müthig gemacht, und nur die Erkenntniß, daß ich mei¬ nem Ideale selbst noch nicht Genüge leistete, erhielt mich in fortdauerndem Streben nach Vervollkommnung. Oft aber stieg meine Unzufriedenheit mit der Welt zu einem Grade, der mir den Gedanken des Selbstmordes eingab, und mich vielleicht auch hätte dahin führen können, wenn nicht Freundschaft und Liebe mich wieder erheitert und mir den Geschmack am Leben erhalten hätten. Eben so viel trug aber auch dies dazu bei, mich von diesem Verbrechen abzuhalten, daß ich über die Unrechtmäßigkeit des Selbstmordes bei kaltem Nach¬ denken entschieden, und ich es mir überhaupt zur Maxime gemacht hatte, in allen Kämpfen der Leidenschaft nicht mehr zu vernünfteln, sondern die von meinen frühern Untersuchungen im Gedächtniß behaltenen Resultate als unbedingte Gebote zu beobachten. Es ist eine prag¬ matische Regel für jeden Menschen, wenn ihn eine Ge¬ müthsbewegung zu etwas treibt, sich nach den früheren Resultaten seiner Untersuchungen schlechterdings zu richten, oder wenn er sich keiner bewußt ist, seiner Neigung, ohne zu vernünfteln, zu folgen, denn dann kann er Andern oder sich nur Schaden zuziehen, den er abbüßen kann, wenn sie wider Recht oder Klugheit ist; aber will er, während die Neigungen ihn ziehen, erst unter¬ suchen, so bringen sie gewiß seine Urtheilskraft unter ihren Fuß, und er setzt sich der Gefahr aus, anstatt
muͤthig gemacht, und nur die Erkenntniß, daß ich mei¬ nem Ideale ſelbſt noch nicht Genuͤge leiſtete, erhielt mich in fortdauerndem Streben nach Vervollkommnung. Oft aber ſtieg meine Unzufriedenheit mit der Welt zu einem Grade, der mir den Gedanken des Selbſtmordes eingab, und mich vielleicht auch haͤtte dahin fuͤhren koͤnnen, wenn nicht Freundſchaft und Liebe mich wieder erheitert und mir den Geſchmack am Leben erhalten haͤtten. Eben ſo viel trug aber auch dies dazu bei, mich von dieſem Verbrechen abzuhalten, daß ich uͤber die Unrechtmaͤßigkeit des Selbſtmordes bei kaltem Nach¬ denken entſchieden, und ich es mir uͤberhaupt zur Maxime gemacht hatte, in allen Kaͤmpfen der Leidenſchaft nicht mehr zu vernuͤnfteln, ſondern die von meinen fruͤhern Unterſuchungen im Gedaͤchtniß behaltenen Reſultate als unbedingte Gebote zu beobachten. Es iſt eine prag¬ matiſche Regel fuͤr jeden Menſchen, wenn ihn eine Ge¬ muͤthsbewegung zu etwas treibt, ſich nach den fruͤheren Reſultaten ſeiner Unterſuchungen ſchlechterdings zu richten, oder wenn er ſich keiner bewußt iſt, ſeiner Neigung, ohne zu vernuͤnfteln, zu folgen, denn dann kann er Andern oder ſich nur Schaden zuziehen, den er abbuͤßen kann, wenn ſie wider Recht oder Klugheit iſt; aber will er, waͤhrend die Neigungen ihn ziehen, erſt unter¬ ſuchen, ſo bringen ſie gewiß ſeine Urtheilskraft unter ihren Fuß, und er ſetzt ſich der Gefahr aus, anſtatt
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muͤthig gemacht, und nur die Erkenntniß, daß ich mei¬
nem Ideale ſelbſt noch nicht Genuͤge leiſtete, erhielt
mich in fortdauerndem Streben nach Vervollkommnung.
Oft aber ſtieg meine Unzufriedenheit mit der Welt zu
einem Grade, der mir den Gedanken des Selbſtmordes
eingab, und mich vielleicht auch haͤtte dahin fuͤhren
koͤnnen, wenn nicht Freundſchaft und Liebe mich wieder
erheitert und mir den Geſchmack am Leben erhalten
haͤtten. Eben ſo viel trug aber auch dies dazu bei,
mich von dieſem Verbrechen abzuhalten, daß ich uͤber
die Unrechtmaͤßigkeit des Selbſtmordes bei kaltem Nach¬
denken entſchieden, und ich es mir uͤberhaupt zur Maxime
gemacht hatte, in allen Kaͤmpfen der Leidenſchaft nicht
mehr zu vernuͤnfteln, ſondern die von meinen fruͤhern
Unterſuchungen im Gedaͤchtniß behaltenen Reſultate als
unbedingte Gebote zu beobachten. Es iſt eine prag¬
matiſche Regel fuͤr jeden Menſchen, wenn ihn eine Ge¬
muͤthsbewegung zu etwas treibt, ſich nach den fruͤheren
Reſultaten ſeiner Unterſuchungen ſchlechterdings zu richten,
oder wenn er ſich keiner bewußt iſt, ſeiner Neigung,
ohne zu vernuͤnfteln, zu folgen, denn dann kann er
Andern oder ſich nur Schaden zuziehen, den er abbuͤßen
kann, wenn ſie wider Recht oder Klugheit iſt; aber
will er, waͤhrend die Neigungen ihn ziehen, erſt unter¬
ſuchen, ſo bringen ſie gewiß ſeine Urtheilskraft unter
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/262>, abgerufen am 28.11.2024.
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