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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

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freie Spiel meiner Kräfte mußte nun aufhören, ich
sollte arbeiten, um mein Brod zu verdienen, und zwar
nicht mit meinen Händen, wie es in meines Vaters
Hause geschehen war, sondern mit meinem Geist. Für
das, was meine Hände leisteten, Geld zu nehmen,
das kam mir natürlich vor, weil ich es von Jugend
auf von meinem Vater gesehen hatte, und ward in
meinem Gefühle noch dadurch veredelt, daß ich von
diesem Gelde keinen andern Gebrauch, als für die
Bildung meines Geistes, machte; aber dies freie Spiel
meiner Geisteskräfte einzuschränken, und das nur durch
sie hervorzubringen, was von andern Menschen des Gel¬
des werth gehalten wird, dies schien mir unmöglich.
Hätte meines Vaters Geschäft zwei Haushaltungen er¬
nähren können, so wäre mein Entschluß gefaßt gewesen,
ich wäre bei meiner Profession geblieben und hätte die
Wissenschaften und Künste zu meiner Erholung getrieben;
aber so hätte ich auch hier ein anderes Fach wählen und
nicht blos für Geld arbeiten können, sondern mir erst
Kundschaft machen und meine Abneigung gegen alle Kol¬
lission in Erwerbssachen mit andern Menschen überwinden
müssen. Die Stimmung meines Gemüths neigte sich
gänzlich zur Melancholie, und der Gedanke, verhungern
zu müssen, der mich schon in der Periode meiner Nerven¬
schwäche manchmal ängstigte, wäre wahrscheinlich zur
fixen Idee geworden, wenn meine vielseitige Bildung
mir nicht überall Gegenstände zur Zerstreuung gezeigt

freie Spiel meiner Kraͤfte mußte nun aufhoͤren, ich
ſollte arbeiten, um mein Brod zu verdienen, und zwar
nicht mit meinen Haͤnden, wie es in meines Vaters
Hauſe geſchehen war, ſondern mit meinem Geiſt. Fuͤr
das, was meine Haͤnde leiſteten, Geld zu nehmen,
das kam mir natuͤrlich vor, weil ich es von Jugend
auf von meinem Vater geſehen hatte, und ward in
meinem Gefuͤhle noch dadurch veredelt, daß ich von
dieſem Gelde keinen andern Gebrauch, als fuͤr die
Bildung meines Geiſtes, machte; aber dies freie Spiel
meiner Geiſteskraͤfte einzuſchraͤnken, und das nur durch
ſie hervorzubringen, was von andern Menſchen des Gel¬
des werth gehalten wird, dies ſchien mir unmoͤglich.
Haͤtte meines Vaters Geſchaͤft zwei Haushaltungen er¬
naͤhren koͤnnen, ſo waͤre mein Entſchluß gefaßt geweſen,
ich waͤre bei meiner Profeſſion geblieben und haͤtte die
Wiſſenſchaften und Kuͤnſte zu meiner Erholung getrieben;
aber ſo haͤtte ich auch hier ein anderes Fach waͤhlen und
nicht blos fuͤr Geld arbeiten koͤnnen, ſondern mir erſt
Kundſchaft machen und meine Abneigung gegen alle Kol¬
liſſion in Erwerbsſachen mit andern Menſchen uͤberwinden
muͤſſen. Die Stimmung meines Gemuͤths neigte ſich
gaͤnzlich zur Melancholie, und der Gedanke, verhungern
zu muͤſſen, der mich ſchon in der Periode meiner Nerven¬
ſchwaͤche manchmal aͤngſtigte, waͤre wahrſcheinlich zur
fixen Idee geworden, wenn meine vielſeitige Bildung
mir nicht uͤberall Gegenſtaͤnde zur Zerſtreuung gezeigt

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[252/0266] freie Spiel meiner Kraͤfte mußte nun aufhoͤren, ich ſollte arbeiten, um mein Brod zu verdienen, und zwar nicht mit meinen Haͤnden, wie es in meines Vaters Hauſe geſchehen war, ſondern mit meinem Geiſt. Fuͤr das, was meine Haͤnde leiſteten, Geld zu nehmen, das kam mir natuͤrlich vor, weil ich es von Jugend auf von meinem Vater geſehen hatte, und ward in meinem Gefuͤhle noch dadurch veredelt, daß ich von dieſem Gelde keinen andern Gebrauch, als fuͤr die Bildung meines Geiſtes, machte; aber dies freie Spiel meiner Geiſteskraͤfte einzuſchraͤnken, und das nur durch ſie hervorzubringen, was von andern Menſchen des Gel¬ des werth gehalten wird, dies ſchien mir unmoͤglich. Haͤtte meines Vaters Geſchaͤft zwei Haushaltungen er¬ naͤhren koͤnnen, ſo waͤre mein Entſchluß gefaßt geweſen, ich waͤre bei meiner Profeſſion geblieben und haͤtte die Wiſſenſchaften und Kuͤnſte zu meiner Erholung getrieben; aber ſo haͤtte ich auch hier ein anderes Fach waͤhlen und nicht blos fuͤr Geld arbeiten koͤnnen, ſondern mir erſt Kundſchaft machen und meine Abneigung gegen alle Kol¬ liſſion in Erwerbsſachen mit andern Menſchen uͤberwinden muͤſſen. Die Stimmung meines Gemuͤths neigte ſich gaͤnzlich zur Melancholie, und der Gedanke, verhungern zu muͤſſen, der mich ſchon in der Periode meiner Nerven¬ ſchwaͤche manchmal aͤngſtigte, waͤre wahrſcheinlich zur fixen Idee geworden, wenn meine vielſeitige Bildung mir nicht uͤberall Gegenſtaͤnde zur Zerſtreuung gezeigt

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Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/266>, abgerufen am 24.11.2024.