Der Ton, der hier herrschte, war die unschuldigste Geselligkeit, die ich bisher gesehen hatte. Ich war eines Abends auf dem Schlosse und phantasirte auf Verlangen auf einem Fortepiano; meine Laune gab mir deutsche Tänze ein, und diese wirkten auf die Gesellschaft so, daß sie zu tanzen anfing und ich meine Tänze fort¬ spielen mußte. Reinhold, der auch auf Besuch hier war, sagte mir in's Ohr: "Nun erfahre ich, was ich in meinem Leben nicht erwartet habe, daß ein Hof nach der Musik eines Philosophen tanzt"; es hörte es aber doch ein Nahestehender, der Scherz wurde in der Ge¬ sellschaft verbreitet und gefiel jedermann. -- O mein Vaterland, was könnte die Menschheit von dir hoffen -- und was erlebe ich an dir! --
Mit dem Buchhändler Göschen ging ich zu Fuß zurück nach Jena, und fand auch in ihm einen Freund. Unsere Hoffnungen von der deutschen Literatur waren groß. Er leistete für sie, was kaum zu erwarten war, und ich blieb in meinen Versprechungen, doch nicht ganz mit meiner Schuld, zurück. -- Auf unserm Wege be¬ schäftigte uns der Plan einer Bibelübersetzung als Toi¬ lettenbuch. Die Uebersetzung wurde von uns vertheilt, und wir sahen im Geiste die Früchte dieses Unterneh¬ mens der größern Mittheilung dieser Geschichte der Menschheit, welche dieses Buch nicht sowohl durch die Erzählungen selbst, als vielmehr durch die Art, wie er¬ zählt wird, und durch das Umfassende in der Darstel¬
17
Der Ton, der hier herrſchte, war die unſchuldigſte Geſelligkeit, die ich bisher geſehen hatte. Ich war eines Abends auf dem Schloſſe und phantaſirte auf Verlangen auf einem Fortepiano; meine Laune gab mir deutſche Taͤnze ein, und dieſe wirkten auf die Geſellſchaft ſo, daß ſie zu tanzen anfing und ich meine Taͤnze fort¬ ſpielen mußte. Reinhold, der auch auf Beſuch hier war, ſagte mir in's Ohr: „Nun erfahre ich, was ich in meinem Leben nicht erwartet habe, daß ein Hof nach der Muſik eines Philoſophen tanzt“; es hoͤrte es aber doch ein Naheſtehender, der Scherz wurde in der Ge¬ ſellſchaft verbreitet und gefiel jedermann. — O mein Vaterland, was koͤnnte die Menſchheit von dir hoffen — und was erlebe ich an dir! —
Mit dem Buchhaͤndler Goͤſchen ging ich zu Fuß zuruͤck nach Jena, und fand auch in ihm einen Freund. Unſere Hoffnungen von der deutſchen Literatur waren groß. Er leiſtete fuͤr ſie, was kaum zu erwarten war, und ich blieb in meinen Verſprechungen, doch nicht ganz mit meiner Schuld, zuruͤck. — Auf unſerm Wege be¬ ſchaͤftigte uns der Plan einer Bibeluͤberſetzung als Toi¬ lettenbuch. Die Ueberſetzung wurde von uns vertheilt, und wir ſahen im Geiſte die Fruͤchte dieſes Unterneh¬ mens der groͤßern Mittheilung dieſer Geſchichte der Menſchheit, welche dieſes Buch nicht ſowohl durch die Erzaͤhlungen ſelbſt, als vielmehr durch die Art, wie er¬ zaͤhlt wird, und durch das Umfaſſende in der Darſtel¬
17
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0271"n="257"/><p>Der Ton, der hier herrſchte, war die unſchuldigſte<lb/>
Geſelligkeit, die ich bisher geſehen hatte. Ich war eines<lb/>
Abends auf dem Schloſſe und phantaſirte auf Verlangen<lb/>
auf einem Fortepiano; meine Laune gab mir deutſche<lb/>
Taͤnze ein, und dieſe wirkten auf die Geſellſchaft ſo,<lb/>
daß ſie zu tanzen anfing und ich meine Taͤnze fort¬<lb/>ſpielen mußte. Reinhold, der auch auf Beſuch hier war,<lb/>ſagte mir in's Ohr: „Nun erfahre ich, was ich in<lb/>
meinem Leben nicht erwartet habe, daß ein Hof nach<lb/>
der Muſik eines Philoſophen tanzt“; es hoͤrte es aber<lb/>
doch ein Naheſtehender, der Scherz wurde in der Ge¬<lb/>ſellſchaft verbreitet und gefiel jedermann. — O mein<lb/>
Vaterland, was koͤnnte die Menſchheit von dir hoffen<lb/>— und was erlebe ich an dir! —</p><lb/><p>Mit dem Buchhaͤndler Goͤſchen ging ich zu Fuß<lb/>
zuruͤck nach Jena, und fand auch in ihm einen Freund.<lb/>
Unſere Hoffnungen von der deutſchen Literatur waren<lb/>
groß. Er leiſtete fuͤr ſie, was kaum zu erwarten war,<lb/>
und ich blieb in meinen Verſprechungen, doch nicht ganz<lb/>
mit meiner Schuld, zuruͤck. — Auf unſerm Wege be¬<lb/>ſchaͤftigte uns der Plan einer Bibeluͤberſetzung als Toi¬<lb/>
lettenbuch. Die Ueberſetzung wurde von uns vertheilt,<lb/>
und wir ſahen im Geiſte die Fruͤchte dieſes Unterneh¬<lb/>
mens der groͤßern Mittheilung dieſer Geſchichte der<lb/>
Menſchheit, welche dieſes Buch nicht ſowohl durch die<lb/>
Erzaͤhlungen ſelbſt, als vielmehr durch die Art, wie er¬<lb/>
zaͤhlt wird, und durch das Umfaſſende in der Darſtel¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#b">17</hi><lb/></fw></p></div></div></div></body></text></TEI>
[257/0271]
Der Ton, der hier herrſchte, war die unſchuldigſte
Geſelligkeit, die ich bisher geſehen hatte. Ich war eines
Abends auf dem Schloſſe und phantaſirte auf Verlangen
auf einem Fortepiano; meine Laune gab mir deutſche
Taͤnze ein, und dieſe wirkten auf die Geſellſchaft ſo,
daß ſie zu tanzen anfing und ich meine Taͤnze fort¬
ſpielen mußte. Reinhold, der auch auf Beſuch hier war,
ſagte mir in's Ohr: „Nun erfahre ich, was ich in
meinem Leben nicht erwartet habe, daß ein Hof nach
der Muſik eines Philoſophen tanzt“; es hoͤrte es aber
doch ein Naheſtehender, der Scherz wurde in der Ge¬
ſellſchaft verbreitet und gefiel jedermann. — O mein
Vaterland, was koͤnnte die Menſchheit von dir hoffen
— und was erlebe ich an dir! —
Mit dem Buchhaͤndler Goͤſchen ging ich zu Fuß
zuruͤck nach Jena, und fand auch in ihm einen Freund.
Unſere Hoffnungen von der deutſchen Literatur waren
groß. Er leiſtete fuͤr ſie, was kaum zu erwarten war,
und ich blieb in meinen Verſprechungen, doch nicht ganz
mit meiner Schuld, zuruͤck. — Auf unſerm Wege be¬
ſchaͤftigte uns der Plan einer Bibeluͤberſetzung als Toi¬
lettenbuch. Die Ueberſetzung wurde von uns vertheilt,
und wir ſahen im Geiſte die Fruͤchte dieſes Unterneh¬
mens der groͤßern Mittheilung dieſer Geſchichte der
Menſchheit, welche dieſes Buch nicht ſowohl durch die
Erzaͤhlungen ſelbſt, als vielmehr durch die Art, wie er¬
zaͤhlt wird, und durch das Umfaſſende in der Darſtel¬
17
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/271>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.