Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837.

Bild:
<< vorherige Seite

andern. Das Gefühl, wodurch wir einen höhern und
tiefern Ton unterscheiden, muß also von dem, wodurch
wir ähnliche und unähnliche Klänge, z. B. Trompete
und Flöte, unterscheiden, verschieden sein, und von
unterschiedenen Theilen unsers Gehörorgans abhängen.
Nähere Beobachtung hierüber, die ich gemacht habe,
kann ich hier nicht mittheilen. Besser als mit der
Musik gelang es meinem Vater mir Lust und Liebe
zu den bildenden Künsten und der Mathesis beizubrin¬
gen, und sehr frühe entwickelte sich die Wißbegierde
in mir.

Meine Erinnerungen gehen in einigen Dingen bis
in mein erstes Jahr zurück, und werden in meinem
zweiten in vielen Dingen nur dadurch ungewiß, daß
ich bis in mein viertes öfters meine Träume mit wirk¬
lichen Anschauungen verwechselte. Es kam bisweilen
zwischen mir und meinen Aeltern zu einem lebhaften
Streit, wenn ich öfters behauptete, daß gewisse Per¬
sonen uns besucht, oder gewisse Dinge vorgefallen wären,
wovon es mir doch nur geträumt hatte.

Noch in spätern Jahren hatte ich einigemal nöthig,
Traum und Wachen nach klaren Vorstellungen meiner
vergangenen Handlungen und den Gesetzen der Kausal¬
verbindung, und nicht durch das bloße Gefühl der leb¬
haftern oder schwächern Erinnerung der Eindrücke zu
unterscheiden. Noch im Jahre 1798, da ich mich in
Ansbach aufhielt, war dies der Fall. Es träumte mir,

andern. Das Gefuͤhl, wodurch wir einen hoͤhern und
tiefern Ton unterſcheiden, muß alſo von dem, wodurch
wir aͤhnliche und unaͤhnliche Klaͤnge, z. B. Trompete
und Floͤte, unterſcheiden, verſchieden ſein, und von
unterſchiedenen Theilen unſers Gehoͤrorgans abhaͤngen.
Naͤhere Beobachtung hieruͤber, die ich gemacht habe,
kann ich hier nicht mittheilen. Beſſer als mit der
Muſik gelang es meinem Vater mir Luſt und Liebe
zu den bildenden Kuͤnſten und der Matheſis beizubrin¬
gen, und ſehr fruͤhe entwickelte ſich die Wißbegierde
in mir.

Meine Erinnerungen gehen in einigen Dingen bis
in mein erſtes Jahr zuruͤck, und werden in meinem
zweiten in vielen Dingen nur dadurch ungewiß, daß
ich bis in mein viertes oͤfters meine Traͤume mit wirk¬
lichen Anſchauungen verwechſelte. Es kam bisweilen
zwiſchen mir und meinen Aeltern zu einem lebhaften
Streit, wenn ich oͤfters behauptete, daß gewiſſe Per¬
ſonen uns beſucht, oder gewiſſe Dinge vorgefallen waͤren,
wovon es mir doch nur getraͤumt hatte.

Noch in ſpaͤtern Jahren hatte ich einigemal noͤthig,
Traum und Wachen nach klaren Vorſtellungen meiner
vergangenen Handlungen und den Geſetzen der Kauſal¬
verbindung, und nicht durch das bloße Gefuͤhl der leb¬
haftern oder ſchwaͤchern Erinnerung der Eindruͤcke zu
unterſcheiden. Noch im Jahre 1798, da ich mich in
Ansbach aufhielt, war dies der Fall. Es traͤumte mir,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0228" n="214"/>
andern. Das Gefu&#x0364;hl, wodurch wir einen ho&#x0364;hern und<lb/>
tiefern Ton unter&#x017F;cheiden, muß al&#x017F;o von dem, wodurch<lb/>
wir a&#x0364;hnliche und una&#x0364;hnliche Kla&#x0364;nge, z. B. Trompete<lb/>
und Flo&#x0364;te, unter&#x017F;cheiden, ver&#x017F;chieden &#x017F;ein, und von<lb/>
unter&#x017F;chiedenen Theilen un&#x017F;ers Geho&#x0364;rorgans abha&#x0364;ngen.<lb/>
Na&#x0364;here Beobachtung hieru&#x0364;ber, die ich gemacht habe,<lb/>
kann ich hier nicht mittheilen. Be&#x017F;&#x017F;er als mit der<lb/>
Mu&#x017F;ik gelang es meinem Vater mir Lu&#x017F;t und Liebe<lb/>
zu den bildenden Ku&#x0364;n&#x017F;ten und der Mathe&#x017F;is beizubrin¬<lb/>
gen, und &#x017F;ehr fru&#x0364;he entwickelte &#x017F;ich die Wißbegierde<lb/>
in mir.</p><lb/>
            <p>Meine Erinnerungen gehen in einigen Dingen bis<lb/>
in mein er&#x017F;tes Jahr zuru&#x0364;ck, und werden in meinem<lb/>
zweiten in vielen Dingen nur dadurch ungewiß, daß<lb/>
ich bis in mein viertes o&#x0364;fters meine Tra&#x0364;ume mit wirk¬<lb/>
lichen An&#x017F;chauungen verwech&#x017F;elte. Es kam bisweilen<lb/>
zwi&#x017F;chen mir und meinen Aeltern zu einem lebhaften<lb/>
Streit, wenn ich o&#x0364;fters behauptete, daß gewi&#x017F;&#x017F;e Per¬<lb/>
&#x017F;onen uns be&#x017F;ucht, oder gewi&#x017F;&#x017F;e Dinge vorgefallen wa&#x0364;ren,<lb/>
wovon es mir doch nur getra&#x0364;umt hatte.</p><lb/>
            <p>Noch in &#x017F;pa&#x0364;tern Jahren hatte ich einigemal no&#x0364;thig,<lb/>
Traum und Wachen nach klaren Vor&#x017F;tellungen meiner<lb/>
vergangenen Handlungen und den Ge&#x017F;etzen der Kau&#x017F;al¬<lb/>
verbindung, und nicht durch das bloße Gefu&#x0364;hl der leb¬<lb/>
haftern oder &#x017F;chwa&#x0364;chern Erinnerung der Eindru&#x0364;cke zu<lb/>
unter&#x017F;cheiden. Noch im Jahre <hi rendition="#b">1798</hi>, da ich mich in<lb/>
Ansbach aufhielt, war dies der Fall. Es tra&#x0364;umte mir,<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[214/0228] andern. Das Gefuͤhl, wodurch wir einen hoͤhern und tiefern Ton unterſcheiden, muß alſo von dem, wodurch wir aͤhnliche und unaͤhnliche Klaͤnge, z. B. Trompete und Floͤte, unterſcheiden, verſchieden ſein, und von unterſchiedenen Theilen unſers Gehoͤrorgans abhaͤngen. Naͤhere Beobachtung hieruͤber, die ich gemacht habe, kann ich hier nicht mittheilen. Beſſer als mit der Muſik gelang es meinem Vater mir Luſt und Liebe zu den bildenden Kuͤnſten und der Matheſis beizubrin¬ gen, und ſehr fruͤhe entwickelte ſich die Wißbegierde in mir. Meine Erinnerungen gehen in einigen Dingen bis in mein erſtes Jahr zuruͤck, und werden in meinem zweiten in vielen Dingen nur dadurch ungewiß, daß ich bis in mein viertes oͤfters meine Traͤume mit wirk¬ lichen Anſchauungen verwechſelte. Es kam bisweilen zwiſchen mir und meinen Aeltern zu einem lebhaften Streit, wenn ich oͤfters behauptete, daß gewiſſe Per¬ ſonen uns beſucht, oder gewiſſe Dinge vorgefallen waͤren, wovon es mir doch nur getraͤumt hatte. Noch in ſpaͤtern Jahren hatte ich einigemal noͤthig, Traum und Wachen nach klaren Vorſtellungen meiner vergangenen Handlungen und den Geſetzen der Kauſal¬ verbindung, und nicht durch das bloße Gefuͤhl der leb¬ haftern oder ſchwaͤchern Erinnerung der Eindruͤcke zu unterſcheiden. Noch im Jahre 1798, da ich mich in Ansbach aufhielt, war dies der Fall. Es traͤumte mir,

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/228
Zitationshilfe: Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/228>, abgerufen am 05.05.2024.