harte Kriege geführt, und zuletzt den kürzern gezogen haben. Schnell waren wir in der Stadt; alles in die¬ sem Schwaben ist so gedrängt und nah, kaum ist ein Gegenstand ersehen, so ist er auch schon erreicht! Eine Freude war mir's, nach Tübingen wieder eine solche Stadt zu sehen, die ordentliche Häuser hat, sehr gute Straßen, große Kirchen, und eine zahlreiche, be¬ triebsame, wohlhabende Einwohnerschaft, deren Schlag mir hübscher vorkommt als der Tübinger, falls nicht die ersten Gesichter mich irre führten. An allem sieht man noch jetzt, daß Reutlingen eine freie Reichs¬ stadt war, und daß die Früchte der Freiheit ihr in Handel, Gewerbfleiß, Gemeinsinn und Volksbildung nicht fehlten, denn was da ist, ist von sonst. Die Stadt hat etwa 10,000 Einwohner, die sich durch Arbeitsamkeit auszeichnen, ehemals den eifrigsten Antheil an dem ganz demokratischen Gemeinwesen hatten, und ihre jährlichen Magistratspersonen frei wählten; daß sie auch kriegerisch in früherer Zeit gewesen, bezeugen die hohen Mauern, festen Thürme, und tiefen Gräben, welche die Stadt nmziehen. Es war als ob die Leute mir die schmerz¬ lichen Empfindungen ansähen, mit denen der Anblick einer untergegangenen Reichsstadt mich jedesmal erfüllt, denn auch hier schütteten sie ihre bittern Klagen über die erlittene Veränderung vertrauenvoll gegen mich aus. Die armen Leute sehen die Franzosen als die allgemei¬ nen Unheilsstifter an, die ehmals Freiheit mit Worten
harte Kriege gefuͤhrt, und zuletzt den kuͤrzern gezogen haben. Schnell waren wir in der Stadt; alles in die¬ ſem Schwaben iſt ſo gedraͤngt und nah, kaum iſt ein Gegenſtand erſehen, ſo iſt er auch ſchon erreicht! Eine Freude war mir's, nach Tuͤbingen wieder eine ſolche Stadt zu ſehen, die ordentliche Haͤuſer hat, ſehr gute Straßen, große Kirchen, und eine zahlreiche, be¬ triebſame, wohlhabende Einwohnerſchaft, deren Schlag mir huͤbſcher vorkommt als der Tuͤbinger, falls nicht die erſten Geſichter mich irre fuͤhrten. An allem ſieht man noch jetzt, daß Reutlingen eine freie Reichs¬ ſtadt war, und daß die Fruͤchte der Freiheit ihr in Handel, Gewerbfleiß, Gemeinſinn und Volksbildung nicht fehlten, denn was da iſt, iſt von ſonſt. Die Stadt hat etwa 10,000 Einwohner, die ſich durch Arbeitſamkeit auszeichnen, ehemals den eifrigſten Antheil an dem ganz demokratiſchen Gemeinweſen hatten, und ihre jaͤhrlichen Magiſtratsperſonen frei waͤhlten; daß ſie auch kriegeriſch in fruͤherer Zeit geweſen, bezeugen die hohen Mauern, feſten Thuͤrme, und tiefen Graͤben, welche die Stadt nmziehen. Es war als ob die Leute mir die ſchmerz¬ lichen Empfindungen anſaͤhen, mit denen der Anblick einer untergegangenen Reichsſtadt mich jedesmal erfuͤllt, denn auch hier ſchuͤtteten ſie ihre bittern Klagen uͤber die erlittene Veraͤnderung vertrauenvoll gegen mich aus. Die armen Leute ſehen die Franzoſen als die allgemei¬ nen Unheilsſtifter an, die ehmals Freiheit mit Worten
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harte Kriege gefuͤhrt, und zuletzt den kuͤrzern gezogen
haben. Schnell waren wir in der Stadt; alles in die¬
ſem Schwaben iſt ſo gedraͤngt und nah, kaum iſt ein
Gegenſtand erſehen, ſo iſt er auch ſchon erreicht! Eine
Freude war mir's, nach Tuͤbingen wieder eine ſolche
Stadt zu ſehen, die ordentliche Haͤuſer hat, ſehr gute
Straßen, große Kirchen, und eine zahlreiche, be¬
triebſame, wohlhabende Einwohnerſchaft, deren Schlag
mir huͤbſcher vorkommt als der Tuͤbinger, falls nicht
die erſten Geſichter mich irre fuͤhrten. An allem ſieht
man noch jetzt, daß Reutlingen eine freie Reichs¬
ſtadt war, und daß die Fruͤchte der Freiheit ihr in
Handel, Gewerbfleiß, Gemeinſinn und Volksbildung
nicht fehlten, denn was da iſt, iſt von ſonſt. Die Stadt
hat etwa 10,000 Einwohner, die ſich durch Arbeitſamkeit
auszeichnen, ehemals den eifrigſten Antheil an dem ganz
demokratiſchen Gemeinweſen hatten, und ihre jaͤhrlichen
Magiſtratsperſonen frei waͤhlten; daß ſie auch kriegeriſch
in fruͤherer Zeit geweſen, bezeugen die hohen Mauern,
feſten Thuͤrme, und tiefen Graͤben, welche die Stadt
nmziehen. Es war als ob die Leute mir die ſchmerz¬
lichen Empfindungen anſaͤhen, mit denen der Anblick
einer untergegangenen Reichsſtadt mich jedesmal erfuͤllt,
denn auch hier ſchuͤtteten ſie ihre bittern Klagen uͤber
die erlittene Veraͤnderung vertrauenvoll gegen mich aus.
Die armen Leute ſehen die Franzoſen als die allgemei¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/114>, abgerufen am 05.12.2024.
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