Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

Guter Voltaire, wie würdest du lachen, wenn du auferstündest
aus deinem Grabe!

Armes geblendetes Völkchen! wo sind denn eure Cato's,
eure Cassius, eure Brutus? wie viele zeigt uns denn die Ge¬
schichte so schöne Ungeheuer? und was vermochten sie im üppigen
Rom? wo sind ihre Thaten? -- Oder wollt ihr zu der nüchter¬
nen Mäßigkeit des alten Roms zurückkehren? -- das wollt
ihr! -- und die ersten Freudenmädchen dieser Stadt sind von
den Deputirten, euren Gesetzgebern, euren Vaterlandsvätern,
gepachtet? -- verjagt die zuvor! zertrümmert die Denkmäler der
Kunst! verjagt eure Kaufleute; verbrennt eure Schiffe! zerstört
eure Städte! -- macht euch dagegen Hütten! pflanzt Kohl, pflanzt
Rüben! pflanzt Wälder, um jagen zu können! Hütet eure Heer¬
den! und gesetzt, daß es euch dann gelingt, das schwere Mittel
halten zwischen Menschlichkeit und Viehheit; gesetzt, daß ihr das
hohe Ideal von Freiheit in diesen Zustand mit hinübernehmen,
gesetzt, daß ihr es realisiren könnt! -- wie lange würd' es dauern?
-- oder vermögt ihr dem menschlichen Geiste Fesseln anzulegen,
der euch zu gleicher Zeit verfeinert, veredelt und entnervt! nicht
weil's an und für sich so sein müßte, sondern um der Schwach¬
heit willen der menschlichen Organisation! -- Bollmann.

4.

Liebe Frau Base! Auf meinen von Paris aus, und mit
deutschen Buchstaben an Sie geschriebenen Brief hab' ich keinen
Gegenbrief erhalten, und ich habe diese Grausamkeit um desto
tiefer gefühlt, je willkommner mir ein freundliches Wort in einer
Lage gewesen sein würde, mit deren Unannehmlichkeiten ich Sie
bekannt gemacht hatte; weil aber nichts von einmal gefaßten
Vorsätzen uns abwendig machen muß, so bleib' ich meinem Ver¬

Guter Voltaire, wie wuͤrdeſt du lachen, wenn du auferſtuͤndeſt
aus deinem Grabe!

Armes geblendetes Voͤlkchen! wo ſind denn eure Cato's,
eure Caſſius, eure Brutus? wie viele zeigt uns denn die Ge¬
ſchichte ſo ſchoͤne Ungeheuer? und was vermochten ſie im uͤppigen
Rom? wo ſind ihre Thaten? — Oder wollt ihr zu der nuͤchter¬
nen Maͤßigkeit des alten Roms zuruͤckkehren? — das wollt
ihr! — und die erſten Freudenmaͤdchen dieſer Stadt ſind von
den Deputirten, euren Geſetzgebern, euren Vaterlandsvaͤtern,
gepachtet? — verjagt die zuvor! zertruͤmmert die Denkmaͤler der
Kunſt! verjagt eure Kaufleute; verbrennt eure Schiffe! zerſtoͤrt
eure Staͤdte! — macht euch dagegen Huͤtten! pflanzt Kohl, pflanzt
Ruͤben! pflanzt Waͤlder, um jagen zu koͤnnen! Huͤtet eure Heer¬
den! und geſetzt, daß es euch dann gelingt, das ſchwere Mittel
halten zwiſchen Menſchlichkeit und Viehheit; geſetzt, daß ihr das
hohe Ideal von Freiheit in dieſen Zuſtand mit hinuͤbernehmen,
geſetzt, daß ihr es realiſiren koͤnnt! — wie lange wuͤrd' es dauern?
— oder vermoͤgt ihr dem menſchlichen Geiſte Feſſeln anzulegen,
der euch zu gleicher Zeit verfeinert, veredelt und entnervt! nicht
weil's an und fuͤr ſich ſo ſein muͤßte, ſondern um der Schwach¬
heit willen der menſchlichen Organiſation! — Bollmann.

4.

Liebe Frau Baſe! Auf meinen von Paris aus, und mit
deutſchen Buchſtaben an Sie geſchriebenen Brief hab' ich keinen
Gegenbrief erhalten, und ich habe dieſe Grauſamkeit um deſto
tiefer gefuͤhlt, je willkommner mir ein freundliches Wort in einer
Lage geweſen ſein wuͤrde, mit deren Unannehmlichkeiten ich Sie
bekannt gemacht hatte; weil aber nichts von einmal gefaßten
Vorſaͤtzen uns abwendig machen muß, ſo bleib' ich meinem Ver¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0037" n="23"/>
Guter Voltaire, wie wu&#x0364;rde&#x017F;t du lachen, wenn du aufer&#x017F;tu&#x0364;nde&#x017F;t<lb/>
aus deinem Grabe!</p><lb/>
              <p>Armes geblendetes Vo&#x0364;lkchen! wo &#x017F;ind denn eure Cato's,<lb/>
eure Ca&#x017F;&#x017F;ius, eure Brutus? wie viele zeigt uns denn die Ge¬<lb/>
&#x017F;chichte &#x017F;o &#x017F;cho&#x0364;ne Ungeheuer? und was vermochten &#x017F;ie im u&#x0364;ppigen<lb/>
Rom? wo &#x017F;ind ihre Thaten? &#x2014; Oder wollt ihr zu der nu&#x0364;chter¬<lb/>
nen Ma&#x0364;ßigkeit des alten Roms zuru&#x0364;ckkehren? &#x2014; das wollt<lb/>
ihr! &#x2014; und die er&#x017F;ten Freudenma&#x0364;dchen die&#x017F;er Stadt &#x017F;ind von<lb/>
den Deputirten, euren Ge&#x017F;etzgebern, euren Vaterlandsva&#x0364;tern,<lb/>
gepachtet? &#x2014; verjagt die zuvor! zertru&#x0364;mmert die Denkma&#x0364;ler der<lb/>
Kun&#x017F;t! verjagt eure Kaufleute; verbrennt eure Schiffe! zer&#x017F;to&#x0364;rt<lb/>
eure Sta&#x0364;dte! &#x2014; macht euch dagegen Hu&#x0364;tten! pflanzt Kohl, pflanzt<lb/>
Ru&#x0364;ben! pflanzt Wa&#x0364;lder, um jagen zu ko&#x0364;nnen! Hu&#x0364;tet eure Heer¬<lb/>
den! und ge&#x017F;etzt, daß es euch dann gelingt, das &#x017F;chwere Mittel<lb/>
halten zwi&#x017F;chen Men&#x017F;chlichkeit und Viehheit; ge&#x017F;etzt, daß ihr das<lb/>
hohe Ideal von Freiheit in die&#x017F;en Zu&#x017F;tand mit hinu&#x0364;bernehmen,<lb/>
ge&#x017F;etzt, daß ihr es reali&#x017F;iren ko&#x0364;nnt! &#x2014; wie lange wu&#x0364;rd' es dauern?<lb/>
&#x2014; oder vermo&#x0364;gt ihr dem men&#x017F;chlichen Gei&#x017F;te Fe&#x017F;&#x017F;eln anzulegen,<lb/>
der euch zu gleicher Zeit verfeinert, veredelt und entnervt! nicht<lb/>
weil's an und fu&#x0364;r &#x017F;ich &#x017F;o &#x017F;ein mu&#x0364;ßte, &#x017F;ondern um der Schwach¬<lb/>
heit willen der men&#x017F;chlichen Organi&#x017F;ation! &#x2014; Bollmann.</p><lb/>
            </div>
            <div n="4">
              <head> <hi rendition="#b">4.</hi><lb/>
              </head>
              <dateline rendition="#right">London, den <hi rendition="#b">14</hi>. September <hi rendition="#b">1792</hi>.</dateline><lb/>
              <p>Liebe Frau Ba&#x017F;e! Auf meinen von Paris aus, und mit<lb/>
deut&#x017F;chen Buch&#x017F;taben an Sie ge&#x017F;chriebenen Brief hab' ich keinen<lb/>
Gegenbrief erhalten, und ich habe die&#x017F;e Grau&#x017F;amkeit um de&#x017F;to<lb/>
tiefer gefu&#x0364;hlt, je willkommner mir ein freundliches Wort in einer<lb/>
Lage gewe&#x017F;en &#x017F;ein wu&#x0364;rde, mit deren Unannehmlichkeiten ich Sie<lb/>
bekannt gemacht hatte; weil aber nichts von einmal gefaßten<lb/>
Vor&#x017F;a&#x0364;tzen uns abwendig machen muß, &#x017F;o bleib' ich meinem Ver¬<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[23/0037] Guter Voltaire, wie wuͤrdeſt du lachen, wenn du auferſtuͤndeſt aus deinem Grabe! Armes geblendetes Voͤlkchen! wo ſind denn eure Cato's, eure Caſſius, eure Brutus? wie viele zeigt uns denn die Ge¬ ſchichte ſo ſchoͤne Ungeheuer? und was vermochten ſie im uͤppigen Rom? wo ſind ihre Thaten? — Oder wollt ihr zu der nuͤchter¬ nen Maͤßigkeit des alten Roms zuruͤckkehren? — das wollt ihr! — und die erſten Freudenmaͤdchen dieſer Stadt ſind von den Deputirten, euren Geſetzgebern, euren Vaterlandsvaͤtern, gepachtet? — verjagt die zuvor! zertruͤmmert die Denkmaͤler der Kunſt! verjagt eure Kaufleute; verbrennt eure Schiffe! zerſtoͤrt eure Staͤdte! — macht euch dagegen Huͤtten! pflanzt Kohl, pflanzt Ruͤben! pflanzt Waͤlder, um jagen zu koͤnnen! Huͤtet eure Heer¬ den! und geſetzt, daß es euch dann gelingt, das ſchwere Mittel halten zwiſchen Menſchlichkeit und Viehheit; geſetzt, daß ihr das hohe Ideal von Freiheit in dieſen Zuſtand mit hinuͤbernehmen, geſetzt, daß ihr es realiſiren koͤnnt! — wie lange wuͤrd' es dauern? — oder vermoͤgt ihr dem menſchlichen Geiſte Feſſeln anzulegen, der euch zu gleicher Zeit verfeinert, veredelt und entnervt! nicht weil's an und fuͤr ſich ſo ſein muͤßte, ſondern um der Schwach¬ heit willen der menſchlichen Organiſation! — Bollmann. 4. London, den 14. September 1792. Liebe Frau Baſe! Auf meinen von Paris aus, und mit deutſchen Buchſtaben an Sie geſchriebenen Brief hab' ich keinen Gegenbrief erhalten, und ich habe dieſe Grauſamkeit um deſto tiefer gefuͤhlt, je willkommner mir ein freundliches Wort in einer Lage geweſen ſein wuͤrde, mit deren Unannehmlichkeiten ich Sie bekannt gemacht hatte; weil aber nichts von einmal gefaßten Vorſaͤtzen uns abwendig machen muß, ſo bleib' ich meinem Ver¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/37
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/37>, abgerufen am 25.11.2024.