eine Spur wahrer und unstreitiger Seelenwirkungen, die nicht auch nur bloße Nervenwirkungen seyn könnten, wahr- nimmt, und sie gleichwohl etwas einem Gehirne Aehnliches besitzen; so ist man natürlicher Weise genöthiget, anzuneh- men, daß dieß bey ihnen der wahre Fall, und daß ihnen ihre Hauptportion von Markrinde, oder ihr hirnartiger Nervenknoten, oder der oberste Knote ihres Rückenmarks, der ein Gehirn vorstellet, nur zu dieser Absicht ihrer thieri- schen Natur gegeben worden, und ganz und gar nicht we- der zu thierischen Seelenkräften bestimmet, noch eingerich- tet sey. "Insectorum motum diu a morte superesse et "aliquot a resecto capite diebus, minus studiose repeto. "Nam iis bestiolis caput nihil ad vitam alendam habet "praerogativae." v. Haller. Elem. Physiol. T. 4. S. 451.
5. Weil alle die Gründe, womit wir bey beseelten Thieren beweisen, daß ihre Nervenwirkungen in gewissen Fällen keine Seelenwirkungen sind, bey allen thierischen Bewegungen derer, die gar kein, oder ein sehr einfaches Gehirn haben, Statt finden, und also in beyden Fällen ei- nerley Ueberzeugung geben müssen. Wir schließen im er- sten Falle blos aus folgenden Gründen, die bisher einem jedem ein Genüge gethan haben, daß eine gewisse thieri- sche Bewegung keine Seelenwirkung seyn könne: wenn sie ein äußerer sinnlicher Eindruck verursachet, der nicht bis ins Hirnmark aufsteigt, der nicht daselbst eine materielle Jdee erreget, welche in die Ursprünge der Nerven zurück- wirket und ihren innern sinnlichen Eindruck bis in die me- chanische Maschine fortpflanzet; §. 129. und wenn sie ein innerer sinnlicher Eindruck verursachet, der keine materielle Jdee im Gehirnmarke ist, die ihren innern sinnlichen Ein- druck durch die Nerven bis in die mechanische Maschine sen- det. §. 130. Alle diese Bedingungen fehlen nothwendig bey allen thierischen Bewegungen solcher Thiere, die entwe- der gar kein Gehirn, §. 10. oder nur eine Markrinde, oder doch kein so formirtes Gehirnmark haben, das zur Erzeu- gung materieller Jdeen fähig wäre: §. 624. N. 3. 4.
denn
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2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
eine Spur wahrer und unſtreitiger Seelenwirkungen, die nicht auch nur bloße Nervenwirkungen ſeyn koͤnnten, wahr- nimmt, und ſie gleichwohl etwas einem Gehirne Aehnliches beſitzen; ſo iſt man natuͤrlicher Weiſe genoͤthiget, anzuneh- men, daß dieß bey ihnen der wahre Fall, und daß ihnen ihre Hauptportion von Markrinde, oder ihr hirnartiger Nervenknoten, oder der oberſte Knote ihres Ruͤckenmarks, der ein Gehirn vorſtellet, nur zu dieſer Abſicht ihrer thieri- ſchen Natur gegeben worden, und ganz und gar nicht we- der zu thieriſchen Seelenkraͤften beſtimmet, noch eingerich- tet ſey. „Inſectorum motum diu a morte ſupereſſe et „aliquot a reſecto capite diebus, minus ſtudioſe repeto. „Nam iis beſtiolis caput nihil ad vitam alendam habet „praerogativae.“ v. Haller. Elem. Phyſiol. T. 4. S. 451.
5. Weil alle die Gruͤnde, womit wir bey beſeelten Thieren beweiſen, daß ihre Nervenwirkungen in gewiſſen Faͤllen keine Seelenwirkungen ſind, bey allen thieriſchen Bewegungen derer, die gar kein, oder ein ſehr einfaches Gehirn haben, Statt finden, und alſo in beyden Faͤllen ei- nerley Ueberzeugung geben muͤſſen. Wir ſchließen im er- ſten Falle blos aus folgenden Gruͤnden, die bisher einem jedem ein Genuͤge gethan haben, daß eine gewiſſe thieri- ſche Bewegung keine Seelenwirkung ſeyn koͤnne: wenn ſie ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck verurſachet, der nicht bis ins Hirnmark aufſteigt, der nicht daſelbſt eine materielle Jdee erreget, welche in die Urſpruͤnge der Nerven zuruͤck- wirket und ihren innern ſinnlichen Eindruck bis in die me- chaniſche Maſchine fortpflanzet; §. 129. und wenn ſie ein innerer ſinnlicher Eindruck verurſachet, der keine materielle Jdee im Gehirnmarke iſt, die ihren innern ſinnlichen Ein- druck durch die Nerven bis in die mechaniſche Maſchine ſen- det. §. 130. Alle dieſe Bedingungen fehlen nothwendig bey allen thieriſchen Bewegungen ſolcher Thiere, die entwe- der gar kein Gehirn, §. 10. oder nur eine Markrinde, oder doch kein ſo formirtes Gehirnmark haben, das zur Erzeu- gung materieller Jdeen faͤhig waͤre: §. 624. N. 3. 4.
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2 Kap. Hauptgattungen exiſtirender Thiere.
eine Spur wahrer und unſtreitiger Seelenwirkungen, die
nicht auch nur bloße Nervenwirkungen ſeyn koͤnnten, wahr-
nimmt, und ſie gleichwohl etwas einem Gehirne Aehnliches
beſitzen; ſo iſt man natuͤrlicher Weiſe genoͤthiget, anzuneh-
men, daß dieß bey ihnen der wahre Fall, und daß ihnen
ihre Hauptportion von Markrinde, oder ihr hirnartiger
Nervenknoten, oder der oberſte Knote ihres Ruͤckenmarks,
der ein Gehirn vorſtellet, nur zu dieſer Abſicht ihrer thieri-
ſchen Natur gegeben worden, und ganz und gar nicht we-
der zu thieriſchen Seelenkraͤften beſtimmet, noch eingerich-
tet ſey. „Inſectorum motum diu a morte ſupereſſe et
„aliquot a reſecto capite diebus, minus ſtudioſe repeto.
„Nam iis beſtiolis caput nihil ad vitam alendam habet
„praerogativae.“ v. Haller. Elem. Phyſiol. T. 4. S. 451.
5. Weil alle die Gruͤnde, womit wir bey beſeelten
Thieren beweiſen, daß ihre Nervenwirkungen in gewiſſen
Faͤllen keine Seelenwirkungen ſind, bey allen thieriſchen
Bewegungen derer, die gar kein, oder ein ſehr einfaches
Gehirn haben, Statt finden, und alſo in beyden Faͤllen ei-
nerley Ueberzeugung geben muͤſſen. Wir ſchließen im er-
ſten Falle blos aus folgenden Gruͤnden, die bisher einem
jedem ein Genuͤge gethan haben, daß eine gewiſſe thieri-
ſche Bewegung keine Seelenwirkung ſeyn koͤnne: wenn ſie
ein aͤußerer ſinnlicher Eindruck verurſachet, der nicht bis
ins Hirnmark aufſteigt, der nicht daſelbſt eine materielle
Jdee erreget, welche in die Urſpruͤnge der Nerven zuruͤck-
wirket und ihren innern ſinnlichen Eindruck bis in die me-
chaniſche Maſchine fortpflanzet; §. 129. und wenn ſie ein
innerer ſinnlicher Eindruck verurſachet, der keine materielle
Jdee im Gehirnmarke iſt, die ihren innern ſinnlichen Ein-
druck durch die Nerven bis in die mechaniſche Maſchine ſen-
det. §. 130. Alle dieſe Bedingungen fehlen nothwendig
bey allen thieriſchen Bewegungen ſolcher Thiere, die entwe-
der gar kein Gehirn, §. 10. oder nur eine Markrinde, oder
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Unzer, Johann August: Erste Gründe einer Physiologie der eigentlichen thierischen Natur thierischer Körper. Leipzig, 1771, S. 631. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/unzer_erstegruende_1771/655>, abgerufen am 22.11.2024.
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