Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Ein Gedicht. Er schwieg; und Selimor, entbrannt von stolzem Grimme, Sprach zu Selinden kühn, doch mit gedämpster Stimme: Dorante, glaub ich, rast! verdammt sey sein Poet, Der uns von Dingen schwatzt, die niemand hier versteht! Soll meine Liebe stets dem Schulgeschwätze weichen? Was hindert uns, mein Herz! allein hinweg zu schleichen? Selinde folge mir und gebe mir Gehör: Gesellschaft solcher Art erniedrigt uns zu sehr. Er sprach, indem er ihr die Hand vertraulich drückte, Und ihren Arm ergriff und nach dem Hause rückte. Die Schöne folgte träg als wider Willen, nach, Jndeß Dorante noch mit jenem Dichter sprach. Er ließ ihr Zeit genug, ins Zimmer zu verschwinden: Zuletzt vermißt' er sie: er fragte nach Selinden. Von banger Ahndung schlug sein furchtsam liebend Herz, Und auf umwölkter Stirn erschien ein finstrer Schmerz. Selinde! rief er aus, mit todtenbleichen Wangen; Wo ist die Grausame? wo ist sie hingegangen? Jhm sagt es Lesbia, bey ihres Buhlen Flucht. Von Rachlust angeflammt, erhitzt von Eifersucht. Dorante, der, betäubt vom Donner ihrer Worte, Wie eingewurzelt stund, wich nicht von seinem Orte. Er stund und sah umher mit starrem Blick und schwieg, Bis einst ein dunkles Ach! von seinen Lippen stieg. Er nahm sich plötzlich vor, Selinden zu erbitten: Er gieng: blieb wieder stehn: Vernunft und Liebe stritten. Es wankte sein Gemüth, wie, durch den Herbst entlaubt, Die schwache Weide wankt, wann Eurus zornig schnaubt. Zu-
Ein Gedicht. Er ſchwieg; und Selimor, entbrannt von ſtolzem Grimme, Sprach zu Selinden kuͤhn, doch mit gedaͤmpſter Stimme: Dorante, glaub ich, raſt! verdammt ſey ſein Poet, Der uns von Dingen ſchwatzt, die niemand hier verſteht! Soll meine Liebe ſtets dem Schulgeſchwaͤtze weichen? Was hindert uns, mein Herz! allein hinweg zu ſchleichen? Selinde folge mir und gebe mir Gehoͤr: Geſellſchaft ſolcher Art erniedrigt uns zu ſehr. Er ſprach, indem er ihr die Hand vertraulich druͤckte, Und ihren Arm ergriff und nach dem Hauſe ruͤckte. Die Schoͤne folgte traͤg als wider Willen, nach, Jndeß Dorante noch mit jenem Dichter ſprach. Er ließ ihr Zeit genug, ins Zimmer zu verſchwinden: Zuletzt vermißt’ er ſie: er fragte nach Selinden. Von banger Ahndung ſchlug ſein furchtſam liebend Herz, Und auf umwoͤlkter Stirn erſchien ein finſtrer Schmerz. Selinde! rief er aus, mit todtenbleichen Wangen; Wo iſt die Grauſame? wo iſt ſie hingegangen? Jhm ſagt es Lesbia, bey ihres Buhlen Flucht. Von Rachluſt angeflammt, erhitzt von Eiferſucht. Dorante, der, betaͤubt vom Donner ihrer Worte, Wie eingewurzelt ſtund, wich nicht von ſeinem Orte. Er ſtund und ſah umher mit ſtarrem Blick und ſchwieg, Bis einſt ein dunkles Ach! von ſeinen Lippen ſtieg. Er nahm ſich ploͤtzlich vor, Selinden zu erbitten: Er gieng: blieb wieder ſtehn: Vernunft und Liebe ſtritten. Es wankte ſein Gemuͤth, wie, durch den Herbſt entlaubt, Die ſchwache Weide wankt, wann Eurus zornig ſchnaubt. Zu-
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0205" n="191"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ein Gedicht.</hi> </fw><lb/> <lg n="2"> <l>Er ſchwieg; und Selimor, entbrannt von ſtolzem</l><lb/> <l> <hi rendition="#et">Grimme,</hi> </l><lb/> <l>Sprach zu Selinden kuͤhn, doch mit gedaͤmpſter Stimme:</l><lb/> <l>Dorante, glaub ich, raſt! verdammt ſey ſein Poet,</l><lb/> <l>Der uns von Dingen ſchwatzt, die niemand hier verſteht!</l><lb/> <l>Soll meine Liebe ſtets dem Schulgeſchwaͤtze weichen?</l><lb/> <l>Was hindert uns, mein Herz! allein hinweg zu ſchleichen?</l><lb/> <l>Selinde folge mir und gebe mir Gehoͤr:</l><lb/> <l>Geſellſchaft ſolcher Art erniedrigt uns zu ſehr.</l><lb/> <l>Er ſprach, indem er ihr die Hand vertraulich druͤckte,</l><lb/> <l>Und ihren Arm ergriff und nach dem Hauſe ruͤckte.</l><lb/> <l>Die Schoͤne folgte traͤg als wider Willen, nach,</l><lb/> <l>Jndeß Dorante noch mit jenem Dichter ſprach.</l><lb/> <l>Er ließ ihr Zeit genug, ins Zimmer zu verſchwinden:</l><lb/> <l>Zuletzt vermißt’ er ſie: er fragte nach Selinden.</l><lb/> <l>Von banger Ahndung ſchlug ſein furchtſam liebend Herz,</l><lb/> <l>Und auf umwoͤlkter Stirn erſchien ein finſtrer Schmerz.</l><lb/> <l>Selinde! rief er aus, mit todtenbleichen Wangen;</l><lb/> <l>Wo iſt die Grauſame? wo iſt ſie hingegangen?</l><lb/> <l>Jhm ſagt es Lesbia, bey ihres Buhlen Flucht.</l><lb/> <l>Von Rachluſt angeflammt, erhitzt von Eiferſucht.</l><lb/> <l>Dorante, der, betaͤubt vom Donner ihrer Worte,</l><lb/> <l>Wie eingewurzelt ſtund, wich nicht von ſeinem Orte.</l><lb/> <l>Er ſtund und ſah umher mit ſtarrem Blick und ſchwieg,</l><lb/> <l>Bis einſt ein dunkles Ach! von ſeinen Lippen ſtieg.</l><lb/> <l>Er nahm ſich ploͤtzlich vor, Selinden zu erbitten:</l><lb/> <l>Er gieng: blieb wieder ſtehn: Vernunft und Liebe ſtritten.</l><lb/> <l>Es wankte ſein Gemuͤth, wie, durch den Herbſt entlaubt,</l><lb/> <l>Die ſchwache Weide wankt, wann Eurus zornig ſchnaubt.</l><lb/> <fw place="bottom" type="catch">Zu-</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [191/0205]
Ein Gedicht.
Er ſchwieg; und Selimor, entbrannt von ſtolzem
Grimme,
Sprach zu Selinden kuͤhn, doch mit gedaͤmpſter Stimme:
Dorante, glaub ich, raſt! verdammt ſey ſein Poet,
Der uns von Dingen ſchwatzt, die niemand hier verſteht!
Soll meine Liebe ſtets dem Schulgeſchwaͤtze weichen?
Was hindert uns, mein Herz! allein hinweg zu ſchleichen?
Selinde folge mir und gebe mir Gehoͤr:
Geſellſchaft ſolcher Art erniedrigt uns zu ſehr.
Er ſprach, indem er ihr die Hand vertraulich druͤckte,
Und ihren Arm ergriff und nach dem Hauſe ruͤckte.
Die Schoͤne folgte traͤg als wider Willen, nach,
Jndeß Dorante noch mit jenem Dichter ſprach.
Er ließ ihr Zeit genug, ins Zimmer zu verſchwinden:
Zuletzt vermißt’ er ſie: er fragte nach Selinden.
Von banger Ahndung ſchlug ſein furchtſam liebend Herz,
Und auf umwoͤlkter Stirn erſchien ein finſtrer Schmerz.
Selinde! rief er aus, mit todtenbleichen Wangen;
Wo iſt die Grauſame? wo iſt ſie hingegangen?
Jhm ſagt es Lesbia, bey ihres Buhlen Flucht.
Von Rachluſt angeflammt, erhitzt von Eiferſucht.
Dorante, der, betaͤubt vom Donner ihrer Worte,
Wie eingewurzelt ſtund, wich nicht von ſeinem Orte.
Er ſtund und ſah umher mit ſtarrem Blick und ſchwieg,
Bis einſt ein dunkles Ach! von ſeinen Lippen ſtieg.
Er nahm ſich ploͤtzlich vor, Selinden zu erbitten:
Er gieng: blieb wieder ſtehn: Vernunft und Liebe ſtritten.
Es wankte ſein Gemuͤth, wie, durch den Herbſt entlaubt,
Die ſchwache Weide wankt, wann Eurus zornig ſchnaubt.
Zu-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |