Anmerkung. Das Wort Empfindung ist in dreyerley Bedeutung gewöhnlich, nämlich 1. in der ge- genwärtigen, wo es die uneigenmächtigen Vorstellungen §. 27. bedeutet, die wir durch die Gliedmaßen der äußern Sinne, die Nerven, erlangen. 2. in der, wo es das in- nere Gefühl der Seele, das Bewußtseyn ihrer selbst, S. §. 80. und endlich 3. in der, wo es überhaupt die Vor- stellung des gegenwärtigen Zustandes, unbestimmt, oder gleich viel, ob diese Vorstellung von einem äußern sinnli- chen Eindrucke erreget worden, oder nicht, anzeiget. Weil es höchst nothwendig ist, diese dreyerley Begriffe stets zu unterscheiden, indem sonst die Lehre von der Gemeinschaft des Leibes und der Seele nicht anders als verworren und schwankend vorgetragen werden kann; so haben wir uns, aus Mangel anderer bequemer Aus- drücke, entschließen müssen, durch dieß ganze Werk, wo nicht der Zusammenhang selbst die Bedeutung bestim- met, die Empfindungen der ersten Art äußerliche, der andern Art, innerliche zu nennen, und nie eins von diesen Beywörtern wegzulassen, außer wenn wir den Ausdruck Empfinden in der allgemeinen oder unbe- stimmten dritten Bedeutung gebrauchen, da es entwe- der gleich viel ist, oder nicht bestimmet seyn soll, ob äus- sere oder innere Empfindungen gemeynet sind. Man wird in der Folge zuweilen nöthig haben, sich dieser An- merkung zu erinnern.
§. 35.
Ohne einen äußern sinnlichen Eindruck in die Nerven entsteht nie eine wahre äußere Empfindung in der Seele, und daher hält man denselben mit Recht für die einzige ur- sprüngliche thierische Kraft, §. 6. wodurch die Seele em- pfindet. Da aber die äußern Empfindungen Vorstellun- gen sind, die ohne materielle Jdeen im Gehirne unmöglich entstehen können, §. 25. so muß der äußere sinnliche Ein- druck jederzeit die materielle äußere Empfindung im Gehir-
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3 Abſchn. Der Nerven. Aeußere Empfindungen.
Anmerkung. Das Wort Empfindung iſt in dreyerley Bedeutung gewoͤhnlich, naͤmlich 1. in der ge- genwaͤrtigen, wo es die uneigenmaͤchtigen Vorſtellungen §. 27. bedeutet, die wir durch die Gliedmaßen der aͤußern Sinne, die Nerven, erlangen. 2. in der, wo es das in- nere Gefuͤhl der Seele, das Bewußtſeyn ihrer ſelbſt, S. §. 80. und endlich 3. in der, wo es uͤberhaupt die Vor- ſtellung des gegenwaͤrtigen Zuſtandes, unbeſtimmt, oder gleich viel, ob dieſe Vorſtellung von einem aͤußern ſinnli- chen Eindrucke erreget worden, oder nicht, anzeiget. Weil es hoͤchſt nothwendig iſt, dieſe dreyerley Begriffe ſtets zu unterſcheiden, indem ſonſt die Lehre von der Gemeinſchaft des Leibes und der Seele nicht anders als verworren und ſchwankend vorgetragen werden kann; ſo haben wir uns, aus Mangel anderer bequemer Aus- druͤcke, entſchließen muͤſſen, durch dieß ganze Werk, wo nicht der Zuſammenhang ſelbſt die Bedeutung beſtim- met, die Empfindungen der erſten Art aͤußerliche, der andern Art, innerliche zu nennen, und nie eins von dieſen Beywoͤrtern wegzulaſſen, außer wenn wir den Ausdruck Empfinden in der allgemeinen oder unbe- ſtimmten dritten Bedeutung gebrauchen, da es entwe- der gleich viel iſt, oder nicht beſtimmet ſeyn ſoll, ob aͤuſ- ſere oder innere Empfindungen gemeynet ſind. Man wird in der Folge zuweilen noͤthig haben, ſich dieſer An- merkung zu erinnern.
§. 35.
Ohne einen aͤußern ſinnlichen Eindruck in die Nerven entſteht nie eine wahre aͤußere Empfindung in der Seele, und daher haͤlt man denſelben mit Recht fuͤr die einzige ur- ſpruͤngliche thieriſche Kraft, §. 6. wodurch die Seele em- pfindet. Da aber die aͤußern Empfindungen Vorſtellun- gen ſind, die ohne materielle Jdeen im Gehirne unmoͤglich entſtehen koͤnnen, §. 25. ſo muß der aͤußere ſinnliche Ein- druck jederzeit die materielle aͤußere Empfindung im Gehir-
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3 Abſchn. Der Nerven. Aeußere Empfindungen.
Anmerkung. Das Wort Empfindung iſt in
dreyerley Bedeutung gewoͤhnlich, naͤmlich 1. in der ge-
genwaͤrtigen, wo es die uneigenmaͤchtigen Vorſtellungen
§. 27. bedeutet, die wir durch die Gliedmaßen der aͤußern
Sinne, die Nerven, erlangen. 2. in der, wo es das in-
nere Gefuͤhl der Seele, das Bewußtſeyn ihrer ſelbſt, S.
§. 80. und endlich 3. in der, wo es uͤberhaupt die Vor-
ſtellung des gegenwaͤrtigen Zuſtandes, unbeſtimmt, oder
gleich viel, ob dieſe Vorſtellung von einem aͤußern ſinnli-
chen Eindrucke erreget worden, oder nicht, anzeiget.
Weil es hoͤchſt nothwendig iſt, dieſe dreyerley Begriffe
ſtets zu unterſcheiden, indem ſonſt die Lehre von der
Gemeinſchaft des Leibes und der Seele nicht anders
als verworren und ſchwankend vorgetragen werden kann;
ſo haben wir uns, aus Mangel anderer bequemer Aus-
druͤcke, entſchließen muͤſſen, durch dieß ganze Werk, wo
nicht der Zuſammenhang ſelbſt die Bedeutung beſtim-
met, die Empfindungen der erſten Art aͤußerliche, der
andern Art, innerliche zu nennen, und nie eins von
dieſen Beywoͤrtern wegzulaſſen, außer wenn wir den
Ausdruck Empfinden in der allgemeinen oder unbe-
ſtimmten dritten Bedeutung gebrauchen, da es entwe-
der gleich viel iſt, oder nicht beſtimmet ſeyn ſoll, ob aͤuſ-
ſere oder innere Empfindungen gemeynet ſind. Man
wird in der Folge zuweilen noͤthig haben, ſich dieſer An-
merkung zu erinnern.
§. 35.
Ohne einen aͤußern ſinnlichen Eindruck in die Nerven
entſteht nie eine wahre aͤußere Empfindung in der Seele,
und daher haͤlt man denſelben mit Recht fuͤr die einzige ur-
ſpruͤngliche thieriſche Kraft, §. 6. wodurch die Seele em-
pfindet. Da aber die aͤußern Empfindungen Vorſtellun-
gen ſind, die ohne materielle Jdeen im Gehirne unmoͤglich
entſtehen koͤnnen, §. 25. ſo muß der aͤußere ſinnliche Ein-
druck jederzeit die materielle aͤußere Empfindung im Gehir-
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/77>, abgerufen am 21.11.2024.
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