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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837.

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Gegenwart. Das Stück wurde vortrefflich gegeben, die
Hauptrollen mit leidenschaftlicher Wirkung, das Ganze
mit einem schönen Maße und wohlthätiger Ordnung,
daß man alsbald fühlte, über diesem Kunstwesen müsse
großer Verstand und tiefe Bildung mächtig schalten.
Graff als Herzog, Madame Wolff als Eugenie, mach¬
ten einen tiefen Eindruck, der auch die sonst laute Stu¬
dentenschaar zu aufmerksamer Stille bezwang. Ueber¬
haupt thaten Schauspieler und Zuhörer beiderseits ihr
Bestes, und das kleine Haus, von dessen Erbauung
uns Goethe so antheilvollen Bericht giebt, konnte in
der That ein Musentempel dünken, in welchem Sinn,
Anstand und Zusammenstimmung des Oertlichen wie des
Spiels den Mangel reicherer Mittel vergessen machten.

Die Verbindung mit den entfernten Freunden litt
bei den neuen Bekanntschaften auf keine Weise; mein
in jedem Sinn belebtester Briefwechsel fand mit Ham¬
burg Statt, desgleichen mit Berlin. Am wenigsten wurde
Chamisso vergessen, der in Hameln seiner verlangten Ent¬
lassung aus dem Kriegsdienst ungeduldig harrte, und
dann unverzüglich zu uns zu kommen gedachte. Er
hatte in Nenndorf die Bekanntschaft des Barons und
der Baronin von Fouque gemacht, und uns von dem
Ehepaar viel Liebes mitgetheilt. In seinen Planen und
Absichten wurde er auch von dieser Seite nur bestätigt,
da Fouque ebenfalls das Kriegswesen verlassen und sich
ganz der Dichtkunst ergeben hatte. Der Sommer war

Gegenwart. Das Stuͤck wurde vortrefflich gegeben, die
Hauptrollen mit leidenſchaftlicher Wirkung, das Ganze
mit einem ſchoͤnen Maße und wohlthaͤtiger Ordnung,
daß man alsbald fuͤhlte, uͤber dieſem Kunſtweſen muͤſſe
großer Verſtand und tiefe Bildung maͤchtig ſchalten.
Graff als Herzog, Madame Wolff als Eugenie, mach¬
ten einen tiefen Eindruck, der auch die ſonſt laute Stu¬
dentenſchaar zu aufmerkſamer Stille bezwang. Ueber¬
haupt thaten Schauſpieler und Zuhoͤrer beiderſeits ihr
Beſtes, und das kleine Haus, von deſſen Erbauung
uns Goethe ſo antheilvollen Bericht giebt, konnte in
der That ein Muſentempel duͤnken, in welchem Sinn,
Anſtand und Zuſammenſtimmung des Oertlichen wie des
Spiels den Mangel reicherer Mittel vergeſſen machten.

Die Verbindung mit den entfernten Freunden litt
bei den neuen Bekanntſchaften auf keine Weiſe; mein
in jedem Sinn belebteſter Briefwechſel fand mit Ham¬
burg Statt, desgleichen mit Berlin. Am wenigſten wurde
Chamiſſo vergeſſen, der in Hameln ſeiner verlangten Ent¬
laſſung aus dem Kriegsdienſt ungeduldig harrte, und
dann unverzuͤglich zu uns zu kommen gedachte. Er
hatte in Nenndorf die Bekanntſchaft des Barons und
der Baronin von Fouqué gemacht, und uns von dem
Ehepaar viel Liebes mitgetheilt. In ſeinen Planen und
Abſichten wurde er auch von dieſer Seite nur beſtaͤtigt,
da Fouqué ebenfalls das Kriegsweſen verlaſſen und ſich
ganz der Dichtkunſt ergeben hatte. Der Sommer war

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[109/0123] Gegenwart. Das Stuͤck wurde vortrefflich gegeben, die Hauptrollen mit leidenſchaftlicher Wirkung, das Ganze mit einem ſchoͤnen Maße und wohlthaͤtiger Ordnung, daß man alsbald fuͤhlte, uͤber dieſem Kunſtweſen muͤſſe großer Verſtand und tiefe Bildung maͤchtig ſchalten. Graff als Herzog, Madame Wolff als Eugenie, mach¬ ten einen tiefen Eindruck, der auch die ſonſt laute Stu¬ dentenſchaar zu aufmerkſamer Stille bezwang. Ueber¬ haupt thaten Schauſpieler und Zuhoͤrer beiderſeits ihr Beſtes, und das kleine Haus, von deſſen Erbauung uns Goethe ſo antheilvollen Bericht giebt, konnte in der That ein Muſentempel duͤnken, in welchem Sinn, Anſtand und Zuſammenſtimmung des Oertlichen wie des Spiels den Mangel reicherer Mittel vergeſſen machten. Die Verbindung mit den entfernten Freunden litt bei den neuen Bekanntſchaften auf keine Weiſe; mein in jedem Sinn belebteſter Briefwechſel fand mit Ham¬ burg Statt, desgleichen mit Berlin. Am wenigſten wurde Chamiſſo vergeſſen, der in Hameln ſeiner verlangten Ent¬ laſſung aus dem Kriegsdienſt ungeduldig harrte, und dann unverzuͤglich zu uns zu kommen gedachte. Er hatte in Nenndorf die Bekanntſchaft des Barons und der Baronin von Fouqué gemacht, und uns von dem Ehepaar viel Liebes mitgetheilt. In ſeinen Planen und Abſichten wurde er auch von dieſer Seite nur beſtaͤtigt, da Fouqué ebenfalls das Kriegsweſen verlaſſen und ſich ganz der Dichtkunſt ergeben hatte. Der Sommer war

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 109. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/123>, abgerufen am 01.05.2024.