beſonders aber,
und dies hauptſaͤchlich in der neuern Zeit, politiſche
Ereigniſſe, man ſieht fremde Truppen marſchiren, deren
10*
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/159>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.