mäßigen Lebensart und unwandelbaren Gehorsam, so mußte man sich wohl bekennen, ein ausgeprägtes Bild des deutschen Charakters vor Augen zu haben, und wenn man sich gegenüber die französische Beweglichkeit, üppige Lust und entzündbare Leidenschaft dachte, so glaubte man jenen Kräften um so sichrer vertrauen zu dürfen, als sie diesmal von bester Feldherrnhand geführt wurden. Einige Züge, welche den österreichischen Sol¬ daten ganz bezeichnen, mögen als jenen Tagen ange¬ hörig hier aufbewahrt stehn. Ein schwerverwundeter Reiter wurde während der Schlacht zurückgebracht, und von begegnenden Kameraden theilnehmend angerufen, wie es ihm gehe? "O recht gut," erwiederte er, "der Feind ist schon im vollen Zurückweichen gegen die Donau hin!" Einem Grenadier wurde das Gewehr in der Hand durch eine Kanonenkugel wie ein Waldhorn zusam¬ mengekrümmt, staunend betrachtete er den Schaden, und sagte bedauernd: "Ein so gutes Gewehr!" Einen Trupp Grenadiere, die eben Sturm gelaufen hatten, fragte ein heransprengender Offizier, wo ihr Bataillon sei? "Wir sind das Bataillon," war die schlichte Antwort; die Andern lagen dahingestreckt. Der einfache Gradsinn macht hier das Erhabene.
An diesem und dem nächsten Tage war ich auch von der Gegend und der eigentlichen Heeresstellung einen bestimmten Begriff zu erlangen bemüht. Die Oester¬ reicher standen seit dem Siege von Aspern noch fast
maͤßigen Lebensart und unwandelbaren Gehorſam, ſo mußte man ſich wohl bekennen, ein ausgepraͤgtes Bild des deutſchen Charakters vor Augen zu haben, und wenn man ſich gegenuͤber die franzoͤſiſche Beweglichkeit, uͤppige Luſt und entzuͤndbare Leidenſchaft dachte, ſo glaubte man jenen Kraͤften um ſo ſichrer vertrauen zu duͤrfen, als ſie diesmal von beſter Feldherrnhand gefuͤhrt wurden. Einige Zuͤge, welche den oͤſterreichiſchen Sol¬ daten ganz bezeichnen, moͤgen als jenen Tagen ange¬ hoͤrig hier aufbewahrt ſtehn. Ein ſchwerverwundeter Reiter wurde waͤhrend der Schlacht zuruͤckgebracht, und von begegnenden Kameraden theilnehmend angerufen, wie es ihm gehe? „O recht gut,“ erwiederte er, „der Feind iſt ſchon im vollen Zuruͤckweichen gegen die Donau hin!“ Einem Grenadier wurde das Gewehr in der Hand durch eine Kanonenkugel wie ein Waldhorn zuſam¬ mengekruͤmmt, ſtaunend betrachtete er den Schaden, und ſagte bedauernd: „Ein ſo gutes Gewehr!“ Einen Trupp Grenadiere, die eben Sturm gelaufen hatten, fragte ein heranſprengender Offizier, wo ihr Bataillon ſei? „Wir ſind das Bataillon,“ war die ſchlichte Antwort; die Andern lagen dahingeſtreckt. Der einfache Gradſinn macht hier das Erhabene.
An dieſem und dem naͤchſten Tage war ich auch von der Gegend und der eigentlichen Heeresſtellung einen beſtimmten Begriff zu erlangen bemuͤht. Die Oeſter¬ reicher ſtanden ſeit dem Siege von Aſpern noch faſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0204"n="190"/>
maͤßigen Lebensart und unwandelbaren Gehorſam, ſo<lb/>
mußte man ſich wohl bekennen, ein ausgepraͤgtes Bild<lb/>
des deutſchen Charakters vor Augen zu haben, und<lb/>
wenn man ſich gegenuͤber die franzoͤſiſche Beweglichkeit,<lb/>
uͤppige Luſt und entzuͤndbare Leidenſchaft dachte, ſo<lb/>
glaubte man jenen Kraͤften um ſo ſichrer vertrauen zu<lb/>
duͤrfen, als ſie diesmal von beſter Feldherrnhand gefuͤhrt<lb/>
wurden. Einige Zuͤge, welche den oͤſterreichiſchen Sol¬<lb/>
daten ganz bezeichnen, moͤgen als jenen Tagen ange¬<lb/>
hoͤrig hier aufbewahrt ſtehn. Ein ſchwerverwundeter<lb/>
Reiter wurde waͤhrend der Schlacht zuruͤckgebracht, und<lb/>
von begegnenden Kameraden theilnehmend angerufen,<lb/>
wie es ihm gehe? „O recht gut,“ erwiederte er, „der<lb/>
Feind iſt ſchon im vollen Zuruͤckweichen gegen die Donau<lb/>
hin!“ Einem Grenadier wurde das Gewehr in der<lb/>
Hand durch eine Kanonenkugel wie ein Waldhorn zuſam¬<lb/>
mengekruͤmmt, ſtaunend betrachtete er den Schaden,<lb/>
und ſagte bedauernd: „Ein ſo gutes Gewehr!“ Einen<lb/>
Trupp Grenadiere, die eben Sturm gelaufen hatten,<lb/>
fragte ein heranſprengender Offizier, wo ihr Bataillon<lb/>ſei? „<hirendition="#g">Wir ſind</hi> das Bataillon,“ war die ſchlichte<lb/>
Antwort; die Andern lagen dahingeſtreckt. Der einfache<lb/>
Gradſinn macht hier das Erhabene.</p><lb/><p>An dieſem und dem naͤchſten Tage war ich auch<lb/>
von der Gegend und der eigentlichen Heeresſtellung einen<lb/>
beſtimmten Begriff zu erlangen bemuͤht. Die Oeſter¬<lb/>
reicher ſtanden ſeit dem Siege von Aſpern noch faſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[190/0204]
maͤßigen Lebensart und unwandelbaren Gehorſam, ſo
mußte man ſich wohl bekennen, ein ausgepraͤgtes Bild
des deutſchen Charakters vor Augen zu haben, und
wenn man ſich gegenuͤber die franzoͤſiſche Beweglichkeit,
uͤppige Luſt und entzuͤndbare Leidenſchaft dachte, ſo
glaubte man jenen Kraͤften um ſo ſichrer vertrauen zu
duͤrfen, als ſie diesmal von beſter Feldherrnhand gefuͤhrt
wurden. Einige Zuͤge, welche den oͤſterreichiſchen Sol¬
daten ganz bezeichnen, moͤgen als jenen Tagen ange¬
hoͤrig hier aufbewahrt ſtehn. Ein ſchwerverwundeter
Reiter wurde waͤhrend der Schlacht zuruͤckgebracht, und
von begegnenden Kameraden theilnehmend angerufen,
wie es ihm gehe? „O recht gut,“ erwiederte er, „der
Feind iſt ſchon im vollen Zuruͤckweichen gegen die Donau
hin!“ Einem Grenadier wurde das Gewehr in der
Hand durch eine Kanonenkugel wie ein Waldhorn zuſam¬
mengekruͤmmt, ſtaunend betrachtete er den Schaden,
und ſagte bedauernd: „Ein ſo gutes Gewehr!“ Einen
Trupp Grenadiere, die eben Sturm gelaufen hatten,
fragte ein heranſprengender Offizier, wo ihr Bataillon
ſei? „Wir ſind das Bataillon,“ war die ſchlichte
Antwort; die Andern lagen dahingeſtreckt. Der einfache
Gradſinn macht hier das Erhabene.
An dieſem und dem naͤchſten Tage war ich auch
von der Gegend und der eigentlichen Heeresſtellung einen
beſtimmten Begriff zu erlangen bemuͤht. Die Oeſter¬
reicher ſtanden ſeit dem Siege von Aſpern noch faſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/204>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.