Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Briefe. Und strahlt mit kühnem Witz, auch wo er schweigensoll? Hört auf, stets räthselhaft, in Sprüchen stets zu spre- chen: Warum soll ieder Satz den müden Kopf zerbrechen? Nicht seicht fließ' euer Vers, nicht von Gedanken leer: Er fließe klar dahin, obgleich von Golde schwer. (+) Soll Deutschland euer Haupt mit Lorbeern dank- bar krönen; So lehret euer Lied, auch deutsch, nicht fremde tönen. Der Alten Saitenspiel schall' eurer Leyer vor: Sie dichten für den Geist, und singen für das Ohr. Die schönste Sprach fließt von ihren reinen Lippen: Sie fliehn ein freches Wort, gleich Jcars bleichen Klippen. Schleift alles Rauhe weg! wählt; aber künstelt nicht! (*) Auch der wird lächerlich, der nie, wie andre, spricht: Der (+) Neque conamur sperare, qui latine non possit, hunc ornate esse dicturum: neque vero, qui non dicat, quod intelligamus, hunc posse, quod admiremur, dicere. Cic. de Orat. III. Tanquam scopulum, sic inauditum atque insolens verbum, fugiamus. Caesar. L. I. de Analogia. (*) Le Seigneur Don Fabrizio, qui fait des Vers dignes
du Roi Numa, & qui ecrit en Prose comme on n'e- crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9. Haec verba tam improbe structa, tam negligenter abjecta, tam contra consuetudinem omnium posita. Senec. Epist. 114. Briefe. Und ſtrahlt mit kuͤhnem Witz, auch wo er ſchweigenſoll? Hoͤrt auf, ſtets raͤthſelhaft, in Spruͤchen ſtets zu ſpre- chen: Warum ſoll ieder Satz den muͤden Kopf zerbrechen? Nicht ſeicht fließ’ euer Vers, nicht von Gedanken leer: Er fließe klar dahin, obgleich von Golde ſchwer. (†) Soll Deutſchland euer Haupt mit Lorbeern dank- bar kroͤnen; So lehret euer Lied, auch deutſch, nicht fremde toͤnen. Der Alten Saitenſpiel ſchall’ eurer Leyer vor: Sie dichten fuͤr den Geiſt, und ſingen fuͤr das Ohr. Die ſchoͤnſte Sprach fließt von ihren reinen Lippen: Sie fliehn ein freches Wort, gleich Jcars bleichen Klippen. Schleift alles Rauhe weg! waͤhlt; aber kuͤnſtelt nicht! (*) Auch der wird laͤcherlich, der nie, wie andre, ſpricht: Der (†) Neque conamur ſperare, qui latine non poſſit, hunc ornate eſſe dicturum: neque vero, qui non dicat, quod intelligamus, hunc poſſe, quod admiremur, dicere. Cic. de Orat. III. Tanquam ſcopulum, ſic inauditum atque inſolens verbum, fugiamus. Cæſar. L. I. de Analogia. (*) Le Seigneur Don Fabrizio, qui fait des Vers dignes
du Roi Numa, & qui écrit en Proſe comme on n’é- crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9. Hæc verba tam improbe ſtructa, tam negligenter abjecta, tam contra conſuetudinem omnium poſita. Senec. Epiſt. 114. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0260" n="246"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Briefe.</hi> </fw><lb/> <l>Und ſtrahlt mit kuͤhnem Witz, auch wo er ſchweigen</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ſoll?</hi> </l><lb/> <l>Hoͤrt auf, ſtets raͤthſelhaft, in Spruͤchen ſtets zu ſpre-</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">chen:</hi> </l><lb/> <l>Warum ſoll ieder Satz den muͤden Kopf zerbrechen?</l><lb/> <l>Nicht ſeicht fließ’ euer Vers, nicht von Gedanken leer:</l><lb/> <l>Er fließe klar dahin, obgleich von Golde ſchwer.</l><lb/> <l><note place="foot" n="(†)"><hi rendition="#aq">Neque conamur ſperare, qui latine non poſſit, hunc<lb/> ornate eſſe dicturum: neque vero, qui non dicat,<lb/> quod intelligamus, hunc poſſe, quod admiremur,<lb/> dicere. Cic. de Orat. III.<lb/> Tanquam ſcopulum, ſic inauditum atque inſolens<lb/> verbum, fugiamus. Cæſar. L. I. de Analogia.</hi></note> Soll Deutſchland euer Haupt mit Lorbeern dank-</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">bar kroͤnen;</hi> </l><lb/> <l>So lehret euer Lied, auch deutſch, nicht fremde toͤnen.</l><lb/> <l>Der Alten Saitenſpiel ſchall’ eurer Leyer vor:</l><lb/> <l>Sie dichten fuͤr den Geiſt, und ſingen fuͤr das Ohr.</l><lb/> <l>Die ſchoͤnſte Sprach fließt von ihren reinen Lippen:</l><lb/> <l>Sie fliehn ein freches Wort, gleich Jcars bleichen</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Klippen.</hi> </l><lb/> <l>Schleift alles Rauhe weg! waͤhlt; aber kuͤnſtelt nicht!</l><lb/> <l><note place="foot" n="(*)"><hi rendition="#aq">Le Seigneur Don Fabrizio, qui fait des Vers dignes<lb/> du Roi Numa, & qui écrit en Proſe comme on n’é-<lb/> crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9.<lb/> Hæc verba tam improbe ſtructa, tam negligenter<lb/> abjecta, tam contra conſuetudinem omnium poſita.<lb/><hi rendition="#et">Senec. Epiſt. 114.</hi></hi></note> Auch der wird laͤcherlich, der nie, wie andre,</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">ſpricht:</hi> </l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Der</fw><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [246/0260]
Briefe.
Und ſtrahlt mit kuͤhnem Witz, auch wo er ſchweigen
ſoll?
Hoͤrt auf, ſtets raͤthſelhaft, in Spruͤchen ſtets zu ſpre-
chen:
Warum ſoll ieder Satz den muͤden Kopf zerbrechen?
Nicht ſeicht fließ’ euer Vers, nicht von Gedanken leer:
Er fließe klar dahin, obgleich von Golde ſchwer.
(†) Soll Deutſchland euer Haupt mit Lorbeern dank-
bar kroͤnen;
So lehret euer Lied, auch deutſch, nicht fremde toͤnen.
Der Alten Saitenſpiel ſchall’ eurer Leyer vor:
Sie dichten fuͤr den Geiſt, und ſingen fuͤr das Ohr.
Die ſchoͤnſte Sprach fließt von ihren reinen Lippen:
Sie fliehn ein freches Wort, gleich Jcars bleichen
Klippen.
Schleift alles Rauhe weg! waͤhlt; aber kuͤnſtelt nicht!
(*) Auch der wird laͤcherlich, der nie, wie andre,
ſpricht:
Der
(†) Neque conamur ſperare, qui latine non poſſit, hunc
ornate eſſe dicturum: neque vero, qui non dicat,
quod intelligamus, hunc poſſe, quod admiremur,
dicere. Cic. de Orat. III.
Tanquam ſcopulum, ſic inauditum atque inſolens
verbum, fugiamus. Cæſar. L. I. de Analogia.
(*) Le Seigneur Don Fabrizio, qui fait des Vers dignes
du Roi Numa, & qui écrit en Proſe comme on n’é-
crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9.
Hæc verba tam improbe ſtructa, tam negligenter
abjecta, tam contra conſuetudinem omnium poſita.
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Zitationshilfe: | Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/260>, abgerufen am 17.07.2024. |