Indeß versammelte sich das Orchester. Tausend Stimmen schrien durcheinander ca ira, ca ira; und dies Geschrei ließ nicht nach bis zum Gehorsam der Virtuosen. -- Man klatschte den Takt zu dieser Arie, das ganze Parterre war nur ein Handschlag, man glaubte eine Maschine vor sich zu sehen, die ein einziger Zug bewegte! -- Mehrere Lieblingsarien folgten dieser. Sie wur¬ den vom gleichen Freudenschall begleitet. -- Endlich begann das Stück! Nicht wohl mehr wie höchstens zwanzig Worte konnte Brutus hintereinander reden, dann unterbrach ihn das Klatschen. Oft eine Viertelstunde hielt dies an, dann sprach er wieder, dann begann das Klatschen von neuem. Aber nicht genug, daß man klatschte -- man vermehrte das Getöse des Beifalls durch eigne dazu mitgebrachte Becken, nach Art der Becken bei Feldmusik! Man schlug sie über den Köpfen zusammen, und ein fürchterli¬ ches vielfaches Bravo machte das Getöse noch voller. -- Cäsar wurde wenig applaudirt, doch rief man zuweilen "bravo acteur!" -- -- Uebrigens kann man sich in Deutschland keinen Begriff von der Vollkommenheit einer solchen Vorstellung machen. Wir bewundern einen Iffland und Schröder! wir bewundern die Ein¬ zelnen, -- hier sollte man fragen, wo ist der Akteur, der's schlechter macht, geschweige der vielen, die sie übertreffen! -- Endlich wird Cäsar ermordet, aber hinter der Bühne. Man bringt seinen Leichnam. Antonius steht vor ihm, Cäsars Freund; ihn umringen die übrigen Senatoren. -- Antonius überläßt sich seinem Schmerz, er schildert Cäsars Größe, Cäsars Güte; er schildert das Verbrechen seines Sohnes; er fordert die Senatoren zur Rache. -- Der Akteur sprach warm und gut, und Voltaire hatt' ihm eine Rede gegeben voll Geist und Kraft. -- Er for¬ derte die Senatoren zur Rache über Brutus! -- Zwei Männer, wovon der eine dicht hinter mir und der andere in der ersten Loge unmittelbar neben mir saß, wurden sehr hingerissen; sie
Indeß verſammelte ſich das Orcheſter. Tauſend Stimmen ſchrien durcheinander ça ira, ça ira; und dies Geſchrei ließ nicht nach bis zum Gehorſam der Virtuoſen. — Man klatſchte den Takt zu dieſer Arie, das ganze Parterre war nur ein Handſchlag, man glaubte eine Maſchine vor ſich zu ſehen, die ein einziger Zug bewegte! — Mehrere Lieblingsarien folgten dieſer. Sie wur¬ den vom gleichen Freudenſchall begleitet. — Endlich begann das Stuͤck! Nicht wohl mehr wie hoͤchſtens zwanzig Worte konnte Brutus hintereinander reden, dann unterbrach ihn das Klatſchen. Oft eine Viertelſtunde hielt dies an, dann ſprach er wieder, dann begann das Klatſchen von neuem. Aber nicht genug, daß man klatſchte — man vermehrte das Getoͤſe des Beifalls durch eigne dazu mitgebrachte Becken, nach Art der Becken bei Feldmuſik! Man ſchlug ſie uͤber den Koͤpfen zuſammen, und ein fuͤrchterli¬ ches vielfaches Bravo machte das Getoͤſe noch voller. — Caͤſar wurde wenig applaudirt, doch rief man zuweilen „bravo acteur!“ — — Uebrigens kann man ſich in Deutſchland keinen Begriff von der Vollkommenheit einer ſolchen Vorſtellung machen. Wir bewundern einen Iffland und Schroͤder! wir bewundern die Ein¬ zelnen, — hier ſollte man fragen, wo iſt der Akteur, der’s ſchlechter macht, geſchweige der vielen, die ſie uͤbertreffen! — Endlich wird Caͤſar ermordet, aber hinter der Buͤhne. Man bringt ſeinen Leichnam. Antonius ſteht vor ihm, Caͤſars Freund; ihn umringen die uͤbrigen Senatoren. — Antonius uͤberlaͤßt ſich ſeinem Schmerz, er ſchildert Caͤſars Groͤße, Caͤſars Guͤte; er ſchildert das Verbrechen ſeines Sohnes; er fordert die Senatoren zur Rache. — Der Akteur ſprach warm und gut, und Voltaire hatt’ ihm eine Rede gegeben voll Geiſt und Kraft. — Er for¬ derte die Senatoren zur Rache uͤber Brutus! — Zwei Maͤnner, wovon der eine dicht hinter mir und der andere in der erſten Loge unmittelbar neben mir ſaß, wurden ſehr hingeriſſen; ſie
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Indeß verſammelte ſich das Orcheſter. Tauſend Stimmen ſchrien
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bis zum Gehorſam der Virtuoſen. — Man klatſchte den Takt
zu dieſer Arie, das ganze Parterre war nur ein Handſchlag,
man glaubte eine Maſchine vor ſich zu ſehen, die ein einziger
Zug bewegte! — Mehrere Lieblingsarien folgten dieſer. Sie wur¬
den vom gleichen Freudenſchall begleitet. — Endlich begann das
Stuͤck! Nicht wohl mehr wie hoͤchſtens zwanzig Worte konnte
Brutus hintereinander reden, dann unterbrach ihn das Klatſchen.
Oft eine Viertelſtunde hielt dies an, dann ſprach er wieder, dann
begann das Klatſchen von neuem. Aber nicht genug, daß man
klatſchte — man vermehrte das Getoͤſe des Beifalls durch eigne
dazu mitgebrachte Becken, nach Art der Becken bei Feldmuſik!
Man ſchlug ſie uͤber den Koͤpfen zuſammen, und ein fuͤrchterli¬
ches vielfaches Bravo machte das Getoͤſe noch voller. — Caͤſar
wurde wenig applaudirt, doch rief man zuweilen „bravo acteur!“
— — Uebrigens kann man ſich in Deutſchland keinen Begriff
von der Vollkommenheit einer ſolchen Vorſtellung machen. Wir
bewundern einen Iffland und Schroͤder! wir bewundern die Ein¬
zelnen, — hier ſollte man fragen, wo iſt der Akteur, der’s
ſchlechter macht, geſchweige der vielen, die ſie uͤbertreffen! —
Endlich wird Caͤſar ermordet, aber hinter der Buͤhne. Man
bringt ſeinen Leichnam. Antonius ſteht vor ihm, Caͤſars Freund;
ihn umringen die uͤbrigen Senatoren. — Antonius uͤberlaͤßt ſich
ſeinem Schmerz, er ſchildert Caͤſars Groͤße, Caͤſars Guͤte; er
ſchildert das Verbrechen ſeines Sohnes; er fordert die Senatoren
zur Rache. — Der Akteur ſprach warm und gut, und Voltaire
hatt’ ihm eine Rede gegeben voll Geiſt und Kraft. — Er for¬
derte die Senatoren zur Rache uͤber Brutus! — Zwei Maͤnner,
wovon der eine dicht hinter mir und der andere in der erſten
Loge unmittelbar neben mir ſaß, wurden ſehr hingeriſſen; ſie
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/35>, abgerufen am 25.11.2024.
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