Er stand unter andern zum letztenmal Schildwacht am Tempel, wo der Dauphin gefangen gehalten wurde, ein Umstand, der sein Inneres tief ergreifen, und ihm nur desto bedeutender sein mußte, als er früher zum Lehrer des jungen Prinzen vorgeschlagen worden war! Durch eine Verfügung, welche die Adlichen betraf, wurde er genöthigt Paris zu verlassen, und seinen Aufenthalt in Amboise zu nehmen. Er gab seinen Mitbürgern immer das Beispiel der Unterwerfung unter die Gesetze, der Rechtschaffenheit, des Wohlthuns; zugleich aber auch des edelsten Muthes für die Wahrheit, denn inmitten der gefahrvollsten Stürme der Revolution wagte er seine kühnsten Schriften herauszugeben, und es ist ein Wun¬ der, daß er unangefochten blieb. Nachdem die Zeiten wieder ruhiger geworden waren, kehrte er nach Paris zurück, und lebte von neuem seinen Freunden und den Studien. Seine Wißbegierde breitete sich nach allen Richtungen aus; bei seinem großen Geiste verschmähte er doch keine Gelegenheit auch von Geringern zu ler¬ nen, und selbst wenige Monate vor seinem Tode besuchte er noch öffentliche Vorlesungen. Er hatte das Heran¬ nahen seines Todes geahndet, und seinen Freunden an¬ gekündigt; mit ruhigem Bewußtsein sah er seine letzte Stunde kommen, und mit Freuden sogar schien er seine irdische Hülle zu verlassen. Er starb gegen 11 Uhr Abends den 13. Oktober 1804 zu Autray bei Chatillon, in dem Landhause des Senators Lenoir-Laroche, wohin
Er ſtand unter andern zum letztenmal Schildwacht am Tempel, wo der Dauphin gefangen gehalten wurde, ein Umſtand, der ſein Inneres tief ergreifen, und ihm nur deſto bedeutender ſein mußte, als er fruͤher zum Lehrer des jungen Prinzen vorgeſchlagen worden war! Durch eine Verfuͤgung, welche die Adlichen betraf, wurde er genoͤthigt Paris zu verlaſſen, und ſeinen Aufenthalt in Amboiſe zu nehmen. Er gab ſeinen Mitbuͤrgern immer das Beiſpiel der Unterwerfung unter die Geſetze, der Rechtſchaffenheit, des Wohlthuns; zugleich aber auch des edelſten Muthes fuͤr die Wahrheit, denn inmitten der gefahrvollſten Stuͤrme der Revolution wagte er ſeine kuͤhnſten Schriften herauszugeben, und es iſt ein Wun¬ der, daß er unangefochten blieb. Nachdem die Zeiten wieder ruhiger geworden waren, kehrte er nach Paris zuruͤck, und lebte von neuem ſeinen Freunden und den Studien. Seine Wißbegierde breitete ſich nach allen Richtungen aus; bei ſeinem großen Geiſte verſchmaͤhte er doch keine Gelegenheit auch von Geringern zu ler¬ nen, und ſelbſt wenige Monate vor ſeinem Tode beſuchte er noch oͤffentliche Vorleſungen. Er hatte das Heran¬ nahen ſeines Todes geahndet, und ſeinen Freunden an¬ gekuͤndigt; mit ruhigem Bewußtſein ſah er ſeine letzte Stunde kommen, und mit Freuden ſogar ſchien er ſeine irdiſche Huͤlle zu verlaſſen. Er ſtarb gegen 11 Uhr Abends den 13. Oktober 1804 zu Autray bei Chatillon, in dem Landhauſe des Senators Lenoir-Laroche, wohin
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[408/0422]
Er ſtand unter andern zum letztenmal Schildwacht am
Tempel, wo der Dauphin gefangen gehalten wurde,
ein Umſtand, der ſein Inneres tief ergreifen, und ihm
nur deſto bedeutender ſein mußte, als er fruͤher zum
Lehrer des jungen Prinzen vorgeſchlagen worden war!
Durch eine Verfuͤgung, welche die Adlichen betraf, wurde
er genoͤthigt Paris zu verlaſſen, und ſeinen Aufenthalt
in Amboiſe zu nehmen. Er gab ſeinen Mitbuͤrgern
immer das Beiſpiel der Unterwerfung unter die Geſetze,
der Rechtſchaffenheit, des Wohlthuns; zugleich aber auch
des edelſten Muthes fuͤr die Wahrheit, denn inmitten
der gefahrvollſten Stuͤrme der Revolution wagte er ſeine
kuͤhnſten Schriften herauszugeben, und es iſt ein Wun¬
der, daß er unangefochten blieb. Nachdem die Zeiten
wieder ruhiger geworden waren, kehrte er nach Paris
zuruͤck, und lebte von neuem ſeinen Freunden und den
Studien. Seine Wißbegierde breitete ſich nach allen
Richtungen aus; bei ſeinem großen Geiſte verſchmaͤhte
er doch keine Gelegenheit auch von Geringern zu ler¬
nen, und ſelbſt wenige Monate vor ſeinem Tode beſuchte
er noch oͤffentliche Vorleſungen. Er hatte das Heran¬
nahen ſeines Todes geahndet, und ſeinen Freunden an¬
gekuͤndigt; mit ruhigem Bewußtſein ſah er ſeine letzte
Stunde kommen, und mit Freuden ſogar ſchien er ſeine
irdiſche Huͤlle zu verlaſſen. Er ſtarb gegen 11 Uhr
Abends den 13. Oktober 1804 zu Autray bei Chatillon,
in dem Landhauſe des Senators Lenoir-Laroche, wohin
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/422>, abgerufen am 22.11.2024.
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