denn jene Erscheinungen, über die wir jetzt lachen, waren in der That von dringender Gefahr, indem auch die Bessern und die Besten, wie es bei allgemeinen Einflüssen unvermeidlich ist, sich in den schlechten Rich¬ tungen mehr oder minder hintreiben ließen, und daher auch ihres Theils von den hereinbrechenden Reinigungs¬ wettern mitgetroffen werden mußten. So war z. B. der sonst hochverdiente Herder, seinen Beruf und seine Fähigkeit bedauernswerth verkennend, in der Philosophie als Gegner Kant's mit unwürdigsten Waffen aufge¬ treten; sein Name war jedoch einer der größten, und wenn derselbe seinen vorigen Glanz seitdem nie völlig wiedergewonnen hat, so zeigt dies, wie ernst und nach¬ drücklich der Streit gegen ihn geführt werden mußte.
Schon als Jüngling hatte Erhard mancherlei Anlässe zu polemischer Uebung; späterhin stand er mit wissen¬ schaftlichen Autoritäten in ausgesprochenem Zwist; seine ersten litterarischen Arbeiten erfuhren übermüthige und hämische Angriffe. In allen diesen Fällen bewies er die entschlossenste Tapferkeit, immer zur Entscheidung vordringend, in der Sache ganz ohne Schonung, und alle Kraft der Einsicht und des Ausdrucks zur möglich¬ sten Wirkung zusammennehmend, und wiewohl so rüstig, doch immer zum Frieden bereit, sobald er das Nöthige gesagt glaubte. Mehrmals persönlich verletzt, traf er auch wohl den Gegner persönlich, und bei der Schärfe seiner Waffen öfters tödtlich; aber aus eigner Wahl
denn jene Erſcheinungen, uͤber die wir jetzt lachen, waren in der That von dringender Gefahr, indem auch die Beſſern und die Beſten, wie es bei allgemeinen Einfluͤſſen unvermeidlich iſt, ſich in den ſchlechten Rich¬ tungen mehr oder minder hintreiben ließen, und daher auch ihres Theils von den hereinbrechenden Reinigungs¬ wettern mitgetroffen werden mußten. So war z. B. der ſonſt hochverdiente Herder, ſeinen Beruf und ſeine Faͤhigkeit bedauernswerth verkennend, in der Philoſophie als Gegner Kant’s mit unwuͤrdigſten Waffen aufge¬ treten; ſein Name war jedoch einer der groͤßten, und wenn derſelbe ſeinen vorigen Glanz ſeitdem nie voͤllig wiedergewonnen hat, ſo zeigt dies, wie ernſt und nach¬ druͤcklich der Streit gegen ihn gefuͤhrt werden mußte.
Schon als Juͤngling hatte Erhard mancherlei Anlaͤſſe zu polemiſcher Uebung; ſpaͤterhin ſtand er mit wiſſen¬ ſchaftlichen Autoritaͤten in ausgeſprochenem Zwiſt; ſeine erſten litterariſchen Arbeiten erfuhren uͤbermuͤthige und haͤmiſche Angriffe. In allen dieſen Faͤllen bewies er die entſchloſſenſte Tapferkeit, immer zur Entſcheidung vordringend, in der Sache ganz ohne Schonung, und alle Kraft der Einſicht und des Ausdrucks zur moͤglich¬ ſten Wirkung zuſammennehmend, und wiewohl ſo ruͤſtig, doch immer zum Frieden bereit, ſobald er das Noͤthige geſagt glaubte. Mehrmals perſoͤnlich verletzt, traf er auch wohl den Gegner perſoͤnlich, und bei der Schaͤrfe ſeiner Waffen oͤfters toͤdtlich; aber aus eigner Wahl
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denn jene Erſcheinungen, uͤber die wir jetzt lachen,
waren in der That von dringender Gefahr, indem auch
die Beſſern und die Beſten, wie es bei allgemeinen
Einfluͤſſen unvermeidlich iſt, ſich in den ſchlechten Rich¬
tungen mehr oder minder hintreiben ließen, und daher
auch ihres Theils von den hereinbrechenden Reinigungs¬
wettern mitgetroffen werden mußten. So war z. B.
der ſonſt hochverdiente Herder, ſeinen Beruf und ſeine
Faͤhigkeit bedauernswerth verkennend, in der Philoſophie
als Gegner Kant’s mit unwuͤrdigſten Waffen aufge¬
treten; ſein Name war jedoch einer der groͤßten, und
wenn derſelbe ſeinen vorigen Glanz ſeitdem nie voͤllig
wiedergewonnen hat, ſo zeigt dies, wie ernſt und nach¬
druͤcklich der Streit gegen ihn gefuͤhrt werden mußte.
Schon als Juͤngling hatte Erhard mancherlei Anlaͤſſe
zu polemiſcher Uebung; ſpaͤterhin ſtand er mit wiſſen¬
ſchaftlichen Autoritaͤten in ausgeſprochenem Zwiſt; ſeine
erſten litterariſchen Arbeiten erfuhren uͤbermuͤthige und
haͤmiſche Angriffe. In allen dieſen Faͤllen bewies er
die entſchloſſenſte Tapferkeit, immer zur Entſcheidung
vordringend, in der Sache ganz ohne Schonung, und
alle Kraft der Einſicht und des Ausdrucks zur moͤglich¬
ſten Wirkung zuſammennehmend, und wiewohl ſo ruͤſtig,
doch immer zum Frieden bereit, ſobald er das Noͤthige
geſagt glaubte. Mehrmals perſoͤnlich verletzt, traf er
auch wohl den Gegner perſoͤnlich, und bei der Schaͤrfe
ſeiner Waffen oͤfters toͤdtlich; aber aus eigner Wahl
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/314>, abgerufen am 22.11.2024.
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