ihm diese den Beinamen des Wohlthätigen. Als ihm der Tod auf dem Blutgerüste schon unvermeidlich er¬ scheinen mußte, übergab er sein beträchtliches Vermögen, so weit es verfügbar war, in Wechseln, seinem Freunde Oelsner, der noch frei war und ihn besuchen konnte, aber schon selbst bedacht sein mußte, durch Entfernung die steigende Gefahr zu meiden. "Nehmen Sie das Geld," sagte ihm Schlabrendorf, "und fliehen Sie, da Sie es noch können. Brauchen Sie es als das Ihre; sehen wir uns wieder, so geben Sie mir zurück, was noch da ist; werd' ich guillotinirt, so gehört es Ihnen ganz." Oelsner kam glücklich über die Gränze, und lebte eine Zeitlang in Oberitalien verborgen, litt manche Noth und Bedrängniß, aber hungerte lieber, als daß er den Schatz angegriffen hätte, und unversehrt lieferte er ihn später mit tausend Freuden dem Gerette¬ ten wieder aus. Denn durch ein Wunder entkam Schla¬ brendorf dem Henkerbeil, und zwar knüpfte seine Ret¬ tung sich an seine unbefangene Eigenart. Eines Mor¬ gens kam, wie gewöhnlich, der Karren zur Abholung der für den Tag zum Hinrichten bestimmten Personen; auch Schlabrendorf's Namen wurde ausgerufen, und er machte sich ohne Widerstreben und Klagen sofort auf, um seinem Schicksale zu folgen; Fassung und Gleich¬ gültigkeit waren damals in solchem Falle ganz allge¬ mein, ihm aber vorzüglich eigen. Angekleidet war er bald, nur seine Stiefel fehlten; er suchte sie, suchte sie
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ihm dieſe den Beinamen des Wohlthaͤtigen. Als ihm der Tod auf dem Blutgeruͤſte ſchon unvermeidlich er¬ ſcheinen mußte, uͤbergab er ſein betraͤchtliches Vermoͤgen, ſo weit es verfuͤgbar war, in Wechſeln, ſeinem Freunde Oelsner, der noch frei war und ihn beſuchen konnte, aber ſchon ſelbſt bedacht ſein mußte, durch Entfernung die ſteigende Gefahr zu meiden. „Nehmen Sie das Geld,” ſagte ihm Schlabrendorf, „und fliehen Sie, da Sie es noch koͤnnen. Brauchen Sie es als das Ihre; ſehen wir uns wieder, ſo geben Sie mir zuruͤck, was noch da iſt; werd’ ich guillotinirt, ſo gehoͤrt es Ihnen ganz.” Oelsner kam gluͤcklich uͤber die Graͤnze, und lebte eine Zeitlang in Oberitalien verborgen, litt manche Noth und Bedraͤngniß, aber hungerte lieber, als daß er den Schatz angegriffen haͤtte, und unverſehrt lieferte er ihn ſpaͤter mit tauſend Freuden dem Gerette¬ ten wieder aus. Denn durch ein Wunder entkam Schla¬ brendorf dem Henkerbeil, und zwar knuͤpfte ſeine Ret¬ tung ſich an ſeine unbefangene Eigenart. Eines Mor¬ gens kam, wie gewoͤhnlich, der Karren zur Abholung der fuͤr den Tag zum Hinrichten beſtimmten Perſonen; auch Schlabrendorf’s Namen wurde ausgerufen, und er machte ſich ohne Widerſtreben und Klagen ſofort auf, um ſeinem Schickſale zu folgen; Faſſung und Gleich¬ guͤltigkeit waren damals in ſolchem Falle ganz allge¬ mein, ihm aber vorzuͤglich eigen. Angekleidet war er bald, nur ſeine Stiefel fehlten; er ſuchte ſie, ſuchte ſie
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ihm dieſe den Beinamen des Wohlthaͤtigen. Als ihm
der Tod auf dem Blutgeruͤſte ſchon unvermeidlich er¬
ſcheinen mußte, uͤbergab er ſein betraͤchtliches Vermoͤgen,
ſo weit es verfuͤgbar war, in Wechſeln, ſeinem Freunde
Oelsner, der noch frei war und ihn beſuchen konnte,
aber ſchon ſelbſt bedacht ſein mußte, durch Entfernung
die ſteigende Gefahr zu meiden. „Nehmen Sie das
Geld,” ſagte ihm Schlabrendorf, „und fliehen Sie,
da Sie es noch koͤnnen. Brauchen Sie es als das
Ihre; ſehen wir uns wieder, ſo geben Sie mir zuruͤck,
was noch da iſt; werd’ ich guillotinirt, ſo gehoͤrt es
Ihnen ganz.” Oelsner kam gluͤcklich uͤber die Graͤnze,
und lebte eine Zeitlang in Oberitalien verborgen, litt
manche Noth und Bedraͤngniß, aber hungerte lieber,
als daß er den Schatz angegriffen haͤtte, und unverſehrt
lieferte er ihn ſpaͤter mit tauſend Freuden dem Gerette¬
ten wieder aus. Denn durch ein Wunder entkam Schla¬
brendorf dem Henkerbeil, und zwar knuͤpfte ſeine Ret¬
tung ſich an ſeine unbefangene Eigenart. Eines Mor¬
gens kam, wie gewoͤhnlich, der Karren zur Abholung
der fuͤr den Tag zum Hinrichten beſtimmten Perſonen;
auch Schlabrendorf’s Namen wurde ausgerufen, und
er machte ſich ohne Widerſtreben und Klagen ſofort auf,
um ſeinem Schickſale zu folgen; Faſſung und Gleich¬
guͤltigkeit waren damals in ſolchem Falle ganz allge¬
mein, ihm aber vorzuͤglich eigen. Angekleidet war er
bald, nur ſeine Stiefel fehlten; er ſuchte ſie, ſuchte ſie
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/161>, abgerufen am 23.11.2024.
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