herzlich liebenden Vetter Justus Erich Bollmann. (Chez M.Jean de Türckheim.)
2.
Paris, den 15. März 1792.
Gleich nach Abgang meines letzten Briefs an Sie, liebe Frau Base! erhielt ich Nachricht von meinem Onkel, sparsames Reise¬ geld, und strengen Befehl, sogleich nach Paris zu ihm zu kom¬ men. An Ort und Stelle war ich gezwungen, in demselben Gasthofe und auf demselben Zimmer mit ihm zu wohnen. Sie wissen, er ist ein sehr braver Mann; aber er ist ein vierzigjäh¬ riger Hagestolz, ein Kaufmann und ein Engländer, -- folglich ist er rauh und unbekannt mit vielen Freuden des Lebens, geld¬ liebend und ein Freund von Essen und Trinken. Drei Wochen lang kam ich nicht von seiner Seite, und was macht' ich in die¬ ser Zeit? -- Er war über und über voll von Plänen, deren Ausführung mich zum reichen Mann machen sollten. -- Schon Morgens im Bette fing er mir sie vorzutragen an, und selten hatt' ich bis zu zwölf Uhr Zeit genug, um sie gründlich zu wider¬ legen. -- Petersburg, meint' er, London, Philadelphia etc. wären sehr gute Plätze für mich, und ich zweifle nicht, daß seine red¬ lichen Wünsche für mein Wohl mich unverzüglich nach Sibirien verpflanzen würden, wenn man ihn überzeugen könnte, es sei da viel zu verdienen. Um zwölf Uhr wurde gefrühstückt, dann spaziren gegangen, dann gegessen, oder geschmaust vielmehr, bis um fünf Uhr, dann das Schauspiel besucht, dann zu Nacht gespeist, dann Punsch getrunken. Den folgenden Tag dieselbe Wiederholung, und so ging's fort, ohne daß ich sonderlich etwas gewonnen hätte, es sei denn einen kleinen Zuwachs in der Fer¬ tigkeit, sich in die grämlichen und zuweilen ein bischen despoti¬ schen Launen eines Mannes zu fügen, dem man Dankbarkeit
herzlich liebenden Vetter Juſtus Erich Bollmann. (Chez M.Jean de Tuͤrckheim.)
2.
Paris, den 15. Maͤrz 1792.
Gleich nach Abgang meines letzten Briefs an Sie, liebe Frau Baſe! erhielt ich Nachricht von meinem Onkel, ſparſames Reiſe¬ geld, und ſtrengen Befehl, ſogleich nach Paris zu ihm zu kom¬ men. An Ort und Stelle war ich gezwungen, in demſelben Gaſthofe und auf demſelben Zimmer mit ihm zu wohnen. Sie wiſſen, er iſt ein ſehr braver Mann; aber er iſt ein vierzigjaͤh¬ riger Hageſtolz, ein Kaufmann und ein Englaͤnder, — folglich iſt er rauh und unbekannt mit vielen Freuden des Lebens, geld¬ liebend und ein Freund von Eſſen und Trinken. Drei Wochen lang kam ich nicht von ſeiner Seite, und was macht' ich in die¬ ſer Zeit? — Er war uͤber und uͤber voll von Plaͤnen, deren Ausfuͤhrung mich zum reichen Mann machen ſollten. — Schon Morgens im Bette fing er mir ſie vorzutragen an, und ſelten hatt' ich bis zu zwoͤlf Uhr Zeit genug, um ſie gruͤndlich zu wider¬ legen. — Petersburg, meint' er, London, Philadelphia ꝛc. waͤren ſehr gute Plaͤtze fuͤr mich, und ich zweifle nicht, daß ſeine red¬ lichen Wuͤnſche fuͤr mein Wohl mich unverzuͤglich nach Sibirien verpflanzen wuͤrden, wenn man ihn uͤberzeugen koͤnnte, es ſei da viel zu verdienen. Um zwoͤlf Uhr wurde gefruͤhſtuͤckt, dann ſpaziren gegangen, dann gegeſſen, oder geſchmauſt vielmehr, bis um fuͤnf Uhr, dann das Schauſpiel beſucht, dann zu Nacht geſpeiſt, dann Punſch getrunken. Den folgenden Tag dieſelbe Wiederholung, und ſo ging's fort, ohne daß ich ſonderlich etwas gewonnen haͤtte, es ſei denn einen kleinen Zuwachs in der Fer¬ tigkeit, ſich in die graͤmlichen und zuweilen ein bischen despoti¬ ſchen Launen eines Mannes zu fuͤgen, dem man Dankbarkeit
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0027"n="13"/>
herzlich liebenden Vetter Juſtus Erich Bollmann. <hirendition="#b">(</hi><hirendition="#aq #b">Chez M</hi><hirendition="#b">.</hi><hirendition="#aq #b">Jean<lb/>
de Tuͤrckheim</hi><hirendition="#b">.)</hi><lb/></p></div><divn="4"><head><hirendition="#b">2.</hi><lb/></head><datelinerendition="#right">Paris, den <hirendition="#b">15</hi>. Maͤrz <hirendition="#b">1792.</hi></dateline><lb/><p>Gleich nach Abgang meines letzten Briefs an Sie, liebe Frau<lb/>
Baſe! erhielt ich Nachricht von meinem Onkel, ſparſames Reiſe¬<lb/>
geld, und ſtrengen Befehl, ſogleich nach Paris zu ihm zu kom¬<lb/>
men. An Ort und Stelle war ich gezwungen, in demſelben<lb/>
Gaſthofe und auf demſelben Zimmer mit ihm zu wohnen. Sie<lb/>
wiſſen, er iſt ein ſehr braver Mann; aber er iſt ein vierzigjaͤh¬<lb/>
riger Hageſtolz, ein Kaufmann und ein Englaͤnder, — folglich<lb/>
iſt er rauh und unbekannt mit vielen Freuden des Lebens, geld¬<lb/>
liebend und ein Freund von Eſſen und Trinken. Drei Wochen<lb/>
lang kam ich nicht von ſeiner Seite, und was macht' ich in die¬<lb/>ſer Zeit? — Er war uͤber und uͤber voll von Plaͤnen, deren<lb/>
Ausfuͤhrung mich zum reichen Mann machen ſollten. — Schon<lb/>
Morgens im Bette fing er mir ſie vorzutragen an, und ſelten<lb/>
hatt' ich bis zu zwoͤlf Uhr Zeit genug, um ſie gruͤndlich zu wider¬<lb/>
legen. — Petersburg, meint' er, London, Philadelphia ꝛc. waͤren<lb/>ſehr gute Plaͤtze fuͤr mich, und ich zweifle nicht, daß ſeine red¬<lb/>
lichen Wuͤnſche fuͤr mein Wohl mich unverzuͤglich nach Sibirien<lb/>
verpflanzen wuͤrden, wenn man ihn uͤberzeugen koͤnnte, es ſei<lb/>
da viel zu verdienen. Um zwoͤlf Uhr wurde gefruͤhſtuͤckt, dann<lb/>ſpaziren gegangen, dann gegeſſen, oder geſchmauſt vielmehr, bis<lb/>
um fuͤnf Uhr, dann das Schauſpiel beſucht, dann zu Nacht<lb/>
geſpeiſt, dann Punſch getrunken. Den folgenden Tag dieſelbe<lb/>
Wiederholung, und ſo ging's fort, ohne daß ich ſonderlich etwas<lb/>
gewonnen haͤtte, es ſei denn einen kleinen Zuwachs in der Fer¬<lb/>
tigkeit, ſich in die graͤmlichen und zuweilen ein bischen despoti¬<lb/>ſchen Launen eines Mannes zu fuͤgen, dem man Dankbarkeit<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[13/0027]
herzlich liebenden Vetter Juſtus Erich Bollmann. ( Chez M. Jean
de Tuͤrckheim .)
2.
Paris, den 15. Maͤrz 1792.
Gleich nach Abgang meines letzten Briefs an Sie, liebe Frau
Baſe! erhielt ich Nachricht von meinem Onkel, ſparſames Reiſe¬
geld, und ſtrengen Befehl, ſogleich nach Paris zu ihm zu kom¬
men. An Ort und Stelle war ich gezwungen, in demſelben
Gaſthofe und auf demſelben Zimmer mit ihm zu wohnen. Sie
wiſſen, er iſt ein ſehr braver Mann; aber er iſt ein vierzigjaͤh¬
riger Hageſtolz, ein Kaufmann und ein Englaͤnder, — folglich
iſt er rauh und unbekannt mit vielen Freuden des Lebens, geld¬
liebend und ein Freund von Eſſen und Trinken. Drei Wochen
lang kam ich nicht von ſeiner Seite, und was macht' ich in die¬
ſer Zeit? — Er war uͤber und uͤber voll von Plaͤnen, deren
Ausfuͤhrung mich zum reichen Mann machen ſollten. — Schon
Morgens im Bette fing er mir ſie vorzutragen an, und ſelten
hatt' ich bis zu zwoͤlf Uhr Zeit genug, um ſie gruͤndlich zu wider¬
legen. — Petersburg, meint' er, London, Philadelphia ꝛc. waͤren
ſehr gute Plaͤtze fuͤr mich, und ich zweifle nicht, daß ſeine red¬
lichen Wuͤnſche fuͤr mein Wohl mich unverzuͤglich nach Sibirien
verpflanzen wuͤrden, wenn man ihn uͤberzeugen koͤnnte, es ſei
da viel zu verdienen. Um zwoͤlf Uhr wurde gefruͤhſtuͤckt, dann
ſpaziren gegangen, dann gegeſſen, oder geſchmauſt vielmehr, bis
um fuͤnf Uhr, dann das Schauſpiel beſucht, dann zu Nacht
geſpeiſt, dann Punſch getrunken. Den folgenden Tag dieſelbe
Wiederholung, und ſo ging's fort, ohne daß ich ſonderlich etwas
gewonnen haͤtte, es ſei denn einen kleinen Zuwachs in der Fer¬
tigkeit, ſich in die graͤmlichen und zuweilen ein bischen despoti¬
ſchen Launen eines Mannes zu fuͤgen, dem man Dankbarkeit
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/27>, abgerufen am 09.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.