und Liebe, wo mir das Forschen nach Wahrheit der einzige Zweck meines Lebens, die Mittheilung meiner Entdeckungen an meine Freunde meine einzig gewünschte und erhaltene Belohnung, und die Unterhaltung mit meiner Geliebten über Freundschaft und Liebe der vollen¬ dete Genuß der Liebe war, diese Jahre machen bis jetzt noch mein wahres Leben aus; thätig werde ich sein, so lange ich lebe, und vieles Vergnügen habe ich seit¬ dem noch empfunden, aber mein Leben selbst, ohne alles Einzelne seiner Verhältnisse, als unmittelbaren Genuß des Seins, hatte ich nur damals, als ihr, meine mir ewig Unvergeßlichen, meine ganze Welt, für die ich da sein wollte, ausmachtet!
Bei der freien Wahl meiner Gegenstände der Er¬ kenntniß traf ich auch auf die Heilkunde; als Theil der Physik lag sie in dem Kreis, den ich für mein Wissen als den nützlichsten ausgezeichnet hatte, und die bestän¬ dige Kränklichkeit meiner Mutter und meine eigenen Zufälle lenkten meine Aufmerksamkeit auch noch beson¬ ders auf sie. Aus den Büchern, die mir in die Hände fielen, hatte ich so viel gelernt, daß ich meine Mutter im Jahre 1785 von einer falschen Lungenentzündung glücklich heilte.
Da in Nürnberg ein anatomisches Theater ist, auf dem zu Zeiten Vorlesungen für die Chirurgen gehalten werden, so hatte ich sehr frühe Gelegenheit, die Knochen-, Muskel- und Eingeweidelehre einigermaßen kennen zu
und Liebe, wo mir das Forſchen nach Wahrheit der einzige Zweck meines Lebens, die Mittheilung meiner Entdeckungen an meine Freunde meine einzig gewuͤnſchte und erhaltene Belohnung, und die Unterhaltung mit meiner Geliebten uͤber Freundſchaft und Liebe der vollen¬ dete Genuß der Liebe war, dieſe Jahre machen bis jetzt noch mein wahres Leben aus; thaͤtig werde ich ſein, ſo lange ich lebe, und vieles Vergnuͤgen habe ich ſeit¬ dem noch empfunden, aber mein Leben ſelbſt, ohne alles Einzelne ſeiner Verhaͤltniſſe, als unmittelbaren Genuß des Seins, hatte ich nur damals, als ihr, meine mir ewig Unvergeßlichen, meine ganze Welt, fuͤr die ich da ſein wollte, ausmachtet!
Bei der freien Wahl meiner Gegenſtaͤnde der Er¬ kenntniß traf ich auch auf die Heilkunde; als Theil der Phyſik lag ſie in dem Kreis, den ich fuͤr mein Wiſſen als den nuͤtzlichſten ausgezeichnet hatte, und die beſtaͤn¬ dige Kraͤnklichkeit meiner Mutter und meine eigenen Zufaͤlle lenkten meine Aufmerkſamkeit auch noch beſon¬ ders auf ſie. Aus den Buͤchern, die mir in die Haͤnde fielen, hatte ich ſo viel gelernt, daß ich meine Mutter im Jahre 1785 von einer falſchen Lungenentzuͤndung gluͤcklich heilte.
Da in Nuͤrnberg ein anatomiſches Theater iſt, auf dem zu Zeiten Vorleſungen fuͤr die Chirurgen gehalten werden, ſo hatte ich ſehr fruͤhe Gelegenheit, die Knochen-, Muskel- und Eingeweidelehre einigermaßen kennen zu
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und Liebe, wo mir das Forſchen nach Wahrheit der
einzige Zweck meines Lebens, die Mittheilung meiner
Entdeckungen an meine Freunde meine einzig gewuͤnſchte
und erhaltene Belohnung, und die Unterhaltung mit
meiner Geliebten uͤber Freundſchaft und Liebe der vollen¬
dete Genuß der Liebe war, dieſe Jahre machen bis jetzt
noch mein wahres Leben aus; thaͤtig werde ich ſein,
ſo lange ich lebe, und vieles Vergnuͤgen habe ich ſeit¬
dem noch empfunden, aber mein Leben ſelbſt, ohne
alles Einzelne ſeiner Verhaͤltniſſe, als unmittelbaren
Genuß des Seins, hatte ich nur damals, als ihr, meine
mir ewig Unvergeßlichen, meine ganze Welt, fuͤr die
ich da ſein wollte, ausmachtet!
Bei der freien Wahl meiner Gegenſtaͤnde der Er¬
kenntniß traf ich auch auf die Heilkunde; als Theil der
Phyſik lag ſie in dem Kreis, den ich fuͤr mein Wiſſen
als den nuͤtzlichſten ausgezeichnet hatte, und die beſtaͤn¬
dige Kraͤnklichkeit meiner Mutter und meine eigenen
Zufaͤlle lenkten meine Aufmerkſamkeit auch noch beſon¬
ders auf ſie. Aus den Buͤchern, die mir in die Haͤnde
fielen, hatte ich ſo viel gelernt, daß ich meine Mutter
im Jahre 1785 von einer falſchen Lungenentzuͤndung
gluͤcklich heilte.
Da in Nuͤrnberg ein anatomiſches Theater iſt, auf
dem zu Zeiten Vorleſungen fuͤr die Chirurgen gehalten
werden, ſo hatte ich ſehr fruͤhe Gelegenheit, die Knochen-,
Muskel- und Eingeweidelehre einigermaßen kennen zu
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/259>, abgerufen am 24.11.2024.
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