Glück nennt, erwarte ich wenig, so lange diese Richtung der Zeiten fortdauert; vielleicht sieht das fernste Ziel meines Lebens das nicht im geringsten erfüllt, wonach ich strebe; aber meine späteste Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überstandenen Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, still und fest so dastehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, gesehn habe! Es ist mir, falls ich lange lebe, ein tröstliches Bild hoch aufgestellt ich wünsche dann so zu sein, wie ich Sie, und wie ich Meyern jetzt sehe, die mir verständlichere Lebensbilder sind, als die Muster der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen sind, die in früherem oder späterem Erfolg die Kraft und Frucht ihres politischen Wollens zu zeigen vermocht! -- Ich machte mir schon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von diesem Meyern nicht gesprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie gestellt habe, obgleich seine Weise und besonders die Lebensbahn, die er durchgangen, von der Ihrigen ganz verschieden ist, und nur in der politischen Tugend, die ich nirgends größer gesehn, will ich die Einheit ge¬ funden haben! Ich machte seine Bekanntschaft vorigen Winter in Prag, und es traf sich glücklicherweise, daß er einige Monat hindurch mit mir dasselbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬ bruche des letzten Kriegs in österreichische Dienste getreten, und Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von seinen früheren Verhältnissen habe ich nur wenig, und durch ihn selbst, unge¬ achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren, weil seine Persönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat, und er sich selbst nie bedachte, sondern nur die Dinge, die er gesehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei seinen Gesprächen vor Augen hatte. Dazu stimmte auch sein äußeres Leben, das nach Selbstwahl in jeder Art enthaltsam, streng und hart ist;
Glück nennt, erwarte ich wenig, ſo lange dieſe Richtung der Zeiten fortdauert; vielleicht ſieht das fernſte Ziel meines Lebens das nicht im geringſten erfüllt, wonach ich ſtrebe; aber meine ſpäteſte Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überſtandenen Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, ſtill und feſt ſo daſtehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, geſehn habe! Es iſt mir, falls ich lange lebe, ein tröſtliches Bild hoch aufgeſtellt ich wünſche dann ſo zu ſein, wie ich Sie, und wie ich Meyern jetzt ſehe, die mir verſtändlichere Lebensbilder ſind, als die Muſter der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen ſind, die in früherem oder ſpäterem Erfolg die Kraft und Frucht ihres politiſchen Wollens zu zeigen vermocht! — Ich machte mir ſchon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von dieſem Meyern nicht geſprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie geſtellt habe, obgleich ſeine Weiſe und beſonders die Lebensbahn, die er durchgangen, von der Ihrigen ganz verſchieden iſt, und nur in der politiſchen Tugend, die ich nirgends größer geſehn, will ich die Einheit ge¬ funden haben! Ich machte ſeine Bekanntſchaft vorigen Winter in Prag, und es traf ſich glücklicherweiſe, daß er einige Monat hindurch mit mir daſſelbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬ bruche des letzten Kriegs in öſterreichiſche Dienſte getreten, und Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von ſeinen früheren Verhältniſſen habe ich nur wenig, und durch ihn ſelbſt, unge¬ achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren, weil ſeine Perſönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat, und er ſich ſelbſt nie bedachte, ſondern nur die Dinge, die er geſehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei ſeinen Geſprächen vor Augen hatte. Dazu ſtimmte auch ſein äußeres Leben, das nach Selbſtwahl in jeder Art enthaltſam, ſtreng und hart iſt;
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Glück nennt, erwarte ich wenig, ſo lange dieſe Richtung der
Zeiten fortdauert; vielleicht ſieht das fernſte Ziel meines Lebens
das nicht im geringſten erfüllt, wonach ich ſtrebe; aber meine
ſpäteſte Zukunft wird dennoch für meinen Blick erhellt, wenn
ich mir denke, ich könne in hohem Alter, nach überſtandenen
Kämpfen und im Schmerz über ihr Mißlingen, ſtill und feſt ſo
daſtehn, wie ich Sie, Verehrungswürdiger, geſehn habe! Es iſt
mir, falls ich lange lebe, ein tröſtliches Bild hoch aufgeſtellt
ich wünſche dann ſo zu ſein, wie ich Sie, und wie ich Meyern
jetzt ſehe, die mir verſtändlichere Lebensbilder ſind, als die Muſter
der Vorwelt, von denen auch nur die auf uns gekommen ſind,
die in früherem oder ſpäterem Erfolg die Kraft und Frucht
ihres politiſchen Wollens zu zeigen vermocht! — Ich machte mir
ſchon oft zum Vorwurf, Ihnen damals von dieſem Meyern nicht
geſprochen zu haben, und ich will es jetzt thun, um mich zugleich
zu rechtfertigen, daß ich ihn neben Sie geſtellt habe, obgleich
ſeine Weiſe und beſonders die Lebensbahn, die er durchgangen,
von der Ihrigen ganz verſchieden iſt, und nur in der politiſchen
Tugend, die ich nirgends größer geſehn, will ich die Einheit ge¬
funden haben! Ich machte ſeine Bekanntſchaft vorigen Winter
in Prag, und es traf ſich glücklicherweiſe, daß er einige Monat
hindurch mit mir daſſelbe Zimmer bewohnte. Er war beim Aus¬
bruche des letzten Kriegs in öſterreichiſche Dienſte getreten, und
Hauptmann bei der Landwehr geworden. Von ſeinen früheren
Verhältniſſen habe ich nur wenig, und durch ihn ſelbſt, unge¬
achtet wir ziemlich vertraut waren, beinahe nichts erfahren,
weil ſeine Perſönlichkeit überall hinter die Sachen zurücktrat,
und er ſich ſelbſt nie bedachte, ſondern nur die Dinge, die er
geſehn, und die Gedanken, die er gefaßt, bei ſeinen Geſprächen
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 306. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/320>, abgerufen am 22.11.2024.
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