Uz, Johann Peter: Lyrische und andere Gedichte. 2. Aufl. Ansbach, 1755.Ein Gedicht. So lieben Sie mich bald: welch langer Widerstand!Der Held bemächtigt sich der liljenweissen Hand: Er küßt sie zwanzigmal und feufzt bey dreistem Scherze: Wer liebt so ehrfurchtvoll? wie zärtlich ist mein Herze! Drauf seufzt er noch einmal, und flattert singend fort, Und flattert wieder her an seinen alten Ort. Dorante girrt indeß, gleich einem Turteltäuber: Doch jener fordert kühn, fast wie ein Strassenräuber, Der, wann die Finsterniß die trägen Flügel schwingt, Des bangen Wandrers Geld mit bloßem Stahl erzwingt. Selinde saß voll Ruh und übersah im Streite Die Scenen eines Kriegs, der ihrem Herzen dräute Und flammte selbst ihn an und wich und bebte nicht, Und wies dem schwersten Sturm ein lächelnd Angesicht: *Wie unter schwarzer Nacht und heischrer Donner Brüllen Der Cherub Addisons, sein Strafamt zu erfüllen, Mit himmlisch heitrer Stirn dem wilden Sturm gebeut, Auf Wirbelwinden schwebt und rothe Blitze streut. So sah die Heldinn aus, die unbeschädigt lachte, Da über ihrem Haupt ihr treuer Schutzgeist wachte. Den angenehmen Geist beseelt ein Frauensinn: Er schielt nach seinem Reiz in alle Spiegel hin. Um seine Schultern rauscht ein purpurnes Gefieder, Und frey und offen fließt um seine leichten Glieder Ein * Das erhabene Gleichniß, welches hier parodiret wird stehet in Addisons Campaign, einem Gedichte auf den Sieg bey Höchstädt. M
Ein Gedicht. So lieben Sie mich bald: welch langer Widerſtand!Der Held bemaͤchtigt ſich der liljenweiſſen Hand: Er kuͤßt ſie zwanzigmal und feufzt bey dreiſtem Scherze: Wer liebt ſo ehrfurchtvoll? wie zaͤrtlich iſt mein Herze! Drauf ſeufzt er noch einmal, und flattert ſingend fort, Und flattert wieder her an ſeinen alten Ort. Dorante girrt indeß, gleich einem Turteltaͤuber: Doch jener fordert kuͤhn, faſt wie ein Straſſenraͤuber, Der, wann die Finſterniß die traͤgen Fluͤgel ſchwingt, Des bangen Wandrers Geld mit bloßem Stahl erzwingt. Selinde ſaß voll Ruh und uͤberſah im Streite Die Scenen eines Kriegs, der ihrem Herzen draͤute Und flammte ſelbſt ihn an und wich und bebte nicht, Und wies dem ſchwerſten Sturm ein laͤchelnd Angeſicht: *Wie unter ſchwarzer Nacht und heiſchrer Donner Bruͤllen Der Cherub Addiſons, ſein Strafamt zu erfuͤllen, Mit himmliſch heitrer Stirn dem wilden Sturm gebeut, Auf Wirbelwinden ſchwebt und rothe Blitze ſtreut. So ſah die Heldinn aus, die unbeſchaͤdigt lachte, Da uͤber ihrem Haupt ihr treuer Schutzgeiſt wachte. Den angenehmen Geiſt beſeelt ein Frauenſinn: Er ſchielt nach ſeinem Reiz in alle Spiegel hin. Um ſeine Schultern rauſcht ein purpurnes Gefieder, Und frey und offen fließt um ſeine leichten Glieder Ein * Das erhabene Gleichniß, welches hier parodiret wird ſtehet in Addiſons Campaign, einem Gedichte auf den Sieg bey Hoͤchſtaͤdt. M
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <lg type="poem"> <lg n="2"> <pb facs="#f0191" n="177"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Ein Gedicht.</hi> </fw><lb/> <l>So lieben Sie mich bald: welch langer Widerſtand!</l><lb/> <l>Der Held bemaͤchtigt ſich der liljenweiſſen Hand:</l><lb/> <l>Er kuͤßt ſie zwanzigmal und feufzt bey dreiſtem Scherze:</l><lb/> <l>Wer liebt ſo ehrfurchtvoll? wie zaͤrtlich iſt mein Herze!</l><lb/> <l>Drauf ſeufzt er noch einmal, und flattert ſingend fort,</l><lb/> <l>Und flattert wieder her an ſeinen alten Ort.</l><lb/> <l>Dorante girrt indeß, gleich einem Turteltaͤuber:</l><lb/> <l>Doch jener fordert kuͤhn, faſt wie ein Straſſenraͤuber,</l><lb/> <l>Der, wann die Finſterniß die traͤgen Fluͤgel ſchwingt,</l><lb/> <l>Des bangen Wandrers Geld mit bloßem Stahl erzwingt.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Selinde ſaß voll Ruh und uͤberſah im Streite</l><lb/> <l>Die Scenen eines Kriegs, der ihrem Herzen draͤute</l><lb/> <l>Und flammte ſelbſt ihn an und wich und bebte nicht,</l><lb/> <l>Und wies dem ſchwerſten Sturm ein laͤchelnd Angeſicht:</l><lb/> <l><note place="foot" n="*">Das erhabene Gleichniß, welches hier parodiret wird<lb/> ſtehet in Addiſons <hi rendition="#aq">Campaign,</hi> einem Gedichte auf den<lb/> Sieg bey Hoͤchſtaͤdt.</note>Wie unter ſchwarzer Nacht und heiſchrer Donner Bruͤllen</l><lb/> <l>Der Cherub Addiſons, ſein Strafamt zu erfuͤllen,</l><lb/> <l>Mit himmliſch heitrer Stirn dem wilden Sturm gebeut,</l><lb/> <l>Auf Wirbelwinden ſchwebt und rothe Blitze ſtreut.</l><lb/> <l>So ſah die Heldinn aus, die unbeſchaͤdigt lachte,</l><lb/> <l>Da uͤber ihrem Haupt ihr treuer Schutzgeiſt wachte.</l><lb/> <l>Den angenehmen Geiſt beſeelt ein Frauenſinn:</l><lb/> <l>Er ſchielt nach ſeinem Reiz in alle Spiegel hin.</l><lb/> <l>Um ſeine Schultern rauſcht ein purpurnes Gefieder,</l><lb/> <l>Und frey und offen fließt um ſeine leichten Glieder</l><lb/> <fw place="bottom" type="sig">M</fw> <fw place="bottom" type="catch">Ein</fw><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [177/0191]
Ein Gedicht.
So lieben Sie mich bald: welch langer Widerſtand!
Der Held bemaͤchtigt ſich der liljenweiſſen Hand:
Er kuͤßt ſie zwanzigmal und feufzt bey dreiſtem Scherze:
Wer liebt ſo ehrfurchtvoll? wie zaͤrtlich iſt mein Herze!
Drauf ſeufzt er noch einmal, und flattert ſingend fort,
Und flattert wieder her an ſeinen alten Ort.
Dorante girrt indeß, gleich einem Turteltaͤuber:
Doch jener fordert kuͤhn, faſt wie ein Straſſenraͤuber,
Der, wann die Finſterniß die traͤgen Fluͤgel ſchwingt,
Des bangen Wandrers Geld mit bloßem Stahl erzwingt.
Selinde ſaß voll Ruh und uͤberſah im Streite
Die Scenen eines Kriegs, der ihrem Herzen draͤute
Und flammte ſelbſt ihn an und wich und bebte nicht,
Und wies dem ſchwerſten Sturm ein laͤchelnd Angeſicht:
*Wie unter ſchwarzer Nacht und heiſchrer Donner Bruͤllen
Der Cherub Addiſons, ſein Strafamt zu erfuͤllen,
Mit himmliſch heitrer Stirn dem wilden Sturm gebeut,
Auf Wirbelwinden ſchwebt und rothe Blitze ſtreut.
So ſah die Heldinn aus, die unbeſchaͤdigt lachte,
Da uͤber ihrem Haupt ihr treuer Schutzgeiſt wachte.
Den angenehmen Geiſt beſeelt ein Frauenſinn:
Er ſchielt nach ſeinem Reiz in alle Spiegel hin.
Um ſeine Schultern rauſcht ein purpurnes Gefieder,
Und frey und offen fließt um ſeine leichten Glieder
Ein
* Das erhabene Gleichniß, welches hier parodiret wird
ſtehet in Addiſons Campaign, einem Gedichte auf den
Sieg bey Hoͤchſtaͤdt.
M
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie Erstausgabe der vorliegenden Gedichtsammlung … [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |