Urtheil schien ewige Gefangenschaft über ihn aussprechen zu müssen. Er wurde in Ketten gelegt; kein Licht er¬ hellte seinen Kerker; Alles um ihn her war stumm, jede Verbindung mit der Welt abgeschnitten. Gleich bei seinem ersten Verhör machten aber seine rückhaltlose Aufrichtigkeit, sein freimüthiges Bekenntniß, und die edle Stärke seines ruhigen und einfachen Wesens einen für ihn höchst vortheilhaften Eindruck. Seine That er¬ regte in der Welt unglaubliches Aufsehen, überall wurde sie besprochen, gerühmt und bewundert, letzteres fast am meisten in Wien selbst, wo die besondern Umstände des romantischen Abentheuers mit lebhafter Begier ver¬ nommen wurden, und bald auch das Ergebniß der Verhöre nicht mehr geheim blieb. Eine Menge von Menschen sprachen für ihn mit wärmstem Eifer, suchten ihn zu rechtfertigen, zu entschuldigen, besonders zeigten die Frauen großen Antheil. Personen vom höchsten Range, durch menschenfreundliche Regung aufgefordert, verwandten ihren ganzen Einfluß zu seinen Gunsten; manche scheuten nicht, ihre sonstigen Grundsätze einen Augenblick zu verläugnen, und hier eine Ausnahme zu verlangen; die Richterstrenge selbst fühlte sich erschüttert. Durch die Kraft dieser allgemein verbreiteten Stimmung, und durch andre Einwirkungen, deren letzter Zusammen¬ hang noch jetzt mit dem Schleier des Geheimnisses be¬ deckt, wahrscheinlich aber in menschenfreundlichen Ver¬ brüderungen zu suchen ist, geschah das Wunder, welches
Urtheil ſchien ewige Gefangenſchaft uͤber ihn ausſprechen zu muͤſſen. Er wurde in Ketten gelegt; kein Licht er¬ hellte ſeinen Kerker; Alles um ihn her war ſtumm, jede Verbindung mit der Welt abgeſchnitten. Gleich bei ſeinem erſten Verhoͤr machten aber ſeine ruͤckhaltloſe Aufrichtigkeit, ſein freimuͤthiges Bekenntniß, und die edle Staͤrke ſeines ruhigen und einfachen Weſens einen fuͤr ihn hoͤchſt vortheilhaften Eindruck. Seine That er¬ regte in der Welt unglaubliches Aufſehen, uͤberall wurde ſie beſprochen, geruͤhmt und bewundert, letzteres faſt am meiſten in Wien ſelbſt, wo die beſondern Umſtaͤnde des romantiſchen Abentheuers mit lebhafter Begier ver¬ nommen wurden, und bald auch das Ergebniß der Verhoͤre nicht mehr geheim blieb. Eine Menge von Menſchen ſprachen fuͤr ihn mit waͤrmſtem Eifer, ſuchten ihn zu rechtfertigen, zu entſchuldigen, beſonders zeigten die Frauen großen Antheil. Perſonen vom hoͤchſten Range, durch menſchenfreundliche Regung aufgefordert, verwandten ihren ganzen Einfluß zu ſeinen Gunſten; manche ſcheuten nicht, ihre ſonſtigen Grundſaͤtze einen Augenblick zu verlaͤugnen, und hier eine Ausnahme zu verlangen; die Richterſtrenge ſelbſt fuͤhlte ſich erſchuͤttert. Durch die Kraft dieſer allgemein verbreiteten Stimmung, und durch andre Einwirkungen, deren letzter Zuſammen¬ hang noch jetzt mit dem Schleier des Geheimniſſes be¬ deckt, wahrſcheinlich aber in menſchenfreundlichen Ver¬ bruͤderungen zu ſuchen iſt, geſchah das Wunder, welches
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Urtheil ſchien ewige Gefangenſchaft uͤber ihn ausſprechen
zu muͤſſen. Er wurde in Ketten gelegt; kein Licht er¬
hellte ſeinen Kerker; Alles um ihn her war ſtumm,
jede Verbindung mit der Welt abgeſchnitten. Gleich
bei ſeinem erſten Verhoͤr machten aber ſeine ruͤckhaltloſe
Aufrichtigkeit, ſein freimuͤthiges Bekenntniß, und die
edle Staͤrke ſeines ruhigen und einfachen Weſens einen
fuͤr ihn hoͤchſt vortheilhaften Eindruck. Seine That er¬
regte in der Welt unglaubliches Aufſehen, uͤberall wurde
ſie beſprochen, geruͤhmt und bewundert, letzteres faſt
am meiſten in Wien ſelbſt, wo die beſondern Umſtaͤnde
des romantiſchen Abentheuers mit lebhafter Begier ver¬
nommen wurden, und bald auch das Ergebniß der
Verhoͤre nicht mehr geheim blieb. Eine Menge von
Menſchen ſprachen fuͤr ihn mit waͤrmſtem Eifer, ſuchten
ihn zu rechtfertigen, zu entſchuldigen, beſonders zeigten
die Frauen großen Antheil. Perſonen vom hoͤchſten
Range, durch menſchenfreundliche Regung aufgefordert,
verwandten ihren ganzen Einfluß zu ſeinen Gunſten;
manche ſcheuten nicht, ihre ſonſtigen Grundſaͤtze einen
Augenblick zu verlaͤugnen, und hier eine Ausnahme zu
verlangen; die Richterſtrenge ſelbſt fuͤhlte ſich erſchuͤttert.
Durch die Kraft dieſer allgemein verbreiteten Stimmung,
und durch andre Einwirkungen, deren letzter Zuſammen¬
hang noch jetzt mit dem Schleier des Geheimniſſes be¬
deckt, wahrſcheinlich aber in menſchenfreundlichen Ver¬
bruͤderungen zu ſuchen iſt, geſchah das Wunder, welches
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Varnhagen von Ense, Karl August: Denkwürdigkeiten und vermischte Schriften. Bd. 1. Mannheim, 1837, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/varnhagen_denkwuerdigkeiten01_1837/106>, abgerufen am 25.11.2024.
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