Valentin, Gabriel Gustav: Handbuch der Entwicklungsgeschichte des Menschen mit vergleichender Rücksicht der Entwicklung der Säugetiere und Vögel. Berlin, 1835.Unterschiede der Keimhaut. thicus ansahen. Die Lagenverhältnisse der Theile hatten sogar zudem Ausspruche gebracht, dass diese niederen Thiere nicht auf ihrer Bauch-, sondern auf ihrer Rückenfläche einhergingen. Durch Rathkes Untersuchungen ist in dieser Hinsicht sehr vieles Licht verbreitet worden. (Siehe vorzüglich den Abschnitt hierüber in seinem Werke über den Flusskrebs. S. 77--91.) Bei den Wir- belthieren nämlich bildet sich Hirn- und Rückenmark an der äusseren Seite des serösen Blattes, welches die Fleischschicht zum Theil centrisch umgiebt, während der Extremitätengürtel an das Rohr selbst sich lagert. Bei den Wirbellosen entsteht dagegen der Ganglienstrang an der inneren, dem Dotter näher liegenden Fläche des serösen Blattes, die Gliedmassen dagegen unmittelbar an der äusseren Seite desselben. Man kann also, wenn man die sonst nur relativen Bezeichnungen von oben und unten hier ge- brauchen will, mit Burdach den Satz aussprechen: "Das wirbel- lose Thier bildet sich unter dem Dotter, das Wirbelthier über dem Dotter." (Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft II. S. 612. 613.) v. Bär führt in seinen Corollarien (Ueber Ent- wickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. 1828. 4. Thl. I. S. 245--247.) dieses Verhältniss durch einen Vergleich noch deutlicher vor Augen. Die Entwickelung der Wirbelthiere kann nämlich nach ihm durch die Form einer ara- bischen Achte (8) versinnlicht werden, indem man den oberen Kreis als Durchschnitt des Rohres für die Centraltheile des Ner- vensystemes und deren sämmtliche Hüllen, den unteren dagegen als den der plastischen Organe ansieht. Diese Art der Entwik- kelung nennt er Evolutio bigemina (l. c. S. 164. fgg.). Die wirbellosen Thiere dagegen haben nur eine evolutio gemina d. h. ein einfaches in der Mittellinie sich schliessendes Rohr. Ihr Ty- pus wird daher durch die Hälfte der Acht repräsentirt, doch so, dass an der unteren Vereinigungsstelle oder nach ihr hin die Cen- traltheile des Nerven- und Gefässsystemes zu liegen kommen. Man muss sich daher das für die Entwickelung der Wirbelthiere geltende Schema für die Wirbellosen halbirt und umgekehrt den- ken, wie es auch v. Bär bildlich dargestellt hat (l. c. tab. 3. fig. 8. Vgl. Rathke in Burdachs Phys. II. tab. I. fig. 1--4. Flusskrebs tab. 3. fig. 1--8.). So ist nun die Verschiedenheit der Lage des Ganglienstranges zu der des ganzen Körpers überhaupt durch diese Urdifferenz der Entwickelung begründet. -- Auch die ganze 10*
Unterschiede der Keimhaut. thicus ansahen. Die Lagenverhältnisse der Theile hatten sogar zudem Ausspruche gebracht, daſs diese niederen Thiere nicht auf ihrer Bauch-, sondern auf ihrer Rückenfläche einhergingen. Durch Rathkes Untersuchungen ist in dieser Hinsicht sehr vieles Licht verbreitet worden. (Siehe vorzüglich den Abschnitt hierüber in seinem Werke über den Fluſskrebs. S. 77—91.) Bei den Wir- belthieren nämlich bildet sich Hirn- und Rückenmark an der äuſseren Seite des serösen Blattes, welches die Fleischschicht zum Theil centrisch umgiebt, während der Extremitätengürtel an das Rohr selbst sich lagert. Bei den Wirbellosen entsteht dagegen der Ganglienstrang an der inneren, dem Dotter näher liegenden Fläche des serösen Blattes, die Gliedmaſsen dagegen unmittelbar an der äuſseren Seite desselben. Man kann also, wenn man die sonst nur relativen Bezeichnungen von oben und unten hier ge- brauchen will, mit Burdach den Satz aussprechen: „Das wirbel- lose Thier bildet sich unter dem Dotter, das Wirbelthier über dem Dotter.“ (Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft II. S. 612. 613.) v. Bär führt in seinen Corollarien (Ueber Ent- wickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion. 1828. 4. Thl. I. S. 245—247.) dieses Verhältniſs durch einen Vergleich noch deutlicher vor Augen. Die Entwickelung der Wirbelthiere kann nämlich nach ihm durch die Form einer ara- bischen Achte (8) versinnlicht werden, indem man den oberen Kreis als Durchschnitt des Rohres für die Centraltheile des Ner- vensystemes und deren sämmtliche Hüllen, den unteren dagegen als den der plastischen Organe ansieht. Diese Art der Entwik- kelung nennt er Evolutio bigemina (l. c. S. 164. fgg.). Die wirbellosen Thiere dagegen haben nur eine evolutio gemina d. h. ein einfaches in der Mittellinie sich schlieſsendes Rohr. Ihr Ty- pus wird daher durch die Hälfte der Acht repräsentirt, doch so, daſs an der unteren Vereinigungsstelle oder nach ihr hin die Cen- traltheile des Nerven- und Gefäſssystemes zu liegen kommen. Man muſs sich daher das für die Entwickelung der Wirbelthiere geltende Schema für die Wirbellosen halbirt und umgekehrt den- ken, wie es auch v. Bär bildlich dargestellt hat (l. c. tab. 3. fig. 8. Vgl. Rathke in Burdachs Phys. II. tab. I. fig. 1—4. Fluſskrebs tab. 3. fig. 1—8.). So ist nun die Verschiedenheit der Lage des Ganglienstranges zu der des ganzen Körpers überhaupt durch diese Urdifferenz der Entwickelung begründet. — Auch die ganze 10*
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Unterschiede der Keimhaut.
thicus ansahen. Die Lagenverhältnisse der Theile hatten sogar zu
dem Ausspruche gebracht, daſs diese niederen Thiere nicht auf
ihrer Bauch-, sondern auf ihrer Rückenfläche einhergingen. Durch
Rathkes Untersuchungen ist in dieser Hinsicht sehr vieles Licht
verbreitet worden. (Siehe vorzüglich den Abschnitt hierüber in
seinem Werke über den Fluſskrebs. S. 77—91.) Bei den Wir-
belthieren nämlich bildet sich Hirn- und Rückenmark an der
äuſseren Seite des serösen Blattes, welches die Fleischschicht zum
Theil centrisch umgiebt, während der Extremitätengürtel an das
Rohr selbst sich lagert. Bei den Wirbellosen entsteht dagegen
der Ganglienstrang an der inneren, dem Dotter näher liegenden
Fläche des serösen Blattes, die Gliedmaſsen dagegen unmittelbar
an der äuſseren Seite desselben. Man kann also, wenn man die
sonst nur relativen Bezeichnungen von oben und unten hier ge-
brauchen will, mit Burdach den Satz aussprechen: „Das wirbel-
lose Thier bildet sich unter dem Dotter, das Wirbelthier über
dem Dotter.“ (Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft II.
S. 612. 613.) v. Bär führt in seinen Corollarien (Ueber Ent-
wickelungsgeschichte der Thiere. Beobachtung und Reflexion.
1828. 4. Thl. I. S. 245—247.) dieses Verhältniſs durch einen
Vergleich noch deutlicher vor Augen. Die Entwickelung der
Wirbelthiere kann nämlich nach ihm durch die Form einer ara-
bischen Achte (8) versinnlicht werden, indem man den oberen
Kreis als Durchschnitt des Rohres für die Centraltheile des Ner-
vensystemes und deren sämmtliche Hüllen, den unteren dagegen
als den der plastischen Organe ansieht. Diese Art der Entwik-
kelung nennt er Evolutio bigemina (l. c. S. 164. fgg.). Die
wirbellosen Thiere dagegen haben nur eine evolutio gemina d. h.
ein einfaches in der Mittellinie sich schlieſsendes Rohr. Ihr Ty-
pus wird daher durch die Hälfte der Acht repräsentirt, doch so,
daſs an der unteren Vereinigungsstelle oder nach ihr hin die Cen-
traltheile des Nerven- und Gefäſssystemes zu liegen kommen.
Man muſs sich daher das für die Entwickelung der Wirbelthiere
geltende Schema für die Wirbellosen halbirt und umgekehrt den-
ken, wie es auch v. Bär bildlich dargestellt hat (l. c. tab. 3. fig. 8.
Vgl. Rathke in Burdachs Phys. II. tab. I. fig. 1—4. Fluſskrebs
tab. 3. fig. 1—8.). So ist nun die Verschiedenheit der Lage des
Ganglienstranges zu der des ganzen Körpers überhaupt durch
diese Urdifferenz der Entwickelung begründet. — Auch die ganze
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