Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838.

Bild:
<< vorherige Seite

Freund einen Augenblick in für ihn vorweltliche Bezie¬
hung und Mondscheinnacht versetzt. Seine Mutter,
eine gute fromme Frau, die ihren Mann frühzeitig ver¬
loren, fiel vor mehreren Jahren in eine hitzige Krank¬
heit, die sie zwar glücklich überstand, aber von der sie
doch eine Schwäche behielt. Sie dachte viel und gern
an die Vorfälle früherer Lebenszeit, wobei sie leicht
ängstliche Anwandlungen hatte. So hatte sie mehrmals
im Stillen ihren Sohn herbeigewinkt, und ihn sorg¬
fältig untersucht, ob er nicht verborgne Schuppen habe,
und war immer sehr zufrieden, weder Schuppen noch
sonst etwas, das an Fisch erinnerte, zu finden. Der
Grund dieser seltsamen Vorstellung blieb lange verbor¬
gen, bis die gute Frau einmal ihrem ältesten Sohne
Folgendes vertraute. Sie sei eines Abends mit ihrem
Manne am Ufer des Neckar spaziren gegangen, und
da es am Tage sehr heiß gewesen, so habe ihr Mann
Lust bekommen sich zu baden, unterdessen sei sie im
Schatten eines nahen Gebüsches geblieben. Eine Weile
habe sie ihn im Wasser plätschern hören, dann plötzlich
aber seinen Hülferuf vernommen; im Augenblicke der
Noth, nur von dem Einen Gedanken erfüllt, zu ihrem
Manne zu eilen, sei sie aus dem Gebüsch herausge¬
sprungen, und mit allen Kleidern wie sie war in's
Wasser gegangen; da habe ihr Mann sie sogleich um¬
faßt und scherzend beruhigt, er habe nur sehen wollen,
ob sie ihn so lieb habe. Dann habe er sie zu dem

Freund einen Augenblick in fuͤr ihn vorweltliche Bezie¬
hung und Mondſcheinnacht verſetzt. Seine Mutter,
eine gute fromme Frau, die ihren Mann fruͤhzeitig ver¬
loren, fiel vor mehreren Jahren in eine hitzige Krank¬
heit, die ſie zwar gluͤcklich uͤberſtand, aber von der ſie
doch eine Schwaͤche behielt. Sie dachte viel und gern
an die Vorfaͤlle fruͤherer Lebenszeit, wobei ſie leicht
aͤngſtliche Anwandlungen hatte. So hatte ſie mehrmals
im Stillen ihren Sohn herbeigewinkt, und ihn ſorg¬
faͤltig unterſucht, ob er nicht verborgne Schuppen habe,
und war immer ſehr zufrieden, weder Schuppen noch
ſonſt etwas, das an Fiſch erinnerte, zu finden. Der
Grund dieſer ſeltſamen Vorſtellung blieb lange verbor¬
gen, bis die gute Frau einmal ihrem aͤlteſten Sohne
Folgendes vertraute. Sie ſei eines Abends mit ihrem
Manne am Ufer des Neckar ſpaziren gegangen, und
da es am Tage ſehr heiß geweſen, ſo habe ihr Mann
Luſt bekommen ſich zu baden, unterdeſſen ſei ſie im
Schatten eines nahen Gebuͤſches geblieben. Eine Weile
habe ſie ihn im Waſſer plaͤtſchern hoͤren, dann ploͤtzlich
aber ſeinen Huͤlferuf vernommen; im Augenblicke der
Noth, nur von dem Einen Gedanken erfuͤllt, zu ihrem
Manne zu eilen, ſei ſie aus dem Gebuͤſch herausge¬
ſprungen, und mit allen Kleidern wie ſie war in's
Waſſer gegangen; da habe ihr Mann ſie ſogleich um¬
faßt und ſcherzend beruhigt, er habe nur ſehen wollen,
ob ſie ihn ſo lieb habe. Dann habe er ſie zu dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0126" n="114"/>
Freund einen Augenblick in fu&#x0364;r ihn vorweltliche Bezie¬<lb/>
hung und Mond&#x017F;cheinnacht ver&#x017F;etzt. Seine Mutter,<lb/>
eine gute fromme Frau, die ihren Mann fru&#x0364;hzeitig ver¬<lb/>
loren, fiel vor mehreren Jahren in eine hitzige Krank¬<lb/>
heit, die &#x017F;ie zwar glu&#x0364;cklich u&#x0364;ber&#x017F;tand, aber von der &#x017F;ie<lb/>
doch eine Schwa&#x0364;che behielt. Sie dachte viel und gern<lb/>
an die Vorfa&#x0364;lle fru&#x0364;herer Lebenszeit, wobei &#x017F;ie leicht<lb/>
a&#x0364;ng&#x017F;tliche Anwandlungen hatte. So hatte &#x017F;ie mehrmals<lb/>
im Stillen ihren Sohn herbeigewinkt, und ihn &#x017F;org¬<lb/>
fa&#x0364;ltig unter&#x017F;ucht, ob er nicht verborgne Schuppen habe,<lb/>
und war immer &#x017F;ehr zufrieden, weder Schuppen noch<lb/>
&#x017F;on&#x017F;t etwas, das an Fi&#x017F;ch erinnerte, zu finden. Der<lb/>
Grund die&#x017F;er &#x017F;elt&#x017F;amen Vor&#x017F;tellung blieb lange verbor¬<lb/>
gen, bis die gute Frau einmal ihrem a&#x0364;lte&#x017F;ten Sohne<lb/>
Folgendes vertraute. Sie &#x017F;ei eines Abends mit ihrem<lb/>
Manne am Ufer des Neckar &#x017F;paziren gegangen, und<lb/>
da es am Tage &#x017F;ehr heiß gewe&#x017F;en, &#x017F;o habe ihr Mann<lb/>
Lu&#x017F;t bekommen &#x017F;ich zu baden, unterde&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ei &#x017F;ie im<lb/>
Schatten eines nahen Gebu&#x0364;&#x017F;ches geblieben. Eine Weile<lb/>
habe &#x017F;ie ihn im Wa&#x017F;&#x017F;er pla&#x0364;t&#x017F;chern ho&#x0364;ren, dann plo&#x0364;tzlich<lb/>
aber &#x017F;einen Hu&#x0364;lferuf vernommen; im Augenblicke der<lb/>
Noth, nur von dem Einen Gedanken erfu&#x0364;llt, zu ihrem<lb/>
Manne zu eilen, &#x017F;ei &#x017F;ie aus dem Gebu&#x0364;&#x017F;ch herausge¬<lb/>
&#x017F;prungen, und mit allen Kleidern wie &#x017F;ie war in's<lb/>
Wa&#x017F;&#x017F;er gegangen; da habe ihr Mann &#x017F;ie &#x017F;ogleich um¬<lb/>
faßt und &#x017F;cherzend beruhigt, er habe nur &#x017F;ehen wollen,<lb/>
ob &#x017F;ie ihn &#x017F;o lieb habe. Dann habe er &#x017F;ie zu dem<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[114/0126] Freund einen Augenblick in fuͤr ihn vorweltliche Bezie¬ hung und Mondſcheinnacht verſetzt. Seine Mutter, eine gute fromme Frau, die ihren Mann fruͤhzeitig ver¬ loren, fiel vor mehreren Jahren in eine hitzige Krank¬ heit, die ſie zwar gluͤcklich uͤberſtand, aber von der ſie doch eine Schwaͤche behielt. Sie dachte viel und gern an die Vorfaͤlle fruͤherer Lebenszeit, wobei ſie leicht aͤngſtliche Anwandlungen hatte. So hatte ſie mehrmals im Stillen ihren Sohn herbeigewinkt, und ihn ſorg¬ faͤltig unterſucht, ob er nicht verborgne Schuppen habe, und war immer ſehr zufrieden, weder Schuppen noch ſonſt etwas, das an Fiſch erinnerte, zu finden. Der Grund dieſer ſeltſamen Vorſtellung blieb lange verbor¬ gen, bis die gute Frau einmal ihrem aͤlteſten Sohne Folgendes vertraute. Sie ſei eines Abends mit ihrem Manne am Ufer des Neckar ſpaziren gegangen, und da es am Tage ſehr heiß geweſen, ſo habe ihr Mann Luſt bekommen ſich zu baden, unterdeſſen ſei ſie im Schatten eines nahen Gebuͤſches geblieben. Eine Weile habe ſie ihn im Waſſer plaͤtſchern hoͤren, dann ploͤtzlich aber ſeinen Huͤlferuf vernommen; im Augenblicke der Noth, nur von dem Einen Gedanken erfuͤllt, zu ihrem Manne zu eilen, ſei ſie aus dem Gebuͤſch herausge¬ ſprungen, und mit allen Kleidern wie ſie war in's Waſſer gegangen; da habe ihr Mann ſie ſogleich um¬ faßt und ſcherzend beruhigt, er habe nur ſehen wollen, ob ſie ihn ſo lieb habe. Dann habe er ſie zu dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/126
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 114. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/126>, abgerufen am 05.12.2024.