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Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.

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Briefe.

Als eine glänzende Erscheinung eine plötzliche Stille verur-
sachte. Jch sah den Gott des guten Geschmacks auf einer
leuchtenden Wolke und so, wie ihn Voltaire gesehen, in
den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den
Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit
Anakreons Rosen umkränzet; und seine ganze Gestalt
lachte von ungeschminkter, doch rührender Anmuth. Er
sprach; und seine Worte waren süsser, als die Töne der
harmonischen Leyer:

Jhr Freunde! höret mich, die ihr die Schönheit nen-
net,
Für ihre Rechte kämpft, und sie vielleicht nicht kennet!
Es lacht auf ihrer Stirn die Einfalt der Natur:
Sie ist auch nackend schön; nicht schön im Purpur nur.
Ein bunter Hurenschmuck ist falscher Schönheit eigen:
Die gleisst von Flittergold, und will sich immer zeigen;
Und will vorwitzig stolz, auf Stelzen sich erhöhn,
Dem Winde sich vertraun, und auf den Wolken gehn.
(*) Das Wahre nur gefällt; und wollt ihr würdig
dichten,
So muß die Dichtung nicht auch die Natur vernich-
ten.
Oft fliegt sie schwärmend auf; allein verflieget sich,
Und wird nicht wunderbar, nur abentheuerlich.
Jn
(*) Rien n'est beau que le Vrai, le Vrai seul est ai-
mable,
Il doit briller par tout & meme dans la Fable.
Boileau
Briefe.

Als eine glaͤnzende Erſcheinung eine ploͤtzliche Stille verur-
ſachte. Jch ſah den Gott des guten Geſchmacks auf einer
leuchtenden Wolke und ſo, wie ihn Voltaire geſehen, in
den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den
Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit
Anakreons Roſen umkraͤnzet; und ſeine ganze Geſtalt
lachte von ungeſchminkter, doch ruͤhrender Anmuth. Er
ſprach; und ſeine Worte waren ſuͤſſer, als die Toͤne der
harmoniſchen Leyer:

Jhr Freunde! hoͤret mich, die ihr die Schoͤnheit nen-
net,
Fuͤr ihre Rechte kaͤmpft, und ſie vielleicht nicht kennet!
Es lacht auf ihrer Stirn die Einfalt der Natur:
Sie iſt auch nackend ſchoͤn; nicht ſchoͤn im Purpur nur.
Ein bunter Hurenſchmuck iſt falſcher Schoͤnheit eigen:
Die gleiſſt von Flittergold, und will ſich immer zeigen;
Und will vorwitzig ſtolz, auf Stelzen ſich erhoͤhn,
Dem Winde ſich vertraun, und auf den Wolken gehn.
(*) Das Wahre nur gefaͤllt; und wollt ihr wuͤrdig
dichten,
So muß die Dichtung nicht auch die Natur vernich-
ten.
Oft fliegt ſie ſchwaͤrmend auf; allein verflieget ſich,
Und wird nicht wunderbar, nur abentheuerlich.
Jn
(*) Rien n’eſt beau que le Vrai, le Vrai ſeul eſt ai-
mable,
Il doit briller par tout & même dans la Fable.
Boileau
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[244/0258] Briefe. Als eine glaͤnzende Erſcheinung eine ploͤtzliche Stille verur- ſachte. Jch ſah den Gott des guten Geſchmacks auf einer leuchtenden Wolke und ſo, wie ihn Voltaire geſehen, in den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit Anakreons Roſen umkraͤnzet; und ſeine ganze Geſtalt lachte von ungeſchminkter, doch ruͤhrender Anmuth. Er ſprach; und ſeine Worte waren ſuͤſſer, als die Toͤne der harmoniſchen Leyer: Jhr Freunde! hoͤret mich, die ihr die Schoͤnheit nen- net, Fuͤr ihre Rechte kaͤmpft, und ſie vielleicht nicht kennet! Es lacht auf ihrer Stirn die Einfalt der Natur: Sie iſt auch nackend ſchoͤn; nicht ſchoͤn im Purpur nur. Ein bunter Hurenſchmuck iſt falſcher Schoͤnheit eigen: Die gleiſſt von Flittergold, und will ſich immer zeigen; Und will vorwitzig ſtolz, auf Stelzen ſich erhoͤhn, Dem Winde ſich vertraun, und auf den Wolken gehn. (*) Das Wahre nur gefaͤllt; und wollt ihr wuͤrdig dichten, So muß die Dichtung nicht auch die Natur vernich- ten. Oft fliegt ſie ſchwaͤrmend auf; allein verflieget ſich, Und wird nicht wunderbar, nur abentheuerlich. Jn (*) Rien n’eſt beau que le Vrai, le Vrai ſeul eſt ai- mable, Il doit briller par tout & même dans la Fable. Boileau

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Zitationshilfe: Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/uz_gedichte_1755/258>, abgerufen am 25.11.2024.