tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die gräflichen Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angesehnsten Herren und Frauen des Städtchens für den Nachmittag und Abend eingeladen. Dann erschien auch regelmäßig der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der früher in Holland sein Glück gemacht und darauf der Praxis überdrüssig hieher sich zurückgezogen hatte; in bequemem Hause und schönem Garten genoß er nach seinem Sinne ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt ungern unterbrochen sah. Er hatte große Kenntnisse, studirte noch immer weiter, liebte Gemählde und Musik, und war durch Denkart und Geschmack ganz dem Schloß ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung und Dienstwilligkeit eines Mannes, der durch sein Amt unendliche Verationen ausüben konnte, dankbar zu schätzen wußte.
Wir machten Ausflüge nach Borghorst und nach Langenhorst, zweien Fräuleinstiftern, wo über das Schicksal der unverheiratheten alten und jungen Damen, denen nach der Absicht fürsorglicher Vorfahren hier ein begünstigtes Dasein bereitet sein sollte, die eigensten Betrachtungen anzustellen waren. Mir kam es vor, als wenn die ältern und jüngern Damen mit einer Art von Verzweiflung diese Begünstigung genössen, und durch die ihnen gelassene Freiheit auch des letzten Tro¬ stes entbehrten, des Trostes gezwungen zu sein! Mehr aber, als das Schicksal dieser Erwachsenen, zog mich
tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angeſehnſten Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag und Abend eingeladen. Dann erſchien auch regelmaͤßig der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher in Holland ſein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis uͤberdruͤſſig hieher ſich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem Hauſe und ſchoͤnem Garten genoß er nach ſeinem Sinne ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt ungern unterbrochen ſah. Er hatte große Kenntniſſe, ſtudirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Muſik, und war durch Denkart und Geſchmack ganz dem Schloß ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung und Dienſtwilligkeit eines Mannes, der durch ſein Amt unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu ſchaͤtzen wußte.
Wir machten Ausfluͤge nach Borghorſt und nach Langenhorſt, zweien Fraͤuleinſtiftern, wo uͤber das Schickſal der unverheiratheten alten und jungen Damen, denen nach der Abſicht fuͤrſorglicher Vorfahren hier ein beguͤnſtigtes Daſein bereitet ſein ſollte, die eigenſten Betrachtungen anzuſtellen waren. Mir kam es vor, als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer Art von Verzweiflung dieſe Beguͤnſtigung genoͤſſen, und durch die ihnen gelaſſene Freiheit auch des letzten Tro¬ ſtes entbehrten, des Troſtes gezwungen zu ſein! Mehr aber, als das Schickſal dieſer Erwachſenen, zog mich
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0149"n="137"/>
tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen<lb/>
Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angeſehnſten<lb/>
Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag<lb/>
und Abend eingeladen. Dann erſchien auch regelmaͤßig<lb/>
der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher<lb/>
in Holland ſein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis<lb/>
uͤberdruͤſſig hieher ſich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem<lb/>
Hauſe und ſchoͤnem Garten genoß er nach ſeinem Sinne<lb/>
ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt<lb/>
ungern unterbrochen ſah. Er hatte große Kenntniſſe,<lb/>ſtudirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Muſik,<lb/>
und war durch Denkart und Geſchmack ganz dem Schloß<lb/>
ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung<lb/>
und Dienſtwilligkeit eines Mannes, der durch ſein Amt<lb/>
unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu<lb/>ſchaͤtzen wußte.</p><lb/><p>Wir machten Ausfluͤge nach Borghorſt und nach<lb/>
Langenhorſt, zweien Fraͤuleinſtiftern, wo uͤber das<lb/>
Schickſal der unverheiratheten alten und jungen Damen,<lb/>
denen nach der Abſicht fuͤrſorglicher Vorfahren hier ein<lb/>
beguͤnſtigtes Daſein bereitet ſein ſollte, die eigenſten<lb/>
Betrachtungen anzuſtellen waren. Mir kam es vor,<lb/>
als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer<lb/>
Art von Verzweiflung dieſe Beguͤnſtigung genoͤſſen, und<lb/>
durch die ihnen gelaſſene Freiheit auch des letzten Tro¬<lb/>ſtes entbehrten, des Troſtes gezwungen zu ſein! Mehr<lb/>
aber, als das Schickſal dieſer Erwachſenen, zog mich<lb/></p></div></body></text></TEI>
[137/0149]
tag war nach alter Sitte eine Art Hoftag, die graͤflichen
Beamten wurden zur Tafel gezogen, die angeſehnſten
Herren und Frauen des Staͤdtchens fuͤr den Nachmittag
und Abend eingeladen. Dann erſchien auch regelmaͤßig
der Maire, ein reicher Arzt Doktor Houth, der fruͤher
in Holland ſein Gluͤck gemacht und darauf der Praxis
uͤberdruͤſſig hieher ſich zuruͤckgezogen hatte; in bequemem
Hauſe und ſchoͤnem Garten genoß er nach ſeinem Sinne
ruhige Tage, die er durch das ihm auferlegte Amt
ungern unterbrochen ſah. Er hatte große Kenntniſſe,
ſtudirte noch immer weiter, liebte Gemaͤhlde und Muſik,
und war durch Denkart und Geſchmack ganz dem Schloß
ergeben, wo man hinwieder die freiwillige Unterordnung
und Dienſtwilligkeit eines Mannes, der durch ſein Amt
unendliche Verationen ausuͤben konnte, dankbar zu
ſchaͤtzen wußte.
Wir machten Ausfluͤge nach Borghorſt und nach
Langenhorſt, zweien Fraͤuleinſtiftern, wo uͤber das
Schickſal der unverheiratheten alten und jungen Damen,
denen nach der Abſicht fuͤrſorglicher Vorfahren hier ein
beguͤnſtigtes Daſein bereitet ſein ſollte, die eigenſten
Betrachtungen anzuſtellen waren. Mir kam es vor,
als wenn die aͤltern und juͤngern Damen mit einer
Art von Verzweiflung dieſe Beguͤnſtigung genoͤſſen, und
durch die ihnen gelaſſene Freiheit auch des letzten Tro¬
ſtes entbehrten, des Troſtes gezwungen zu ſein! Mehr
aber, als das Schickſal dieſer Erwachſenen, zog mich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/149>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.