St. Petersburg und Riga, wo er am meisten gelebt, fran¬ zösische Denkweise, Bildung und Betragen, wie sie in der vornehmen Geselligkeit andrer Nationen wiederzu¬ finden waren, und ebenso den vollkommen freien Ge¬ brauch der französischen Sprache, glücklich angeeignet; die Freimaurerei fügte so vielen Leichtfertigkeiten einen gewissen Ernst und feierlichen Hintergrund bei, wodurch die ganze Persönlichkeit eine vortheilhafte Bildung erhielt. Man konnte ihn für einen Abbe halten, für einen klugen und ausgearbeiteten, dem das Geistliche nur ein Mittel zum Weltlichen ist. Er war ein kleiner, blonder, rascher Mann, auf magern aber breit und fest gestellten Beinen mit zurückgebogener Haltung einen etwas hängenden Leib und ein zugespitztes kahles Haupt tragend, von strenggehaltener Miene, die sich aber jeden Augenblick in die possenhafteste Grimasse verziehen konnte, aus grauen lebhaften Augen fest und keck umherblickend, dabei stets bereit zu reden und vorzutragen, sei es, daß er Geschichten erzählte, oder Lebensmaximen dozirte, oder auch, indem er die Gesellschaft anredete, bald Ein¬ zelne heranzog, bald wieder allein sprach, die wunder¬ lichsten Possen mehr aufführte als vortrug, und dies alles mit einem Sprudel von Humor und Gebärden begleitete. Die Aufmerksamkeit der Hörer fehlte ihm nie, ihres Lachens war er gewiß, und ihr Beifall ent¬ ging ihm selten. Seine Hauptmaxime war, man müsse es gut haben und fröhlich sein, und indem er sich fast
St. Petersburg und Riga, wo er am meiſten gelebt, fran¬ zoͤſiſche Denkweiſe, Bildung und Betragen, wie ſie in der vornehmen Geſelligkeit andrer Nationen wiederzu¬ finden waren, und ebenſo den vollkommen freien Ge¬ brauch der franzoͤſiſchen Sprache, gluͤcklich angeeignet; die Freimaurerei fuͤgte ſo vielen Leichtfertigkeiten einen gewiſſen Ernſt und feierlichen Hintergrund bei, wodurch die ganze Perſoͤnlichkeit eine vortheilhafte Bildung erhielt. Man konnte ihn fuͤr einen Abbé halten, fuͤr einen klugen und ausgearbeiteten, dem das Geiſtliche nur ein Mittel zum Weltlichen iſt. Er war ein kleiner, blonder, raſcher Mann, auf magern aber breit und feſt geſtellten Beinen mit zuruͤckgebogener Haltung einen etwas haͤngenden Leib und ein zugeſpitztes kahles Haupt tragend, von ſtrenggehaltener Miene, die ſich aber jeden Augenblick in die poſſenhafteſte Grimaſſe verziehen konnte, aus grauen lebhaften Augen feſt und keck umherblickend, dabei ſtets bereit zu reden und vorzutragen, ſei es, daß er Geſchichten erzaͤhlte, oder Lebensmaximen dozirte, oder auch, indem er die Geſellſchaft anredete, bald Ein¬ zelne heranzog, bald wieder allein ſprach, die wunder¬ lichſten Poſſen mehr auffuͤhrte als vortrug, und dies alles mit einem Sprudel von Humor und Gebaͤrden begleitete. Die Aufmerkſamkeit der Hoͤrer fehlte ihm nie, ihres Lachens war er gewiß, und ihr Beifall ent¬ ging ihm ſelten. Seine Hauptmaxime war, man muͤſſe es gut haben und froͤhlich ſein, und indem er ſich faſt
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St. Petersburg und Riga, wo er am meiſten gelebt, fran¬
zoͤſiſche Denkweiſe, Bildung und Betragen, wie ſie in
der vornehmen Geſelligkeit andrer Nationen wiederzu¬
finden waren, und ebenſo den vollkommen freien Ge¬
brauch der franzoͤſiſchen Sprache, gluͤcklich angeeignet;
die Freimaurerei fuͤgte ſo vielen Leichtfertigkeiten einen
gewiſſen Ernſt und feierlichen Hintergrund bei, wodurch
die ganze Perſoͤnlichkeit eine vortheilhafte Bildung erhielt.
Man konnte ihn fuͤr einen Abbé halten, fuͤr einen klugen
und ausgearbeiteten, dem das Geiſtliche nur ein Mittel
zum Weltlichen iſt. Er war ein kleiner, blonder, raſcher
Mann, auf magern aber breit und feſt geſtellten Beinen
mit zuruͤckgebogener Haltung einen etwas haͤngenden
Leib und ein zugeſpitztes kahles Haupt tragend, von
ſtrenggehaltener Miene, die ſich aber jeden Augenblick
in die poſſenhafteſte Grimaſſe verziehen konnte, aus
grauen lebhaften Augen feſt und keck umherblickend,
dabei ſtets bereit zu reden und vorzutragen, ſei es, daß
er Geſchichten erzaͤhlte, oder Lebensmaximen dozirte,
oder auch, indem er die Geſellſchaft anredete, bald Ein¬
zelne heranzog, bald wieder allein ſprach, die wunder¬
lichſten Poſſen mehr auffuͤhrte als vortrug, und dies
alles mit einem Sprudel von Humor und Gebaͤrden
begleitete. Die Aufmerkſamkeit der Hoͤrer fehlte ihm
nie, ihres Lachens war er gewiß, und ihr Beifall ent¬
ging ihm ſelten. Seine Hauptmaxime war, man muͤſſe
es gut haben und froͤhlich ſein, und indem er ſich faſt
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/52>, abgerufen am 23.11.2024.
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