Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
von Bär, Heinrich Rathke und Emil Huschke, deren Leistungen
zwar schon 1820 auf diesem Felde begannen, deren Concentra-
tionspunkt jedoch in das Jahr 1828 fällt. Emil Huschke, ein frü-
herer Schüler Okens und von diesem in naturphilosophische Stu-
dien und Speculationen eingeweiht, suchte in einer Schrift über
die Sinnesorgane seine Ideen, vorzüglich in Betreff des Gehöror-
ganes und zum Theil des Auges durch Momente aus der Entwik-
kelungsgeschichte dieser Theile zu begründen. Untersuchungen
über den Kamm des Vogelauges gaben neue Gelegenheit, die Ent-
wickelung dieses Organes bei dem Hühnchen darzustellen, so wie
Untersuchungen über das Gehörorgan bei Thieren überhaupt, auf
den merkwürdigen Meckelschen Fortsatz bei Embryonen wieder-
um zurückzukommen. Heinrich Rathke hatte zuerst die Entwik-
kelungsgeschichte der Urodelen und Anuren mit Ausführlichkeit
und Gründlichkeit bearbeitet und späterhin seine Forschungen
über alle vier Wirbelthierklassen ausgedehnt, die Verhältnisse der
Wolffschen und Okenschen Körper genauer verfolgt und durch
Abbildungen erläutert. Die Untersuchung von zarten Embryonen
des Schaafes, Schweines und Pferdes hatten ihn zu der wichti-
gen Entdeckung der Kiemenspalten bei Säugethierembryonen ge-
führt, und wider Vermuthen fand er auch bald diese merkwürdi-
gen Gebilde in zeitigen Früchten der Schlangen und Vögel. Die
Anordnung der Kiemengefässe wurde Gegenstand eines lebhaften
Streites zwischen ihm und Huschke, dessen Folgen, wie die jeder
ächt wissenschaftlichen Discussion, nur erspriesslich waren und
zu dessen Schlichtung auch zwei Arbeiten von karl Ernst v. Bär
beitrugen. Ausserdem lieferte Rathke in diesem Zeitraume wich-
tige Beiträge zur Entwickelung der Rochen und Hayen und zur
Evolutionslehre der Athmungswerkzeuge in den Vögeln und Säu-
gethieren. Karl Ernst v. Bär hatte in seinem Sendschreiben an
die Petersburger Akademie ausser dem schon oben erwähnten Ei-
chen der Säugethiere die Bildung der gelben Körper, vorzüglich
aber die früheste Entwickelung der Säugethiere mit musterhafter
Genauigkeit beschrieben und abgebildet und die grösstmögliche
Analogie mit dem Vogel nachgewiesen. Ausser diesem waren von
den beiden zuletzt genannten Naturforschern eine Menge Beobach-
tungen gemacht worden, welche in Kürze wenigstens der bald zu
nennenden Schrift einverleibt wurden. Karl Friedrich Burdach,
seit mehr als einem Viertel eines Jahrhunderts in dem Felde fast

37

I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.
von Bär, Heinrich Rathke und Emil Huschke, deren Leistungen
zwar schon 1820 auf diesem Felde begannen, deren Concentra-
tionspunkt jedoch in das Jahr 1828 fällt. Emil Huschke, ein frü-
herer Schüler Okens und von diesem in naturphilosophische Stu-
dien und Speculationen eingeweiht, suchte in einer Schrift über
die Sinnesorgane seine Ideen, vorzüglich in Betreff des Gehöror-
ganes und zum Theil des Auges durch Momente aus der Entwik-
kelungsgeschichte dieser Theile zu begründen. Untersuchungen
über den Kamm des Vogelauges gaben neue Gelegenheit, die Ent-
wickelung dieses Organes bei dem Hühnchen darzustellen, so wie
Untersuchungen über das Gehörorgan bei Thieren überhaupt, auf
den merkwürdigen Meckelschen Fortsatz bei Embryonen wieder-
um zurückzukommen. Heinrich Rathke hatte zuerst die Entwik-
kelungsgeschichte der Urodelen und Anuren mit Ausführlichkeit
und Gründlichkeit bearbeitet und späterhin seine Forschungen
über alle vier Wirbelthierklassen ausgedehnt, die Verhältnisse der
Wolffschen und Okenschen Körper genauer verfolgt und durch
Abbildungen erläutert. Die Untersuchung von zarten Embryonen
des Schaafes, Schweines und Pferdes hatten ihn zu der wichti-
gen Entdeckung der Kiemenspalten bei Säugethierembryonen ge-
führt, und wider Vermuthen fand er auch bald diese merkwürdi-
gen Gebilde in zeitigen Früchten der Schlangen und Vögel. Die
Anordnung der Kiemengefäſse wurde Gegenstand eines lebhaften
Streites zwischen ihm und Huschke, dessen Folgen, wie die jeder
ächt wissenschaftlichen Discussion, nur ersprieſslich waren und
zu dessen Schlichtung auch zwei Arbeiten von karl Ernst v. Bär
beitrugen. Auſserdem lieferte Rathke in diesem Zeitraume wich-
tige Beiträge zur Entwickelung der Rochen und Hayen und zur
Evolutionslehre der Athmungswerkzeuge in den Vögeln und Säu-
gethieren. Karl Ernst v. Bär hatte in seinem Sendschreiben an
die Petersburger Akademie auſser dem schon oben erwähnten Ei-
chen der Säugethiere die Bildung der gelben Körper, vorzüglich
aber die früheste Entwickelung der Säugethiere mit musterhafter
Genauigkeit beschrieben und abgebildet und die gröſstmögliche
Analogie mit dem Vogel nachgewiesen. Auſser diesem waren von
den beiden zuletzt genannten Naturforschern eine Menge Beobach-
tungen gemacht worden, welche in Kürze wenigstens der bald zu
nennenden Schrift einverleibt wurden. Karl Friedrich Burdach,
seit mehr als einem Viertel eines Jahrhunderts in dem Felde fast

37
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0605" n="577"/><fw place="top" type="header">I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus.</fw><lb/>
von Bär, Heinrich Rathke und Emil Huschke, deren Leistungen<lb/>
zwar schon 1820 auf diesem Felde begannen, deren Concentra-<lb/>
tionspunkt jedoch in das Jahr 1828 fällt. Emil Huschke, ein frü-<lb/>
herer Schüler Okens und von diesem in naturphilosophische Stu-<lb/>
dien und Speculationen eingeweiht, suchte in einer Schrift über<lb/>
die Sinnesorgane seine Ideen, vorzüglich in Betreff des Gehöror-<lb/>
ganes und zum Theil des Auges durch Momente aus der Entwik-<lb/>
kelungsgeschichte dieser Theile zu begründen. Untersuchungen<lb/>
über den Kamm des Vogelauges gaben neue Gelegenheit, die Ent-<lb/>
wickelung dieses Organes bei dem Hühnchen darzustellen, so wie<lb/>
Untersuchungen über das Gehörorgan bei Thieren überhaupt, auf<lb/>
den merkwürdigen Meckelschen Fortsatz bei Embryonen wieder-<lb/>
um zurückzukommen. Heinrich Rathke hatte zuerst die Entwik-<lb/>
kelungsgeschichte der Urodelen und Anuren mit Ausführlichkeit<lb/>
und Gründlichkeit bearbeitet und späterhin seine Forschungen<lb/>
über alle vier Wirbelthierklassen ausgedehnt, die Verhältnisse der<lb/>
Wolffschen und Okenschen Körper genauer verfolgt und durch<lb/>
Abbildungen erläutert. Die Untersuchung von zarten Embryonen<lb/>
des Schaafes, Schweines und Pferdes hatten ihn zu der wichti-<lb/>
gen Entdeckung der Kiemenspalten bei Säugethierembryonen ge-<lb/>
führt, und wider Vermuthen fand er auch bald diese merkwürdi-<lb/>
gen Gebilde in zeitigen Früchten der Schlangen und Vögel. Die<lb/>
Anordnung der Kiemengefä&#x017F;se wurde Gegenstand eines lebhaften<lb/>
Streites zwischen ihm und Huschke, dessen Folgen, wie die jeder<lb/>
ächt wissenschaftlichen Discussion, nur ersprie&#x017F;slich waren und<lb/>
zu dessen Schlichtung auch zwei Arbeiten von karl Ernst v. Bär<lb/>
beitrugen. Au&#x017F;serdem lieferte Rathke in diesem Zeitraume wich-<lb/>
tige Beiträge zur Entwickelung der Rochen und Hayen und zur<lb/>
Evolutionslehre der Athmungswerkzeuge in den Vögeln und Säu-<lb/>
gethieren. Karl Ernst v. Bär hatte in seinem Sendschreiben an<lb/>
die Petersburger Akademie au&#x017F;ser dem schon oben erwähnten Ei-<lb/>
chen der Säugethiere die Bildung der gelben Körper, vorzüglich<lb/>
aber die früheste Entwickelung der Säugethiere mit musterhafter<lb/>
Genauigkeit beschrieben und abgebildet und die grö&#x017F;stmögliche<lb/>
Analogie mit dem Vogel nachgewiesen. Au&#x017F;ser diesem waren von<lb/>
den beiden zuletzt genannten Naturforschern eine Menge Beobach-<lb/>
tungen gemacht worden, welche in Kürze wenigstens der bald zu<lb/>
nennenden Schrift einverleibt wurden. Karl Friedrich Burdach,<lb/>
seit mehr als einem Viertel eines Jahrhunderts in dem Felde fast<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">37</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[577/0605] I. Gegensatz zwischen Idealismus und Realismus. von Bär, Heinrich Rathke und Emil Huschke, deren Leistungen zwar schon 1820 auf diesem Felde begannen, deren Concentra- tionspunkt jedoch in das Jahr 1828 fällt. Emil Huschke, ein frü- herer Schüler Okens und von diesem in naturphilosophische Stu- dien und Speculationen eingeweiht, suchte in einer Schrift über die Sinnesorgane seine Ideen, vorzüglich in Betreff des Gehöror- ganes und zum Theil des Auges durch Momente aus der Entwik- kelungsgeschichte dieser Theile zu begründen. Untersuchungen über den Kamm des Vogelauges gaben neue Gelegenheit, die Ent- wickelung dieses Organes bei dem Hühnchen darzustellen, so wie Untersuchungen über das Gehörorgan bei Thieren überhaupt, auf den merkwürdigen Meckelschen Fortsatz bei Embryonen wieder- um zurückzukommen. Heinrich Rathke hatte zuerst die Entwik- kelungsgeschichte der Urodelen und Anuren mit Ausführlichkeit und Gründlichkeit bearbeitet und späterhin seine Forschungen über alle vier Wirbelthierklassen ausgedehnt, die Verhältnisse der Wolffschen und Okenschen Körper genauer verfolgt und durch Abbildungen erläutert. Die Untersuchung von zarten Embryonen des Schaafes, Schweines und Pferdes hatten ihn zu der wichti- gen Entdeckung der Kiemenspalten bei Säugethierembryonen ge- führt, und wider Vermuthen fand er auch bald diese merkwürdi- gen Gebilde in zeitigen Früchten der Schlangen und Vögel. Die Anordnung der Kiemengefäſse wurde Gegenstand eines lebhaften Streites zwischen ihm und Huschke, dessen Folgen, wie die jeder ächt wissenschaftlichen Discussion, nur ersprieſslich waren und zu dessen Schlichtung auch zwei Arbeiten von karl Ernst v. Bär beitrugen. Auſserdem lieferte Rathke in diesem Zeitraume wich- tige Beiträge zur Entwickelung der Rochen und Hayen und zur Evolutionslehre der Athmungswerkzeuge in den Vögeln und Säu- gethieren. Karl Ernst v. Bär hatte in seinem Sendschreiben an die Petersburger Akademie auſser dem schon oben erwähnten Ei- chen der Säugethiere die Bildung der gelben Körper, vorzüglich aber die früheste Entwickelung der Säugethiere mit musterhafter Genauigkeit beschrieben und abgebildet und die gröſstmögliche Analogie mit dem Vogel nachgewiesen. Auſser diesem waren von den beiden zuletzt genannten Naturforschern eine Menge Beobach- tungen gemacht worden, welche in Kürze wenigstens der bald zu nennenden Schrift einverleibt wurden. Karl Friedrich Burdach, seit mehr als einem Viertel eines Jahrhunderts in dem Felde fast 37

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/605
Zitationshilfe: Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835, S. 577. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/valentin_entwicklungsgeschichte_1835/605>, abgerufen am 23.11.2024.