bedeutende Eigenschaften witterten, und saß übrigens immerfort bei seinen Büchern, indem weder Natur noch Geselligkeit für ihn den geringsten Reiz hatten. Diese angehende Entfernung zwischen uns mußte aber grade durch die große Nähe unsres Zusammlebens noch stärker hervorwachsen. Dabei wurde der weite Weg von den Pulverweiden zur Stadt, und von da zurück, wobei er sich fast regelmäßig verirrte, ihm höchst ver¬ drießlich, und so entschloß er sich eines Tages kurz und gut, und nahm mit Hülfe jener Theologen eine eigne Wohnung in der Stadt, wodurch ich einer großen Last ledig wurde, wiewohl ich mit Neumann nicht wenig in Sorgen stand, was nun aus ihm werden solle, bis wir uns versichert hatten, daß seine neuen Bekannten ihm die dringendste Aushülfe nicht fehlen ließen.
Aber auch ich sollte des reizenden Wohnortes auf dem Lande in dieser gewonnenen Erleichterung nicht lange froh sein. Das Haus hatte eine Gastwirthschaft, welche in der Woche fast gar nicht, und selbst an Sonn¬ tagen nur mäßig besucht wurde. Die meiste Zeit war der ganze Raum, Saal, Garten, Stromufer und Wiesen, für uns allein da, herrliche Vormittage und Abende verlebten wir im Freien, und nicht selten ließen wir den Gesang Homers am Wasserfall mit den schäumen¬ den Wogen laut in die Wette rauschen. In dieser schönen Freiheit fand mich noch ein Freund, der mich auf ein paar Tage von Leipzig her besuchte, und sich
bedeutende Eigenſchaften witterten, und ſaß uͤbrigens immerfort bei ſeinen Buͤchern, indem weder Natur noch Geſelligkeit fuͤr ihn den geringſten Reiz hatten. Dieſe angehende Entfernung zwiſchen uns mußte aber grade durch die große Naͤhe unſres Zuſammlebens noch ſtaͤrker hervorwachſen. Dabei wurde der weite Weg von den Pulverweiden zur Stadt, und von da zuruͤck, wobei er ſich faſt regelmaͤßig verirrte, ihm hoͤchſt ver¬ drießlich, und ſo entſchloß er ſich eines Tages kurz und gut, und nahm mit Huͤlfe jener Theologen eine eigne Wohnung in der Stadt, wodurch ich einer großen Laſt ledig wurde, wiewohl ich mit Neumann nicht wenig in Sorgen ſtand, was nun aus ihm werden ſolle, bis wir uns verſichert hatten, daß ſeine neuen Bekannten ihm die dringendſte Aushuͤlfe nicht fehlen ließen.
Aber auch ich ſollte des reizenden Wohnortes auf dem Lande in dieſer gewonnenen Erleichterung nicht lange froh ſein. Das Haus hatte eine Gaſtwirthſchaft, welche in der Woche faſt gar nicht, und ſelbſt an Sonn¬ tagen nur maͤßig beſucht wurde. Die meiſte Zeit war der ganze Raum, Saal, Garten, Stromufer und Wieſen, fuͤr uns allein da, herrliche Vormittage und Abende verlebten wir im Freien, und nicht ſelten ließen wir den Geſang Homers am Waſſerfall mit den ſchaͤumen¬ den Wogen laut in die Wette rauſchen. In dieſer ſchoͤnen Freiheit fand mich noch ein Freund, der mich auf ein paar Tage von Leipzig her beſuchte, und ſich
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0108"n="94"/>
bedeutende Eigenſchaften witterten, und ſaß uͤbrigens<lb/>
immerfort bei ſeinen Buͤchern, indem weder Natur<lb/>
noch Geſelligkeit fuͤr ihn den geringſten Reiz hatten.<lb/>
Dieſe angehende Entfernung zwiſchen uns mußte aber<lb/>
grade durch die große Naͤhe unſres Zuſammlebens noch<lb/>ſtaͤrker hervorwachſen. Dabei wurde der weite Weg<lb/>
von den Pulverweiden zur Stadt, und von da zuruͤck,<lb/>
wobei er ſich faſt regelmaͤßig verirrte, ihm hoͤchſt ver¬<lb/>
drießlich, und ſo entſchloß er ſich eines Tages kurz und<lb/>
gut, und nahm mit Huͤlfe jener Theologen eine eigne<lb/>
Wohnung in der Stadt, wodurch ich einer großen Laſt<lb/>
ledig wurde, wiewohl ich mit Neumann nicht wenig in<lb/>
Sorgen ſtand, was nun aus ihm werden ſolle, bis wir<lb/>
uns verſichert hatten, daß ſeine neuen Bekannten ihm<lb/>
die dringendſte Aushuͤlfe nicht fehlen ließen.</p><lb/><p>Aber auch ich ſollte des reizenden Wohnortes auf<lb/>
dem Lande in dieſer gewonnenen Erleichterung nicht<lb/>
lange froh ſein. Das Haus hatte eine Gaſtwirthſchaft,<lb/>
welche in der Woche faſt gar nicht, und ſelbſt an Sonn¬<lb/>
tagen nur maͤßig beſucht wurde. Die meiſte Zeit war<lb/>
der ganze Raum, Saal, Garten, Stromufer und Wieſen,<lb/>
fuͤr uns allein da, herrliche Vormittage und Abende<lb/>
verlebten wir im Freien, und nicht ſelten ließen wir<lb/>
den Geſang Homers am Waſſerfall mit den ſchaͤumen¬<lb/>
den Wogen laut in die Wette rauſchen. In dieſer<lb/>ſchoͤnen Freiheit fand mich noch ein Freund, der mich<lb/>
auf ein paar Tage von Leipzig her beſuchte, und ſich<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[94/0108]
bedeutende Eigenſchaften witterten, und ſaß uͤbrigens
immerfort bei ſeinen Buͤchern, indem weder Natur
noch Geſelligkeit fuͤr ihn den geringſten Reiz hatten.
Dieſe angehende Entfernung zwiſchen uns mußte aber
grade durch die große Naͤhe unſres Zuſammlebens noch
ſtaͤrker hervorwachſen. Dabei wurde der weite Weg
von den Pulverweiden zur Stadt, und von da zuruͤck,
wobei er ſich faſt regelmaͤßig verirrte, ihm hoͤchſt ver¬
drießlich, und ſo entſchloß er ſich eines Tages kurz und
gut, und nahm mit Huͤlfe jener Theologen eine eigne
Wohnung in der Stadt, wodurch ich einer großen Laſt
ledig wurde, wiewohl ich mit Neumann nicht wenig in
Sorgen ſtand, was nun aus ihm werden ſolle, bis wir
uns verſichert hatten, daß ſeine neuen Bekannten ihm
die dringendſte Aushuͤlfe nicht fehlen ließen.
Aber auch ich ſollte des reizenden Wohnortes auf
dem Lande in dieſer gewonnenen Erleichterung nicht
lange froh ſein. Das Haus hatte eine Gaſtwirthſchaft,
welche in der Woche faſt gar nicht, und ſelbſt an Sonn¬
tagen nur maͤßig beſucht wurde. Die meiſte Zeit war
der ganze Raum, Saal, Garten, Stromufer und Wieſen,
fuͤr uns allein da, herrliche Vormittage und Abende
verlebten wir im Freien, und nicht ſelten ließen wir
den Geſang Homers am Waſſerfall mit den ſchaͤumen¬
den Wogen laut in die Wette rauſchen. In dieſer
ſchoͤnen Freiheit fand mich noch ein Freund, der mich
auf ein paar Tage von Leipzig her beſuchte, und ſich
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 2. Mannheim, 1837, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten02_1837/108>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.