bezüge desselben sind es, welche er diesmal hauptsächlich hervorhebt, und seinen Abschnitten als Ueberschriften setzt. Sie heißen: Religion, Unabhängigkeit, Darstel¬ lung, Reiselust. Dem Herrn Verfasser sind Goethe's Ansichten und Aussprüche wohlbekannt und in hohem Werthe: es ist kein geringes Lob für die seinigen, daß sie neben so Großem und Vollendeten ein selbstständiges Verdienst gar wohl behaupten können. Von besonderer Wichtigkeit für die Einsicht in Winckelmann's Karakter erscheint uns vorzüglich der erste Abschnitt, wo die Mei¬ nung Goethe's, daß in Winckelmann das Heidnische eingeboren gewesen, bestritten und dafür die Nachweisung versucht wird, er sei im Herzen immerdar ein prote¬ stantischer Christ geblieben. Die Gründe und Zeugnisse hiefür sind allerdings triftig, und die Vorliebe Winckel¬ mann's für protestantische Lieder bleibt ein merkwürdiger und rührender Zug in ihm. Ob indeß die kindliche Gewöhnung an eine bestimmte Kirchenform, besonders wenn diese selbst so mannigfache Denkweisen in und neben sich gedeihen läßt, wie damals die protestantische, einen wahren Glauben an deren dogmatischen Inhalt nothwendig voraussetze, darüber dürfte uns wenigstens einiger Zweifel bleiben. Uebrigens meint der Herr Ver¬ fasser nicht, durch seine Deutung ein Lob für Winckel¬ mann einzutauschen, sondern nur den Tadel, dem der¬ selbe auch so nicht entgehen kann, aus andrer Richtung herzuleiten. In den nachfolgenden Abschnitten ist glei¬
bezuͤge deſſelben ſind es, welche er diesmal hauptſaͤchlich hervorhebt, und ſeinen Abſchnitten als Ueberſchriften ſetzt. Sie heißen: Religion, Unabhaͤngigkeit, Darſtel¬ lung, Reiſeluſt. Dem Herrn Verfaſſer ſind Goethe’s Anſichten und Ausſpruͤche wohlbekannt und in hohem Werthe: es iſt kein geringes Lob fuͤr die ſeinigen, daß ſie neben ſo Großem und Vollendeten ein ſelbſtſtaͤndiges Verdienſt gar wohl behaupten koͤnnen. Von beſonderer Wichtigkeit fuͤr die Einſicht in Winckelmann’s Karakter erſcheint uns vorzuͤglich der erſte Abſchnitt, wo die Mei¬ nung Goethe’s, daß in Winckelmann das Heidniſche eingeboren geweſen, beſtritten und dafuͤr die Nachweiſung verſucht wird, er ſei im Herzen immerdar ein prote¬ ſtantiſcher Chriſt geblieben. Die Gruͤnde und Zeugniſſe hiefuͤr ſind allerdings triftig, und die Vorliebe Winckel¬ mann’s fuͤr proteſtantiſche Lieder bleibt ein merkwuͤrdiger und ruͤhrender Zug in ihm. Ob indeß die kindliche Gewoͤhnung an eine beſtimmte Kirchenform, beſonders wenn dieſe ſelbſt ſo mannigfache Denkweiſen in und neben ſich gedeihen laͤßt, wie damals die proteſtantiſche, einen wahren Glauben an deren dogmatiſchen Inhalt nothwendig vorausſetze, daruͤber duͤrfte uns wenigſtens einiger Zweifel bleiben. Uebrigens meint der Herr Ver¬ faſſer nicht, durch ſeine Deutung ein Lob fuͤr Winckel¬ mann einzutauſchen, ſondern nur den Tadel, dem der¬ ſelbe auch ſo nicht entgehen kann, aus andrer Richtung herzuleiten. In den nachfolgenden Abſchnitten iſt glei¬
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bezuͤge deſſelben ſind es, welche er diesmal hauptſaͤchlich
hervorhebt, und ſeinen Abſchnitten als Ueberſchriften
ſetzt. Sie heißen: Religion, Unabhaͤngigkeit, Darſtel¬
lung, Reiſeluſt. Dem Herrn Verfaſſer ſind Goethe’s
Anſichten und Ausſpruͤche wohlbekannt und in hohem
Werthe: es iſt kein geringes Lob fuͤr die ſeinigen, daß
ſie neben ſo Großem und Vollendeten ein ſelbſtſtaͤndiges
Verdienſt gar wohl behaupten koͤnnen. Von beſonderer
Wichtigkeit fuͤr die Einſicht in Winckelmann’s Karakter
erſcheint uns vorzuͤglich der erſte Abſchnitt, wo die Mei¬
nung Goethe’s, daß in Winckelmann das Heidniſche
eingeboren geweſen, beſtritten und dafuͤr die Nachweiſung
verſucht wird, er ſei im Herzen immerdar ein prote¬
ſtantiſcher Chriſt geblieben. Die Gruͤnde und Zeugniſſe
hiefuͤr ſind allerdings triftig, und die Vorliebe Winckel¬
mann’s fuͤr proteſtantiſche Lieder bleibt ein merkwuͤrdiger
und ruͤhrender Zug in ihm. Ob indeß die kindliche
Gewoͤhnung an eine beſtimmte Kirchenform, beſonders
wenn dieſe ſelbſt ſo mannigfache Denkweiſen in und
neben ſich gedeihen laͤßt, wie damals die proteſtantiſche,
einen wahren Glauben an deren dogmatiſchen Inhalt
nothwendig vorausſetze, daruͤber duͤrfte uns wenigſtens
einiger Zweifel bleiben. Uebrigens meint der Herr Ver¬
faſſer nicht, durch ſeine Deutung ein Lob fuͤr Winckel¬
mann einzutauſchen, ſondern nur den Tadel, dem der¬
ſelbe auch ſo nicht entgehen kann, aus andrer Richtung
herzuleiten. In den nachfolgenden Abſchnitten iſt glei¬
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/477>, abgerufen am 22.11.2024.
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