Weise gebildet und gesprächig, aber den guten Willen hat er, sich anzuschmiegen und mitzutheilen. Mich be¬ ruhigt es, jemand in meiner Nähe zu haben, -- denn wir wohnen in demselben Hause, -- der sich so wohl¬ wollend und theilnehmend bezeigt, und mich freut es jedesmal, wenn der liebe treue Mensch Abends zu mir hereintritt, und an meinem Tische seine Dissertation schreibt, während ich an meinen Sachen fortarbeite, als wäre niemand zugegen. Später sieht er dann mit Be¬ wunderung, wie ich Thee trinke, anstatt des Schoppen Weins, der den Leuten hier so wohlschmeckt, und wir plaudern dann offen und frei über alles Mögliche. Daß mir Tübingen nicht behagt, und daß ich so manche bittre Bermerkung ausstoße, ist ihm eine wahre Herzens¬ kränkung; er sieht wohl meistens ein, daß mein Tadel nicht ohne Grund ist, er erkennt in manchen Fällen sogar seine eigne Unzufriedenheit wieder, allein er will ihn doch nicht leiden, und nimmt ihm wenigstens das Bittre, indem er den besten Humor daraus macht. Er hat den lebendigsten Sinn für Scherz, für alles Ko¬ mische und Barocke, und eine Art von Leidenschaft, dasselbe ans Licht zu bringen und zu fördern. Da er es mit der Einsiedlerzeitung hält, so hat er deren Geg¬ ner, die Herausgeber des Morgenblattes und Cotta'n selbst, durch manchen launigen Einfall geärgert. Jedoch ist seine Gesinnung, wie die seines Freundes Uhland, durchaus rein, unzerstörbar rechtschaffen, edel, tapfer,
Weiſe gebildet und geſpraͤchig, aber den guten Willen hat er, ſich anzuſchmiegen und mitzutheilen. Mich be¬ ruhigt es, jemand in meiner Naͤhe zu haben, — denn wir wohnen in demſelben Hauſe, — der ſich ſo wohl¬ wollend und theilnehmend bezeigt, und mich freut es jedesmal, wenn der liebe treue Menſch Abends zu mir hereintritt, und an meinem Tiſche ſeine Diſſertation ſchreibt, waͤhrend ich an meinen Sachen fortarbeite, als waͤre niemand zugegen. Spaͤter ſieht er dann mit Be¬ wunderung, wie ich Thee trinke, anſtatt des Schoppen Weins, der den Leuten hier ſo wohlſchmeckt, und wir plaudern dann offen und frei uͤber alles Moͤgliche. Daß mir Tuͤbingen nicht behagt, und daß ich ſo manche bittre Bermerkung ausſtoße, iſt ihm eine wahre Herzens¬ kraͤnkung; er ſieht wohl meiſtens ein, daß mein Tadel nicht ohne Grund iſt, er erkennt in manchen Faͤllen ſogar ſeine eigne Unzufriedenheit wieder, allein er will ihn doch nicht leiden, und nimmt ihm wenigſtens das Bittre, indem er den beſten Humor daraus macht. Er hat den lebendigſten Sinn fuͤr Scherz, fuͤr alles Ko¬ miſche und Barocke, und eine Art von Leidenſchaft, daſſelbe ans Licht zu bringen und zu foͤrdern. Da er es mit der Einſiedlerzeitung haͤlt, ſo hat er deren Geg¬ ner, die Herausgeber des Morgenblattes und Cotta'n ſelbſt, durch manchen launigen Einfall geaͤrgert. Jedoch iſt ſeine Geſinnung, wie die ſeines Freundes Uhland, durchaus rein, unzerſtoͤrbar rechtſchaffen, edel, tapfer,
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Weiſe gebildet und geſpraͤchig, aber den guten Willen
hat er, ſich anzuſchmiegen und mitzutheilen. Mich be¬
ruhigt es, jemand in meiner Naͤhe zu haben, — denn
wir wohnen in demſelben Hauſe, — der ſich ſo wohl¬
wollend und theilnehmend bezeigt, und mich freut es
jedesmal, wenn der liebe treue Menſch Abends zu mir
hereintritt, und an meinem Tiſche ſeine Diſſertation
ſchreibt, waͤhrend ich an meinen Sachen fortarbeite, als
waͤre niemand zugegen. Spaͤter ſieht er dann mit Be¬
wunderung, wie ich Thee trinke, anſtatt des Schoppen
Weins, der den Leuten hier ſo wohlſchmeckt, und wir
plaudern dann offen und frei uͤber alles Moͤgliche. Daß
mir Tuͤbingen nicht behagt, und daß ich ſo manche
bittre Bermerkung ausſtoße, iſt ihm eine wahre Herzens¬
kraͤnkung; er ſieht wohl meiſtens ein, daß mein Tadel
nicht ohne Grund iſt, er erkennt in manchen Faͤllen
ſogar ſeine eigne Unzufriedenheit wieder, allein er will
ihn doch nicht leiden, und nimmt ihm wenigſtens das
Bittre, indem er den beſten Humor daraus macht. Er
hat den lebendigſten Sinn fuͤr Scherz, fuͤr alles Ko¬
miſche und Barocke, und eine Art von Leidenſchaft,
daſſelbe ans Licht zu bringen und zu foͤrdern. Da er
es mit der Einſiedlerzeitung haͤlt, ſo hat er deren Geg¬
ner, die Herausgeber des Morgenblattes und Cotta'n
ſelbſt, durch manchen launigen Einfall geaͤrgert. Jedoch
iſt ſeine Geſinnung, wie die ſeines Freundes Uhland,
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 3. Mannheim, 1838, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten03_1838/110>, abgerufen am 05.12.2024.
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